20. Februar 2014 Lesezeit: ~3 Minuten

Spuren des Handelns

„Was fotografierst du eigentlich?“ – die Frage nach dem fotografischen Schaffen ähnelt der Frage nach musikalischen Vorlieben. „Eigentlich alles!“ will man vielleicht vorschnell entgegnen, was jedoch die Gefahr birgt, der Gruppe jener zugeordnet zu werden, denen es egal ist, was sie hören oder fotografieren.

Als es nun darum ging, meine fotografische Motivation in Text zu fassen, war der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun nicht mehr länger aus dem Weg zu gehen. Was fotografiere ich eigentlich? Lässt sich da ein Muster erkennen?

© Florian Thein

© Florian Thein

Was haben eine rosa Elefantenrutsche, eine informelle Siedlung in Usbekistan, skulptural aufgetürmter Sperrmüll, eine technische Wandbeschriftung und eine Straßenkreuzung aus der Vogelperspektive miteinander zu tun? Nur in wenigen meiner Fotos sind Menschen zu sehen oder einzelne Personen zentrales Thema. Man könnte meinen, dass ich an Menschen kein Interesse habe.

Das Gegenteil ist der Fall – was mich jedoch besonders interessiert, sind von Menschen hinterlasse Spuren. Das achtlos weggeworfene Brötchen, ein Autoaufkleber, ein dilettantisch repariertes Objekt, aber auch Architektur, ein Graffiti – all das sind Produkte von Entscheidungsprozessen und Handlungen.

© Florian Thein

© Florian Thein

Auf gewisse Weise sind diese Zeugnisse menschlicher Existenz ehrlicher als ein Portrait, sie zeigen unmittelbar den aktiven Einfluss des handelnden Menschen, des Individuums auf unsere Umwelt. Jede einzelne Handlung folgt einer Motivation, sei sie politisch, idealistisch, hedonistisch oder zufällig – ihre Spur bildet unmittelbar den Wesenszug des Handelnden ab.

Entscheidung und Handlung, ob unbewusst oder bewusst getroffen und ausgeführt, lassen die Umwelt zur gelebten Umwelt mit dem Menschen als Benutzer und Gestalter werden. Treffen Spuren sozialer Akteure verschiedener Herkunft, Bildung, oder mit unterschiedlichem Gestaltungsanspruch aufeinander, entwickelt sich aus der Verdichtung der Handlungsstränge oft eine besondere Ästhetik. Die Summe der individuellen Handlungen bildet letztlich die Beschaffenheit unserer Gesellschaft ab.

© Florian Thein

© Florian Thein

Spuren verfügen über narrative Anhaftungen, ihnen wohnt die Geschichte der Handlung zu einem vergangenen Zeitpunkt inne. Sie weisen unterschiedliche Qualitäten auf und sie sind stetiger Dynamik und Transformation erlegen. Spuren im Raum liegen als Skulpturen des Handelns direkt vor uns, jeden Tag, jede Sekunde – sie wollen nur herausgeschält, herauspräpariert werden.

In diesem Sinne begreife ich Fotografie als eine Art anthropologisches Werkzeug, das es ermöglicht einen Zustand dieser sich permanent fortschreibenden Spuren festzuhalten. Gleichzeitig versucht meine Fotografie oft eine alternative Lesart, indem sie die Bildwirksamkeit im Chaos, die Ästhetik im Unort sucht.

© Florian Thein

© Florian Thein

Stundenlanges Inszenieren, geduldiges Arbeiten mit Stativ, Hochglanzfotografie und ausgefeilte Postproduktion liegen mir nicht, ich fotografiere eher als aufmerksamer Flaneur und lasse mich gern von Situationen überraschen. Die vielbemühte Authentizität sehe ich mit einfachen Mitteln adäquater umgesetzt.

Dennoch versuche ich, möglichst sauber zu arbeiten, das Vorgefundene präzise zu komponieren und die von mir empfundene Besonderheit herauszuarbeiten. Klassische Ordnungsprinzipien bestimmen dabei oft den Bildausschnitt. Ziel ist für mich die gleichwertige Behandlung verschiedener Spuren und ihrer gestalterischen Auswirkung im direkten Kontext.

© Florian Thein© Florian Thein

Wenn das scheinbar Banale etwas Erhabenes bekommt und als Kulturproduktion wahrnehmbar wird, erfüllt das Foto für mich seinen Zweck.

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