05. Oktober 2013 Lesezeit: ~4 Minuten

Das Wir in mir

In den drei Jahren, in denen ich mich jetzt der Fotografie gewidmet habe, hat sich für mich eines deutlich herausgestellt: Kein Modell auf der Welt wird die Gedanken, die ich fühle und denke so ausdrücken können, wie ich sie einfangen möchte.

Vielleicht kratzen sie haarscharf am Ziel vorbei und geben insgesamt ein authentisches Bild. Aber wenn ich da stehe, vor der Kamera, und mir in den Kopf rufe, um was es mir eigentlich geht, automatisiert sich der ganze Prozess und die Sache kommt so, wie sie auch in echt ist. Wie ich sie auch wirklich meine.

Nun, es ist plausibel; jemand modelt für sich selbst, verständlich. Aber welche Frage mir in letzter Zeit häufig gestellt wurde, ist: Warum fotografiere ich mich mehrmals in einem Bild?

2 © Nikolas Brummer

Damit bin ich wohl auch nicht der einzige. Große Fotografen und auch viele aus dem Genre „Jugendlich + Facebookfanpage“ versuchen sich an dieser Darstellung einer multiplen Persönlichkeit. Marwane Pallas hat ein paar sehr gelungene Versuche.

Der Eindruck ist surreal. Irgendwie muss dieses Bild im Nachhinein bearbeitet worden sein oder die Person hat zufällig vier identisch aussehende Geschwister.

Der Ausdruck hingegen ist eigentlich offensichtlich: Hier geht es um die Relation eines Menschen zu sich selbst. Es geht nicht um den Bezug zur Außenwelt, zur Gesellschaft, zu einer realen Person, sondern einfach nur darum, in welchen Beziehungen und auf welche Art und Weise wir zu uns selbst stehen.

Meinen ersten plakativen Versuch an der Thematik hatte ich mit den Bildern „inner voices“ und „in peace“ getan, die in direkter Verbindung und somit im Kontrast zueinander stehen.

3 © Nikolas Brummer

Der Gedanke war, zwei Selbstportraits zu machen. Was mir dabei aber auffiel – und vor allem zu dieser Zeit war das verstärkter: – ich kann mich gar nicht nur einmal darstellen. Meine Stimmungen und vor allem mein Selbstbild überschlagen sich so in ihrer Vielfalt, dass sich das eigentliche „Ich“ ja daraus ergeben müsste.

Also machte ich Fotos von zwei Extremen: Der „vollendeten Zufriedenheit“ und dem „totalen Chaos“. An letzterem lässt sich dann gut beschreiben, was dieses Sich-selbst-mehrmals-Fotografieren bewirkt: Selbsthass, Selbstverletzung, der Wunsch, vor sich selbst zu fliehen, der Drang, sich selbst zu vergessen – all das konnte ich in einem Bild vereinen.

Menschen sind alles andere als einseitig. Die ausdruckstärksten Portraits wirken dadurch, dass sie dem Menschen Facetten geben. Natürlich bricht jene Technik diese Regel, weil sie die Facetten eines Menschen einzeln darstellt und in einem Bild vereint, ohne ein klassisches Portrait zu bleiben.

4 © Nikolas Brummer

Aber wie schon zuvor gesagt: Es ist nicht nur die eigentliche Facette, die angesprochen wird. Es ist auch ein Ausdruck dessen, wie wir zu uns selbst stehen.

In den letzten Monaten kristallisierte sich für mich eines meiner größten Probleme und Freuden zugleich heraus: Egal, was ich tun und machen würde, wie eine zweite Person würde ich mich dabei beobachten, Schlüsse ziehen, Urteile fällen.

Selbstreflexion führt einen weiter, hat mir mal ein Freund gesagt, aber sie kann einen auch ziemlich verwirren. Irgendwann verschwimmt dann die Linie zwischen der eigentlichen Intention und dem Anspruch, diese fiktive zweite Person zufriedenzustellen.

1 © Nikolas Brummer

Und da ich ein ungesundes Interesse daran habe, das darzustellen, was mich am meisten runterzieht, um es dann noch glasklarer vor mir stehen zu haben, packte ich mich ein zweites Mal in ein Bild mit rein. Beim Rauchen, im Garten … und die Serie ist noch längst nicht vollendet. Sie könnte praktisch endlos weiterlaufen.

Denn das ist der Punkt: Egal, was man tut, was man macht, so ist es für mich und wohl viele andere Menschen. Die Möglichkeit, sich dabei Gesellschaft zu leisten, ist immer da. Die einzige Beziehung, an der wir wirklich immer arbeiten, ist die Beziehung zu uns selbst. Ob das nun gut oder schlecht ist, ist etwas anderes. Auf jeden Fall fühle ich mich nicht einsam.