Das Buchcover von War Porn, seitlich angeschnitten.
18. Juni 2014 Lesezeit: ~7 Minuten

WAR PORN

Vorgeschichte

Während ich die Seiten des Buches War Porn* einzeln durchblättere, merke ich, wie mir schlecht wird. Die Kraft der Bilder schlägt mir sofort auf den Magen. So viel Leid, so viel Schmerz und Tod habe ich noch nie in einem so kleinen Büchlein komprimiert gesehen.

Ich blättere hastig weiter. Immer schneller schiebe ich die Bilder an mir vorbei. Ich will alles gesehen haben, aber ich merke, dass ich das alles gar nicht wahrhaben möchte. Ich bin schockiert und schließe das Buch. Ich würde es am liebsten verbrennen. Und mit dem Buch all das Leid, das darin ist.

Einen Tag später nehme ich den nächsten Anlauf. Es ist zwar immer noch hart, aber zumindest kann ich die Bilder nun alle auf einmal ansehen. Den Text lesen, den der Fotograf Christoph Bangert dazu verfasst hat. Mir ein genaueres Bild davon machen, worum es eigentlich geht.

Ein verletzter Soldat wird von zwei anderen Soldaten begutachtet.

Am dritten Tag nehme ich mir zwei DIN-A3-Blätter und klebe sie rechts und links an die Pressemeldung des Kehrer-Verlages, die mir mit dem Buch geliefert wurde. Ich muss etwas tun, was sichtbar ist. Also schreibe ich meine Gedanken und Ideen zum Buch auf, kreise Sätze ein, unterstreiche mir wichtig Gewordenes und nummeriere meine Collage nach Prioritäten.

Dabei fühle ich mich taub und traurig, würde am liebsten weinen. Weinen um die verletzten Menschen auf diesen Bildern, weinen, weil das alles viel zu krass, viel zu derb, viel zu schlimm ist. Ich muss erneut Abstand gewinnen, da mich die Wucht der Bilder völlig aus dem Rahmen wirft.

Eine Woche später, heute, fasse ich nochmals allen Mut zusammen. Um ehrlich zu sein, ist mir das Buch sehr, sehr unangenehm. Doch ich will. Ich will es nicht verdrängen. Ich muss mich dem Gräuel stellen.

Ein toter Mensch liegt auf einer Trage, von Menschen umgeben.

Rezension

War Porn. Der Titel des Buches ist eine Anspielung. Eine Anspielung auf die so oft genutzte Wortwahl PORN für etwas, das wir ganz besonders toll finden. Camera Porn. Food Porn. Gadget Porn.

Doch in Verbindung mit War, dem Krieg, bekommt die Zusammensetzung eine ganz eigenartige Wirkung, denn es ist eine Sprengung jeglicher Grenzen meines Vorstellungsvermögens.

Christoph Bangert ist Fotojournalist. Er arbeitet für die New York Times, die Neue Zürcher Zeitung und den Stern. Bangert berichtet regelmäßig aus Kriegs- und Krisengebieten.

Ein toter Mensch, dessen Hals angefressen wurde, liegt auf einer Müllhalde.

Seine Arbeit inmitten des Leides stellt ihn jedoch vor diese schwierige Frage:

Nutze ich die Menschen in meinen Bildern aus? Ist es moralisch zu rechtfertigen, als Fotograf in Kriegsgebieten zu arbeiten? Warum sind wir alle von Bildern des Elends anderer angezogen? Produziere ich Kriegs-Pornografie?

Doch bei dieser Frage soll es nicht bleiben. Bangert sieht sich ständig der Zensur dieser Bilder ausgesetzt. Zum einen können und werden viele Aufnahmen nicht publiziert, da Bildredakteure entscheiden, was zu krass ist und was nicht.

Die zusammengebundenen Hände eines auf dem Boden liegenden Mannes.

Weiter geht die Zensur in den Köpfen der Gesellschaft, die bestimmte Aufnahmen von den Folgen des Krieges nicht sehen will oder kann. Zu guter letzt sieht Bangert sich selbst in der Kritik und weiß, dass auch er zensiert, denn er kann sich bei manchen Bildern nicht mehr daran erinnern, wie er sie gemacht hat.

So kommt es zu diesem kleinen Buch – es ist gerade einmal 16 x 12 cm groß – in dem er eine Regel aufstellt: Keine Zensur. Es wird alles gezeigt, kein Bild ausgelassen, weil es zu heftig ist.

Die Bilder darin stammen aus zehn Jahren Arbeit in Afghanistan, dem Irak, Indonesien, dem Libanon und Gaza. Viele davon sind bisher unveröffentlicht. Dem ein oder anderen dämmert vielleicht, warum.

Wer das Buch nach dem ersten Schock etwas genauer ansieht, wird bemerken, dass es noch ein Buch im Buch gibt. Denn einige Seiten sind nicht geöffnet, sondern müssen entlang einer Perforation aufgetrennt werden. Damit stellt Bangert den Betrachter vor eine große Herausforderung:

Die zusammenlaufenden Seiten des Buches War Porn.

Du musst es entscheiden. Selbstzensur ist eine aktive Sache. Manchmal muss man sich sogar dazu zwingen. Und es kann ein Messer erfordern.

Was diese Besonderheit des Buches unmöglich macht, ist, die Bilder schnell durchzublättern und zu behaupten, man hätte jetzt alles gesehen. Selbst eine Schere oder ein Messer in die Hand zu nehmen und nicht zu wissen, was einen erwartet, ist keine leichte Aufgabe.

Doch dieser Akt hat eine symbolische Kraft. Denn wenn ich mich dazu entschlossen habe, ein Messer in die Hand zu nehmen und zwei Seiten voneinander trenne, überwinde ich den mir eigenen Impuls, wegzuschauen und werde selbst tätig. Ich überwinde die Selbstzensur.

Ein totes Mädchen, eingehüllt in eine weiße Decke.

Die Intention des Fotografen beschreibt er selbst im Vorwort des Buches:

Ich möchte einfach eine Konversation beginnen. Darüber, wie wir mit entsetzlichen Bildern umgehen – oder auch nicht. Es ist ein Experiment. Was passiert, wenn ich meine Selbst-Zensur ausschalte?

Und Bangert weiß sehr gut, dass es nicht einfach ist, diese Bilder anzusehen. Doch daraufhin drängt sich die Frage auf, wie es wohl für Menschen sein muss, die dieses Leiden erleben. Sie können nicht flüchten. Das Privileg der Zensur ist ihnen verwehrt.

War Porn selbst verkörpert dieses Leiden. Nicht nur mit den Bildern, nicht nur mit den zusammhängenden Bildern, sondern auch in seiner Form selbst. Denn: Die Fadenheftung mit offenem Rücken spricht Bände. Das Buch ist offen wie der Rücken eines verletzten Menschen.

War Porn © Christoph Bangert

Eines ist klar: Das Buch ist nicht schön. Es ist gar das Gegenteil davon, denn es zeigt eben ungeschönt die hässliche Fratze des Krieges und der Gewalt. War Porn offenbart das Versagen der Menschen, friedlich zusammenzuleben. Das provoziert. Dessen ist sich Bangert bewusst.

Manche sagen: „Was ist der Sinn davon, solche Dinge zu zeigen? Wir wissen, dass Kriege schreckliche Momente sind.“ Sind wir uns jedoch bewusst, WIE schrecklich Kriege sind? Ja? Warum sind sind wir dann von solchen Bildern so schockiert?

Epilog

Auch, wenn ich mich mittlerweile sehr intensiv mit War Porn auseinandergesetzt habe, ist es mir immer noch nicht gelungen, einen Großteil der perforierten Seiten zu öffnen. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit Bangerts und ich nehme an, dass das Buch noch für sehr viel Aufsehen sorgen wird.

Meine Position als Pazifist wurde durch das Buch nicht geschwächt, sondern gestärkt. War Porn möchte ich jedem, der sich mit der Thematik des Krieges und seinen verheerenden Folgen auseinandersetzen will, empfehlen.

Die Vorderseite des Buches War Porn

Informationen zum Buch

Fotograf: Christoph Bangert
Gebundene Ausgabe: 192 Seiten
Verlag: KEHRER Heidelberg (Mai 2014)
Sprache: Englisch
Größe: 15,8 x 12 x 2,2 cm
Preis: 29,90 €*

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