14. April 2014 Lesezeit: ~4 Minuten

Kammerspiel

Die Vielfalt an Möglichkeiten, die ein junger Mensch heutzutage hat, bezüglich Berufs-, Partnerwahl und Lebensgestaltung, kann Krise und Chance sein. Zeiten des Umbruchs konfrontieren einen mit inneren und äußeren Veränderungen.

Einen einzelnen Lebenslauf habe ich herausgegriffen und näher beleuchtet: Bei meiner Arbeit „Kammerspiel“ handelt es sich um ein Langzeitportrait über einen jungen Mann, der 20-jährig nach Berlin kommt, um Schauspiel zu studieren. Ihn habe ich über 4 Jahre fotografiert, wichtigster Schauplatz war dabei die gemeinsame Wohnung.

Kammerspiel, Akt I © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt I © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt I © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt I © Jenny Fitz

Anfangs war es Neugierde, die mich die Bilder machen ließ, später das Bedürfnis, unser Verhältnis zu erfassen. Ich versuchte, zu verstehen, womit, mit wem ich es zu tun hatte. Was mich immer wieder faszinierte, war die Unberechenbarkeit, mit der er mir und der Kamera begegnete.

Er selbst hat sie oft vergessen, das sagte er mir einmal, trotzdem hat er mit ihr gespielt und kokettiert, um dann plötzlich in sich zusammenzusinken und nichts mehr mitzubekommen, weder von der Linse, noch von mir. Keiner von uns konnte ahnen, dass ich ihn über einen solch langen Zeitraum fotografisch begleiten würde.

Kammerspiel, Akt II © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt II © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt II © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt II © Jenny Fitz

Entstanden ist eine Serie aus 150 Fotografien (Schwarzweiß und Farbe), die sich in 5 Kapitel gliedert. Sie folgt damit der Fünf-Akt-Struktur eines klassischen Theaterstücks. Dabei enthält der erste Akt die Exposition (Einleitung), der zweite die Komplikation (Steigerung), der dritte die Peripetie (Höhepunkt), der vierte die Retardation (Verlangsamung), der fünfte das Dénouement (Entknotung).

Einen Regisseur in dem Sinne gab es aber nicht, da ich nie inszenierend eingegriffen habe. In ihrer chronologischen Abfolge brachten die Bilder ihre eigene Dramaturgie bereits mit und so entwickelte sich eine Mischung aus empathischer Dokumentation und ich nenne es Drama des Alltags.

Kammerspiel, Akt III © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt III © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt III © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt III © Jenny Fitz

Identitätssuche ist ein großes Thema, genauso wie das Ausloten von Verhältnissen – zu anderen ebenso wie zu sich selbst. Es ist eine Geschichte über das Sich-Finden, Sich-Ausprobieren, über das Erwachsenwerden, über Nähe und Distanz. Ein persönliches Portrait, das den Betrachter mitnimmt und ihm möglicherweise auch einen Spiegel vorhält.

Die Bilder erheben nicht den Anspruch, einen Menschen mit all seinen Facetten zu zeigen. Viel mehr erzählen sie von dem Auf und Ab einer suchenden Persönlichkeit im Umgang mit ihrer Umwelt, dem Sich-Öffnen und Verschließen und wie absurd das letztendlich auch ist, vielleicht auch unmöglich, wenn die Kamera mit im Spiel ist.

Kammerspiel, Akt IV © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt IV © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt IV © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt IV © Jenny Fitz

Schon früh hat sich bei mir ein Interesse an 
Langzeitprojekten und dokumentarischem Arbeiten, zunächst 
in der Zeichnung, später in der Fotografie herausgebildet. 
Etwas oder jemandem über Jahre hinweg die nötige Aufmerksamkeit 
zu widmen, birgt für mich eine große Energie, vor allem, um innere Prozesse sichtbar zu machen.

Wie ein Mensch bestimmte Rollen einnimmt, wie er sich in soziale Strukturen einfügt, welche Verhaltensweisen er an den Tag legt, all das lässt sich für mich nur über lange Zeiträume entdecken und ausloten.

Kammerspiel, Akt V © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt V © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt V © Jenny Fitz

Kammerspiel, Akt V © Jenny Fitz

Die wechselseitige Beziehung von Theater und Umwelt ist 
essentielles Forschungsfeld und wichtiger Impulsgeber, 
die Geschlossenheit eines Buches erlaubt mir dabei Erzählung, Konzentration und Verdichtung.

Wichtig für die Entstehung und Weiterentwicklung des Projektes war der regelmäßige Austausch mit anderen Fotografen, Theaterschaffenden und Schauspielern. Ich habe hauptsächlich mit einer analogen Leica gearbeitet, die entstandene Intimität in den Bildern ist nicht zuletzt dem Einsatz von Unschärfe, Grobkörnigkeit und technischer Inperfektion geschuldet.

Das Bild „Küchenflug“ aus dem 2. Akt kam im Jahr 2011 unter die Finalisten des Renaissance Photography Prize, Ende 2013 wurde das Projekt erstmals in einer Ausstellung – als Teil der Gruppenausstellung „So gesehen“, kuratiert von Eva Bertram – präsentiert.

Kammerspiel, Buch © Jenny Fitz

Kammerspiel: 21,5 x 28cm, 280 Seiten, Hardcover, Schweizer Broschur.
Titel mit Schwarz-Weiss-Handabzug auf Oriental-Paper, 150 Abbildungen.
Eine limitierte Auflage ist ab Mai 2014 unter www.jennyfitz.de erhältlich.

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