15. November 2013 Lesezeit: ~4 Minuten

Wenn ich meine Augen schließe

… ganz still bin, in mich hineinhöre und versuche, mich zu erinnern, dann erscheint es mir, ich blättere in meinem Gedächtnis, als sei es ein Buch. Eines dieser alten, in Leder gebundenen Werke, die nach Staub, Regen und Sonnenlicht riechen und die durch so viele Menschenhände gewandert sind.

Eines, das zwar gebraucht und abgewetzt ist, vielleicht schon beginnt, auseinanderzufallen, aber das so reich ist an Worten wie kein anderes, das aus allen Nähten platzt vor Erinnerungen. Dieses Buch ist wie mein eigenes Spiegelbild. Und doch sind es nicht die Worte, die letztendlich für mich sinngebend sind, sondern viel mehr das Sich-dabei-Erinnern.

© Teresa Schreibweis Torrents

Die Bilder, die plötzlich vor dem inneren Auge auftauchen, während Du Seite für Seite durch Deine Finger gleiten lässt. Ein Schmunzeln wird sich in Dein Gesicht stehlen, ohne dass Du recht weißt, warum. Bild um Bild wird zu einem Ganzen, als hätten sie nur darauf gewartet, dass Du die einzelnen Teile wieder zusammenfügst.

Begriffe wie Zeit und Ort erscheinen Dir dabei so verschwommen wie unwichtig. Zu viel Information hat sich über die Jahre in Deinem Gedächtnis festgesetzt, als dass Du Dich an solche Dinge zu erinnern vermagst, zumal Zeit und Ort in der Erinnerung eine nur sehr kleine Rolle spielen.

Es ist etwas ganz anderes, was Dein Unterbewusstsein als erinnernswert empfindet und ein Bild davon abspeichert. Es sind Dinge, die Du im eigentlichen Moment vielleicht gar nicht bewusst in Dir aufgenommen hast, die aber gerade deshalb so unwiderruflich ein Teil Deiner Selbst geworden sind.

Andreas © Teresa Schreibweis Torrents

Und während sich die Bilder nun zusammenfügen, wirst Du erkennen, dass sich aus dem Nebel heraus Augen formen. Wunderschöne, strahlende Augen, die Dich so sehr zu fesseln vermögen, wie an dem Tag, an dem Du ihnen begegnet bist. Und wie damals werden sie Dir immer noch etwas melancholisch erscheinen, aufmerksam und beobachtend, sanft und warm, aber gleichzeitig wachsam und misstrauisch und wie damals wirst Du Dich auch jetzt noch in ihrer Tiefe verlieren. Wie von selbst werden Nase und Mund, Wangen, Stirn und Kinn entstehen.

Isa © Teresa Schreibweis Torrents

Es heißt, wenn Zeit vergeht, erinnert man sich nur noch an die schönen Details. Aber ist es nicht viel mehr so, dass man sich mit der Zeit einfach traut, zu erkennen, dass Hässliches oft bloß als Synonym für Markantes benutzt wird? Und dass es gerade diese Unregelmäßigkeiten sind, die eine Person zu einem Individuum, zu etwas Besonderem machen?

So formt Deine Erinnerung ein Bild nach dem anderen, von Menschen, denen Du begegnet bist in Deinem Leben. Die Dich geprägt haben auf ihre besondere Weise, sei es für bloß einen kurzen Augenblick oder eine halbe Ewigkeit. In Deinem Gedächtnis entstehen dabei keine perfekten Bilder der Symmetrie oder Ebenmäßigkeit. Ganz im Gegenteil. Das Wort Schönheit erscheint Dir plötzlich als so entsetzlich ungenau und unzureichend, um damit einen Menschen in seiner Ganzheit erfassen und zu beschreiben vermögen.

Jens © Teresa Schreibweis Torrents

Meine Fotografie beobachtet still und aufmerksam. Sieht den Menschen in all seinen Facetten, ob analog oder digital, in seinen schillerndsten Farben oder in seinen düstersten Grautönen.

Man hat schon oft Fotografien als den Versuch beschrieben, Erinnerung festzuhalten. Wenn ich nun meine Fotografien betrachte, in den Gesichtern dieser Menschen lese, mich von ihnen mitnehmen lasse auf ihrer Reise, ob sie nun traurig sind, glücklich lächeln, verschlossen oder offen sind, so ist es sicherlich auch ein Versuch, Momente für immer festzuhalten.

Erinnerung zu schaffen aus Angst oder aus der Überzeugung heraus, dass sie vergehen werden. Doch das ist nur ein Aspekt und erklärt noch nicht, warum gerade Menschen mich so sehr in ihren Bann ziehen.

Meine Fotografie entsteht aus dem Bedürfnis heraus, den Menschen als etwas wundervoll Vielschichtiges zu beschreiben. Auf diese Weise versuche ich, ihren Charakter und ihre Geschichte auszudrücken und forme letztendlich so auch meine Erinnerung, mein Gedächtnis. Denn ihre Geschichte ist schließlich auch meine Geschichte, ein Teil meiner Selbst.