14. März 2014 Lesezeit: ~4 Minuten

Nature morte

Am 14. Februar 2014 fegte der Sturm Ulla über die Küsten des Finistère in der Bretagne hinweg.
Dies war nun schon der vierte schlimme Sturm innerhalb von weniger als zwei Monaten, mit verheerenden Konsequenzen für die Küstenlandschaft und die dort lebenden Meeresvögel.

Als ich am Morgen des 15. Februars den Strand von la Torche entlang spazierte, wurde ich Zeuge der Schäden, die die Winterstürme verursacht hatten.

Nature morte © Annick Henricy

Die hohen Gezeitenkoeffizienten verbunden mit Windgeschwindigkeiten bis zu 150 Stundenkilometern hatten Dünen über mehrere Meter landeinwärts weggespült. Der Strand war übersät mit Müll und zahlreiche tote Vögel waren angeschwemmt worden.

Nachdem ich eine Weile spaziert war und mir alles genauer angeschaut hatte, nahm ich mir vor, dieses Szenario im Bilde festzuhalten. Je länger ich mich umschaute, desto weniger sah ich den Müll. Vor meinem inneren Auge entstanden kleine Stillleben, die ich nun versuchte, mit meinem Fotoapparat festzuhalten.

Nature morte © Annick HenricyNature morte © Annick Henricy

Diese Stillleben sind Zeugnisse vom Handeln des einzigen müllproduzierenden Lebewesens, dem Menschen, und den Konsequenzen seines Verhaltens für Natur und Umwelt. Ich habe diese Fotoreihe „nature morte“ genannt, was die französische Übersetzung für „Stillleben“ ist. Wortwörtlich übersetzt heißt es „tote Natur“.

Nature morte © Annick Henricy

Am Strand begegnete ich einem älteren Seefahrer, Jahrgang 1939, der mir erklärte, woher ein Teil dieses Mülls stammt. Er erinnerte sich noch gut an seine Kindheit und daran, wie er als Sechsjähriger nach dem Krieg in den Bunkern spielte, die während des Krieges in die Dünen gebaut worden waren.

Durch die seit dem Zweiten Weltkrieg eingetretene Erosion ist die Küstenlinie an vielen Stellen um einige Dutzend Meter zurückgedrängt worden. So liegen diese Bunker heutzutage im Meer und sind bei Flut teilweise überschwemmt.

Nature morte © Annick Henricy

In den sechziger Jahren blühte die Baubranche im Finistère. Für die Bauunternehmer lag es auf der Hand, dass sie sich ihren Sand in den Dünen beschafften, wobei große Löcher entstanden. Es war zwar nicht legal, aber niemand störte sich daran. Die Löcher wurden wiederum genutzt, um Bauschutt oder sonstigen Müll zu entsorgen.

Schlussendlich wurde diese illegale Deponie mit Sand zugeschüttet und es wuchs wortwörtlich Gras über die Sache. Leider hatte niemand die Erosion der Dünen bedacht. Und so kam es, dass bei den letzten Stürmen die Deponie wieder freigeschwemmt wurde.

Nature morte © Annick Henricy

Als ich auf diesen freigeschwemmten Müll stieß, fiel mir das Sprichwort von Antoine Laurent de Lavoisier ein: „Rien ne se crée, rien ne se perd…“ – „Nichts entsteht ganz neu, nichts geht verloren…“

Ich habe auch die jüngste von Menschenhand gemachte Verschmutzung dokumentiert. Während des Sturms Ulla waren 520 Container von einem Schiff gefallen. Die Ladung eines dieser Container, Hotelpantoffeln, ist auch an den nahegelegenen Stränden an Land gespült worden.

Nature morte © Annick Henricy

Wie viel in Sachen Umweltschutz bereits getan wäre, würde der Mensch auf sinnlosen Konsum wie Hotelpantoffeln verzichten?!

Das ganze Jahr über findet man am Strand kleine weiße und bunte Plastikkügelchen. Auf Französisch tragen sie den lieblichen Namen „larmes de sirène“, zu Deutsch also „Meerjungfrauentränen“.

Die Realität dahinter ist jedoch eine viel hässlichere. Es handelt sich hierbei um den giftigen Rohstoff für Plastikware, der durch unangemessenen Transport immer wieder ins Meer gelangt. Die Meeresvögel halten die Kügelchen für Nahrung, fressen sie und sterben daran.

Nature morte © Annick Henricy

Meine Fotos wollte ich schön gestalten. Die verstörende Realität verband ich mit dem schönen Licht der Sonne. Mit diesem Gegensatz versuchte ich, die Konsequenzen menschlichen Handelns auf die Umwelt zu verdeutlichen.

Ich möchte Denkanstöße geben, denn wie ein altes indianisches Sprichwort sagt: „Die Erde ist kein Geschenk unserer Eltern, unsere Kinder leihen sie uns!“

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