Silhouette eines Mannes auf einer Kreuzung
15. August 2014 Lesezeit: ~3 Minuten

Als Zuschauer unter Schauspielern

Mein Interesse an der Fotografie rührt von meiner unablässigen Neugier her, die Welt und insbesondere das Verhalten der Menschen zu beobachten. Als Kind war ich sehr interessiert an der Welt der Erwachsenen. Mein Vater schenkte mir bald eine Kodak Automatic, mit der ich meine Umgebung und Familienfeste fotografierte.

Verwischtes Bild eines Kindes hinter einer Scheibe bei Regen

Seitdem hat mich der Virus Fotografie nicht mehr losgelassen. Die Ratschläge meines Vaters, Filme und Fotobücher (von Mark Cohen, Alex Webb, Garry Winogrand und anderen) haben mein Sehen geschult und hatten ihren Anteil am „Erwachen meines Auges“.

Auto mit halb geöffnetem Fenster, daneben ein Mann mit Hut und am Himmel die Spur eines Flugzeugs.

Frau mit blauem Kopftuch vor blauem Wasser, blauem Himmel mit Flugzeug und neben einem blauen Mülleimer.

Obwohl ich mich ganz klar auf die urbanen Szenen spezialisiert habe, interessiert mich auch jedes andere ästhetische Element. Mein erster Antrieb ist immer die Emotion. Die Fotografie ohne emotionale Bindung zu betreiben, ist nahezu unmöglich. Ich muss Dinge spüren.

Wenn ich mit anderen Leuten auf Ausstellungen oder im Internet spreche, realisiere ich immer wieder, dass Menschen ihre tägliche Umgebung nicht wirklich beachten. Ich wurde schon oft gefragt, wo ich meine Fotos gemacht habe – dabei habe ich sie an Orten aufgenommen, an denen genau diese Menschen leben!

Eine Frau in blauem Badeanzug und mit blauer Badekappe unter einer Dusche am Strand.

Die Beine von zwei Frauen auf bunten Handtüchern am Strand.

Um das Schwinden oder organisierte Chaos des täglichen Lebens einzufangen, gehe ich mit sehr kleiner Ausstattung los, um nicht bemerkt zu werden. Meistens arbeite ich dabei mit einer Festbrennweite von 35 mm, die mich dazu zwingen, mich dem Subjekt zu nähern und die Komposition aktiv zu gestalten.

Natürliches Licht reicht mir aus, ich suche nicht nach künstlichen visuellen Effekten oder arbeite gegen die Realität. Ich passe mich den Bewegungen der Straße an und möchte die Charakteristika dort nicht verändern. Ich versuche, Banalitäten in ihrer klarsten Form einzufangen, während ich mich vom Rhythmus und der Dichte des Moments absorbieren lasse.

Frauenbeine in Strumpfhose und Pumps auf gelben Straßenmarkierungen

Stofftiger auf dem Rücksitz eines Autos.

Wenn ich so durch die urbanen Landschaften wandere, habe ich keine besonderen Ziele oder speziellen Projekte. Ich bin geführt von meinem Instinkt, der mir sagt, dass ich links statt rechts abbiegen sollte oder umgekehrt. Die Ästhetik eines Platzes, das Spiel von Licht, Farben und interessante Personen sind die mir verfügbaren Möglichkeiten.

Ich habe meine Kamera immer in der Hand, bereit, das Unvorhergesehene festzuhalten. Es ist sogar ziemlich zwanghaft, immer die Angst zu haben, einen flüchtigen Moment zu verpassen, der nie wieder kommen wird. Nur Situationen des echten Lebens wecken meine Neugier. Ich suche nach der Wahrheit des Moments, die einem Foto Bedeutung gibt.

Mann mit roter Haut vor rotem Hintergrund.

Schatten eines Menschen durch eine Holzinstallation

Der spontane und zufällige Mensch übersteigt jedes konzeptuell erdachte Bild. Man kann alle verfügbaren künstlichen Methoden nutzen, aber wenn man nicht in der Lage ist, dieses zusätzliche bisschen Seele einzufangen, verpasst man ein interessantes Foto.

In diesen gestohlenen Momenten, die ich der Freiheit der Straße abgerungen habe, versuche ich nicht, irgendetwas zu erklären, sondern nur zu zeigen. Ich agiere wie ein Zuschauer inmitten von Schauspielern, ohne den Prozess des Films zu verändern. Ich bin nur ein eifriger Beobachter.

Dieser Artikel wurde für Euch von Aileen Wessely aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.

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