27. März 2014 Lesezeit: ~5 Minuten

Popkultur im Quadrat

Ein Musiker kommt auf die Bühne, greift in die E-Gitarre und im selben Moment brüllt aus den Marshall-Verstärkern der Ton. Die Fotografie war lange Zeit deutlich betulicher.

Zuerst war sie ein Expertenmedium, dann ein teures Oberschichtvergnügen und selbst, als sie sich in der Kodak-Ära der preiswerten Großlabore demokratisch nannte, vergingen noch zwischen dem Druck auf den Auslöser und dem Betrachten der Bilder einige Labortage, die das fotografierte Erlebnis vom seiner Dokumentation aus Papier trennten.

Erst das Polaroid brachte den Rock’n’Roll in die Fotografie.

Hotdog © Peter Breuer

Das SX70-Polaroid war schnell genug für Andy Warhols Portraits von Bianca Jagger und sein Quadrat perfekt für Walker Evans typographische Fundstücke. Monumental wurde es, wenn Jan Hnizdo Polaroidmaterial in seine riesige Fachkamera spannte.

Die Geschwindigkeit und seine stetig leicht falschen Farben waren Popkultur und verhießen in den 1970er Jahren einen Fortschritt, der es möglich machen würde, bald jedes Bild in hoher Qualität blitzschnell in den Händen halten zu können.

Lange vor Apple und Facebook zählte Polaroid zu den heißesten Aktien der Wall Street: Die „nifty fifty“ waren Zukunftswerte, bei denen das Kurs-Gewinn-Verhältnis uninteressanter war als die explodierende Popularität. Polaroid gehörte dazu, aber auch Eastman Kodak – und beide waren später dem Tempo der Digitalisierung der Fotografie nicht gewachsen.

Mit einer SX70-Kamera zu fotografieren, war analoger als analog. Das Hell-Dunkel-Drehrad veränderte Belichtungszeiten, ohne genaue Zahlenwerte anzuzeigen. Gewählt wurden keine komplizierten Brüche, sondern gefühlte Unterschiede zwischen „bisschen“ und „sehr“. Die perfekte Temperatur für Polaroids lag deutlich über 20 Grad Celsius, das Licht war idealerweise exakt im Rücken und der Himmel satt blau. Kein Wunder, dass David Hockney mit Vorliebe die Kacheln und Lichtbrechungen kalifornischer Pools fotografierte.

Fisch © Peter Breuer

Meine erste eigene Polaroidkamera stammte vom Trödelmarkt. Eine SX70-Alpha Spiegelreflex aus weißem Kunststoff mit brauner Belederung. Zehn Mark kostete die wertvolle Klappkamera – gerade mal die Hälfte eines einzelnen 10er Filmpacks. Meine ersten Versuche waren indes relativ mühsam. Dieses Warten, bis endlich unter der Folie etwas passierte und diese völlig unkalkulierbaren Farben.

Weil ich aus Kostengründen auf abgelaufene Filme setzte, die ich für den halben Preis kaufen konnte, musste ich penibel sauber arbeiten. Immer wieder mal platzte der Chemiebeutel am unteren Ende des Bildes und verschmierte die empfindlichen Walzen im Inneren der Kamera. Damit nicht das nächste Bild durch ein noch ungleichmäßigeres Auspressen beschädigt wurde, waren in der Fototasche ständig Q-Tips und eine Flasche Alkohol zum Säubern.

Kaffeefilter © Peter Breuer

Um den fast zwangsläufigen Farbstich zu kontrollieren, begann ich, mit Kunstlicht und Farbfiltern von Lee zu arbeiten. Mit seltsamen Aufbauten auf dem Bügelbrett, ausgeschnittenen Lichtformern aus Fotokarton und Baumarktklemmen. Was mich 1989 besonders faszinierte, war Foodfotografie – das schien einerseits am wenigsten zum SX70-Polaroid zu passen, ließ sich aber andererseits hinterher oft noch verzehren.

Glücklicherweise hatte ich über Umwege irgendwann eine Verbindung zu Polaroid in Offenbach und konnte dort mein abgelaufenes Material in Kartons kaufen. Das machte das Fotografieren immer noch nicht billig, aber wenigstens halbwegs bezahlbar.

Wurst © Peter Breuer

Im Laufe der Zeit entstanden viele Hundert Fotos von Lebensmitteln und eine Serie von Fast-Food-Motiven für das ZEIT-Magazin, die meine damalige Wohnung in einen fetttriefenden Ort verwandelte: Schließlich hatte ich mein „Studio“ immer noch auf einem Bügelbrett aufgebaut und selbst die Fotos, die nach einer echten Location in einem Eckimbiss aussahen, waren in Wirklichkeit nur angeschraubte Neonröhren auf einer Holzplatte, die ich mit Tapete aus einem Abbruchhaus bekleistert hatte.

Diese Improvisationen passten einfach perfekt zur Unfertigkeit des Polaroid-Materials. Und je länger ich mich damit beschäftigte, desto angenehmer blieben die SX70-Bilder hinter den arschglatten Bildwelten zurück, die mit dem damals neuen Photoshop entstanden. Die Einzigartigkeit der Bilder macht ihren zusätzlichen Reiz aus – es sind eben keine Abzüge, sondern Unikate.

Das Polaroid als Gesamtkunstwerk aus dickerem Rahmen, Klarsichtfolie und der belichteten farbigen Schicht dahinter ist ein Objekt und entzieht sich sperrig seiner Verdopplung. Es besteht nicht aus Daten, man kann es anfassen und der Akt des Weitergebens ist tatsächlich ein Geschenk, bei dem der Beschenkte etwas besitzt, was der Verschenkende dann nicht mehr hat.

Korken © Peter Breuer

Es ist kein Zufall, dass das Fotonetzwerk Instagram in dem Moment blitzschnell populär wurde, als die Handykameras den Perfektionsgrad von eigenständigen Digitalkameras erreichten. Das von Polaroid entlehnte Logo, die per Filter einrechenbaren Bildfehler, Unschärfen und Fehlfarben entsprechen dem zutiefst menschlichen Wunsch nach Originalität und kuscheligem Rückbesinnen auf eine von Hand gemachte Ästhetik.

Gepaart mit der Schulhofromantik des sich gegenseitig Bilderzeigens ist Instagram ein warmer Ort in der Flut der Bilder. Natürlich ist Instagram selbst eine große Welle in diesem Ozean, aber eine Hinterhofmanufaktur war Polaroid schließlich auch nicht.

Zitrone © Peter Breuer

Wie sehr Polaroid ein popkulturelles Phänomen des Westens ist, zeigte sich Anfang der 90er Jahre, als Einbrecher in ein Schweriner Fotogeschäft einstiegen: Munter fotografierten sie sich mit Sofortbildkameras gegenseitig und ließen ihre Bilder – enttäuscht, weil sie nicht wirklich sofort ein Bild zeigten – am Tatort liegen. Als die Polizei später eintraf, hatten sich die Bilder entwickelt und die Täter wurden ermittelt.

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