19. November 2013 Lesezeit: ~6 Minuten

Gesichter erzählen Geschichten – Menschen aus Westnepal

Seit rund sieben Jahren arbeite ich, als Fotograf ehrenamtlich, für die Hifsorganisation Govinda. Der Verein unterstützt in Nepal rund 5000 hilfsbedürftige Menschen. Im Frühjahr 2013 bin ich zum vierten Mal nach Nepal gereist. Mein Ziel war, Fotografien für den Jahreskalender des Vereines zu machen und die Arbeit von Govinda zu dokumentieren.

Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt; die Menschen dort gehören zu den herzlichsten, denen ich je begegnet bin. Von 1996 bis 2006 tobte ein blutiger Bürgerkrieg in Nepal, das Ergebnis waren Tausende Tote und eine völlig unstabile politische und wirschaftliche Situation. Unterdessen hat sich das Land wieder etwas erholt.

Aber auch heute gibt es täglich stundenlange Stromausfälle und lange Warteschlangen vor den Tankstellen, die das exklusive Benzin nur zu gewissen Tageszeiten verkaufen. Betroffen sind vor allem Taxi- und Lastwagenfahrer. 80 Prozent der Bevölkerung leben ohne eigenen Wasseranschluss im Haus.

Santi © Christoph GysinSapana © Christoph Gysin

Die Portraits, die ich hier zeige, sind in der Karnalizone im Nordwesten von Nepal entstanden – fern von den Touristenzentren des Landes. Die großartigen Bergkulissen des Anapurna-Gebiges und des Mounteverest befinden sich in der nördlichen Mitte des Landes und im Nordosten.

Zum Jahreswechsel von 2006 auf 2007 war ich das erste Mal in Nepal. Zusammen mit einem Journalisten und Jugendfreund arbeitete ich am Buchprojekt „Die Kinder von Shangrila“ für Govinda. Wir haben Portraits von Waisenkindern in Text und Bild erstellt.

Im Jahr 2008 bin ich während meiner zweiten Nepalreise zum ersten Mal in die Karnalizone in Westnepal gereist. Von Kathmandu aus fliegt täglich ein Flugzeug der Firma Yeti Airlines nach Nepalgunj. Die Stadt Nepalgunj, übersetzt „Tor nach Nepal“, liegt im Südwesten des Landes und ist ein Grenzort zu Indien.

Von Nepalgunj aus ging die Reise – nach langer Wartezeit am Flughafen – mit einer fragilen Propellermaschine nach Norden ins Gebirge. Nach einer knappen Stunde landete die Maschine, eine Dornier 228, auf dem kleinen, von Stacheldraht umzäunten Flughafen von Jumla. Der Ort war während des Bürgerkriegs die Hochburg der maoistischen Rebellen.

Suchana Kami © Christoph GysinYem © Christoph Gysin

Das Licht war grell und die Luft warm und staubig. Menschen warteten mit einer primitiven Tragbahre am Rand des Flugfeldes. Sie kamen von weit her, um eine schwerkranke Frau mit dem nächsten Flug nach Nepalguj zu bringen. Bestimmt hatte die ganze Familie ihr Geld zusammengelegt, um den Flug zu bezahlen. Diese Szene hat mich damals sehr berührt. Die medizinische Versorgung dort oben in den Bergen ist auf das Einfachste reduziert – das lokale Spital muss mit einem Jahresbudget von 1500 Euro auskommen.

Im Jahr 2008 gab es noch keine Straße, die nach Jumla führte und darum auch keine Autos oder Motorräder. Sämtliche Waren wurden durch die Berge getragen, unter anderem auch Baumaterial für Häuser und Brücken. Heute, fünf Jahre später, führt eine schlecht befestigte, gefährliche Straße nach Jumla. Entlang dieser Straße sind viele neue Geschäfte und Übernachtungsmöglichkeiten entstanden – es herrscht eine Art Goldgräberstimmung, jeder will von der neuen Verkehrsader profitieren.

Von Jumla aus besuchten wir in ein- bis zweitägigen Fußmärschen die Dörfer der Region. Auf dem Weg dorthin begegnet man immer wieder Frauen, die sperrige und schwere Lasten auf ihren Rücken von einem Ort zum anderen transportieren. Bei ihren kurzen Verschnaufpausen rauchen sie gelegentlich gemeinsam mit ander Trägerinnen eine Haschischpeife – vielleicht, um die körperlichen Strapazen etwas zu mildern. Wenn man die Trägerinnen mit einem freunlichen „Namaste“ und einer leichten Verneigung begrüßt, fangen sie an, zu kichern.

Bijula Aidi © Christoph GysinSune Budha © Christoph Gysin

Die Dörfer und die Menschen, die dort leben, sehen aus, als wären sie aus einer vergangenen Zeit. In den Dörfern leben ausgesprochen viele Kinder. Man bekommt fast den Eindruck, die Dörfer würden von den wilden und staubigen Kleinen beherrscht.

Bereits bei meinem ersten Besuch in Westnepal war ich von den ausgeprägten Gesichtern dieser Menschen fasziniert. Bei der Planung meiner letzten Reise im Frühjahr 2013 wusste ich, dass ich diese Menschen unbedingt portraitieren wollte.

Die Portraitserie entstand in den Bergdörfern Puru, Godasim, Pipalgaon, Luma und Padmara. Mein Ziel war, die Menschen so authentisch wie möglich zu portraitieren. Das heißt, ich habe die Leute genau so fotografiert, wie ich sie angetroffen habe. Ich nahm keinen Einfluss auf Kleidung, Schmuck, Kopfbedeckung und so weiter. Durch meinen kleinen, improvisierten Studioaufbau mit Hintergrund, Stuhl, Blitz und Stativ waren die Leute während den Aufnahmen sehr konzentriert.

Sukabir  © Christoph GysinTilak  © Christoph Gysin

Das Fotokonzept habe ich vor meiner Abreise gemacht, dadurch konnte ich mich – trotz der vielen Schaulustigen – wärend des Fotografierens voll auf meine Arbeit konzentrieren. Es war mir klar, dass ich nicht viel Gepäck mitnehmen konnte. Alles musste, neben Schlafsack und ein paar Kleidern, in einen Rucksack passen. Mein Fotomaterial bestand aus einer Kamera, zwei Objektiven, einem Systemblitz mit Schirm, zwei leichten Stativen und einem grauen Stoff als Hintergrund – schwer war der Rucksack dann trotzdem.

In den Dörfern habe ich jeweils einen gedeckten schattigen Ort gesucht, um mich einzurichten. Die Dorfbewohner waren natürlich neugierig und beobachteten mich gespannt. So konnte ich mir die vielversprechendsten Gesichter in aller Ruhe aussuchen. Auf die Frage, ob ich sie porträtieren dürfe, bekam ich meistens eine positive Antwort.

Heute macht es mich glücklich, dass ich diese Leute so nah portraitieren konnte. Ich denke, die Bilder erzählen etwas über das Leben der Menschen. Einige der Portraitierten gehören zur Kaste der „Dalits“, man nennt sie auch die Unberührbaren. Sie haben in Nepal nur wenige Rechte und dürfen nur die unterste und schmutzigste Arbeiten verrichten. Die Fotografien dieser Menschen haben für mich einen ganz besonderen Wert.

Namaste.