26. September 2013 Lesezeit: ~13 Minuten

Im Gespräch mit Miriam Schmalen

Hallo Miriam, stell Dich doch erst einmal vor: Wer bist Du und was machst Du?

Ich heiße Miriam, studiere zur Zeit Kommunikationsdesign in Aachen und arbeite als freiberufliche Fotografin und Grafikerin. Vor meinem Studium habe ich sechs Jahre lang als Grafikerin beim Egmont-Verlag in Köln gearbeitet.

Das war für den Einstieg das Beste, was ich machen konnte, denn ich habe dort das gelernt, was im Berufsleben und in der Branche heutzutage auch ein wichtiger Aspekt ist: Motivation, Disziplin und Belastbarkeit.

Es war oft nicht leicht, um 5 Uhr morgens aufzustehen und erst um 19 Uhr wieder nach Hause zu kommen, gerade wenn alle Freunde parallel das Studentenleben genießen. Ich weiß mein Studium nun umso mehr zu schätzen.

Ich glaube, viele wissen gar nicht, was das für eine tolle Möglichkeit ist und wie entspannt die Zeit verläuft. Der Job hat mich sehr selbstständig gemacht, ich kriege immer wieder von Kunden die Resonanz, wie zuverlässig und gewissenhaft ich arbeite.

Du hast also einerseits die heftigen Anforderungen des Markts und andererseits die schönen Seiten des kreativen Berufs mitbekommen?

Ja, es ist auch fachlich und inhaltlich vorbereitend gewesen, dass ich im Verlagswesen war. Das, leider recht monotone, Setzen der Bücher hat mein Auge für Typografie und Layout geschult.

Außerdem habe ich mir mit den sechs Jahren Arbeit das sehr unkomplizierte und elternunabhängige BAföG erarbeitet. Mir war es wichtig, keinem auf der Tasche zu liegen und autark studieren zu können, den Studienverlauf ohne Druck und schlechtes Gewissen selbst planen zu können.

Im Studium denke ich mir manchmal: Leute, Ihr seid mit Eurem Haushalt und dem Studium schon überfordert, dabei kann man noch sehr gut mindestens 15 Stunden nebenbei arbeiten. Sich selbst etwas zu erarbeiten finde ich sehr wertvoll, vielleicht bin ich da aber auch zu idealistisch.

Ich war ohnehin schon immer sehr aktiv, meine Motivation und meine Neugier geben mir großen Antrieb und Handlungsbereitschaft. Ich brenne für meine Arbeit, oft macht sie einfach Spaß und wenn einmal nicht, dann sehe ich das ganz trocken und realistisch als lebenserhaltende Pflicht.

© Miriam Schmalen

Wie nimmst Du Dein Studium wahr, wenn Du aus der Praxis kommst, eine „Macherin“ bist?

Ich sauge den Input auf wie ein Schwamm (jedoch mit Filterfunktion), stehe im regen Austausch mit Kommilitonen und rocke nebenbei noch private Projekte und Aufträge. Im Beruf musste ich mir meinen Input immer selbst suchen, dadurch habe ich mir jedoch ein großes und vielseitiges Netzwerk Kreativer aufgebaut. Ich genieße das Studium mit all seinen Möglichkeiten wie etwa dem finanzierten Auslandssemester.

Die Reflexion und Resonanz anderer ist gerade im Kreativen sehr wichtig. Der eigene Blick ist oft sehr subjektiv und teilweise sogar festgefahren. Objektive und vielseitige Kritik ist wichtig, Testpersonen sozusagen.

Wie bist Du dann eigentlich zur Fotografie gekommen?

Mein Vater hat noch analog fotografiert und selbst entwickelt. Wir hatten nach unseren Reisen immer gemütliche Dia-Abende, noch so richtig mit einem alten Projektor, die mich begeistert haben. Fotografie – das Medium fand ich schon früher immer sehr beindruckend und war ganz gebannt.

Obwohl ich jetzt fast ausschließlich digital arbeite, inklusive aufwändiger Retusche und Manipulation durch Photoshop, bin ich trotzdem ein sehr analoger Mensch. Ich schätze die ursprüngliche Art und Weise des Fotografierens, liebe die Haptik eines Fotos auf Barytpapier und bin Freund des Handwerklichen.

Die Fähigkeiten in Retusche und Lichtsetzung habe ich Dank meinem lieben Freund Mat erlernt, ein von mir hoch geschätzter Fotograf und Filmemacher. Mein Ziel vor zwei Jahren war es, ein Bild zu schaffen, das in einem Hochglanz-Magazin erscheinen könnte. Das Handwerk als Fundament zu erlernen, auf dem man dann flexibel aufbauen kann.

© Miriam Schmalen

Du lernst die Technik, um dann hinterher die Regeln aber auch wieder zu brechen?

Ja, auf jeden Fall. Ich plane zwar immer ein konkretes Grundkonzept, bringe aber die Offenheit und Flexibilität mit, Veränderungen zuzulassen. Im Team ist viel Potential für gegenseitige kreative Befruchtung, Weiterentwicklung und neue Wege. Ideen entwickeln sich dann oft noch einmal in eine andere Richtung. Ich arbeite gern konzeptuell, diese Fähigkeit ist gerade bei Kundenaufträgen sehr wichtig, ich mag aber auch den Einfluss des Zufalls.

Anfangs habe ich mich immer gefragt, ob ich mich mit den Modellen gut verstehen würde, es war also eine Frage von Oberflächlichkeit. Aber ich habe dann nur positive Erfahrungen gemacht und mit einigen immer noch regelmäßigen Kontakt. Da ist einfach ein netter Austausch und eine kreative gemeinsame Arbeit entstanden.

© Miriam Schmalen

Das ist spannend, wenn kreative Köpfe aufeinander treffen, die eine Wellenlänge haben.

In letzter Zeit bin ich aber auch wieder viel mehr „back to the basics“ gegangen. Ich arbeite nicht mehr im großen Studio mit Profi-Team, sondern wieder bei mir zu Hause. Meist ist es wie eine nette Verabredung mit dem Modell, man schnackt gemeinsam bei einem Käffchen und dann geht’s los.

Ich habe drei Jahre am Theater Aachen ausgeholfen, dort das Bühnenbild und die Requisite unterstützt, das kommt mir bei den Shootings zugute. Ich schminke auch wieder häufiger selbst und kann so meine Ideen sehr zielgerichtet selbst verwirklichen – Malerei am lebenden Objekt.

Ich habe eine hohe Wertschätzung und Respekt einem professionellen Team gegenüber, aber mir persönlich gibt es für meine Entwicklung und Entfaltung mehr, aktuell auf diese sehr reduzierte Art zu arbeiten. Ich möchte wieder mehr ausbrechen und freier arbeiten, abseits des Mainstreams.

© Miriam Schmalen© Miriam Schmalen

In den Bildern, die ich von Dir im Kopf habe, verbindest Du die Fotografie oft mit grafischen Elementen. Die erste Arbeit, die ich von Dir gesehen habe, war die Serie „Papercraft“.

Ja, das waren Fotos mit Papercraft-Mode. Diese Serie wurde in einem griechischen Designmag und auf „Design made in Germany“ veröffentlicht, was zeigt, dass der Designaspekt doch sehr präsent war und gut ankam. Im Moment gibt es eine große Papercraft-Bewegung, alle machen etwas mit Papier. Damals ging es mir darum, eine sehr puristische, grafische Wirkung zu schaffen und interessante Licht-Schatten-Spiele zu kreieren.

Verliert etwas für Dich den Reiz, wenn Du das Gefühl hast, das machen jetzt alle? Brauchst Du dann etwas ganz Neues?

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die so individuell sein müssen, dass sie sich über Wiederholungen oder Überschneidungen grün und blau ärgern. Ich brauche keine Vorreiterstellung, möchte jedoch auch nicht Bilder servieren, die schon hundert Mal zu sehen waren. Man nimmt über den Tag viel auf, teilweise unterbewusst, wird ständig inspiriert. Man kann das Rad nicht neu erfinden, aber es in der eigenen Handschrift weiterentwickeln.

© Miriam Schmalen

Das betrifft nicht nur Deine Konzepte, sondern auch die Wahl Deiner Modelle.

Irgendwann war „schön“ einfach nur noch langweilig und unecht. Ich orientiere mich immer mehr an interessanten Persönlichkeiten, arbeite deren Merkmale heraus oder überziehe sie sogar. Das Bild als Ergebnis hängt auch sehr vom Modell ab. Ich würde gern noch sehr viel abgedrehter arbeiten, aber teilweise sind die Modelle gehemmt, sich anders zu geben als sie es gewohnt sind, weil sie in diesem Musterschema des angeblichen Ideals arbeiten (müssen).

Anders Dae Joon, meine Muse. Sie hat manchmal einen fast wahnsinnigen Blick, ein erschrockenes Gesicht und bringt die exotischsten Posen und Verrenkungen hervor. Eine Mischung aus Porzellan-Puppe und Alien, denke ich oft. Toll, genau das ist es, was mich bannt und die Basis für ein gutes Bild bietet. Aber dazu kann man nicht viele Modelle motivieren, dieser Fähigkeit oder mentalen Freiheit berauben sich einige.

© Miriam Schmalen© Miriam Schmalen

Wie stehst Du zum Einfluss, den Deine Bilder auf Betrachter haben, indem sie ein bestimmtes Schönheitsideal bedienen?

Ich wurde schon oft gefragt, ob die Modelle nicht zu dünn seien und ob ich mich nicht für das Bild verantwortlich fühle, das ich damit aussende. Ich habe darüber nachgedacht, auch weil ich weiß, dass zu meinem Publikum (gerade auf Facebook) junge Mädchen gehören, die sich durch Bilder vordiktieren lassen, was sie als schön empfinden.

Letztendlich denke ich, dass man schon eine gewisse Verantwortung hat; gerade, wenn man sich auf bestimmten Plattformen bewegt. Aber meine Bilder sind teilweise so überzogen, dass sie unnatürlich sind und sehr surreal wirken. Sie haben nicht den direkten Bezug zur Realität wie etwa Fashionbilder aus Modekatalogen oder von Werbetafeln.

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Wie arbeitest Du in der freien, künstlerischen Fotografie?

Bei meinen künstlerischen Arbeiten gehe ich eher so vor, dass ich von Bestehendem ausgehe, etwa teilweise sehr Subtiles entdecke und dessen Wirkung verstärke. Es sind die sensibleren Momente des Lebens.

Meine freien, künstlerischen Fotografien sind ganz anders als die Editorial-Sachen – meist sehr tief und emotional. Mit diesen Arbeiten kann ich mich sehr identifizieren, das bin ich.

© Miriam Schmalen

Du bist auch in Galerien vertreten. Wie sind Deine Erfahrungen damit?

Gemischt. Mit meiner ersten Galerie war ich nicht so glücklich. Als junge Künstlerin hätte ich mir mehr Unterstützung gewünscht. Statt einer fachlich fundierten Beratung und einer wertschätzenden Begleitung fühlte ich mich geformt und in gewünschte Verkaufs-Schemata gedrängt.

Es wurde mir förmlich vordiktiert, wie ich mein Werk zu kommunizieren habe, was (angeblich) mein Konzept war und welche Serien ich zukünftig produzieren soll.

© Miriam Schmalen

Was wäre Deine Vorstellung vom Galeriebetrieb und der Zusammenarbeit mit den Künstlern?

Letztendlich bringt der Künstler das Wertgut mit und der Galerist oder die Galeristin soll es nicht nur verkaufen, sondern auch vermitteln. Eine hohe Sozialkompetenz und sehr feine Antennen sind da von Nöten.

In letzter Zeit habe ich viele beeindruckende Ausstellungen besucht – außerhalb der stereotypen, weißen Wände. Das Ampelhaus in Oranienbaum bei Dessau, die Ostrale in Dresden und die c-mine in Lüttich – grandios! Allein die Räume, in denen die Kunst präsentiert wurde, lebten, waren ein Organismus, harmonierend mit der Kunst. Ich mag Ausstellungen, die anders sind, persönlich, mit Ecken und Kanten. Solche, in die man eintauchen kann.

Ich denke jedoch auch, wenn man von der Kunst leben will, muss man realistisch sein: Kunstgalerien, deren Künstler vom Verkauf leben können, verkaufen an Sammler. Diese Kunstwerke hängen bei den Sammlern selten zuhause, sondern wandern in einen Schrank und werden als Wertanlage gelagert. Das ist relativ unromantisch.

Ich tendiere gerade eher zum Zusammenarbeiten mit Produzentengalerien. Dort fühle ich mich gut aufgehoben, geschätzt und unterstützt – ehrlich, bodenständig, zwischenmenschlich.

Mein persönliches Kunsterlebnis ist ein Atelierbesuch.

Wie siehst Du die Richtung, in der Du Dich bewegst, wo willst Du hin?

Erst einmal bin ich überglücklich, die Gewissheit zu haben, dass ich im richtigen Berufsfeld bin, mit Herz und Seele Designerin. Da war ich mir nicht immer so sicher, schwankte zwischen dem sozialen und dem gestalterischen Bereich.

Ich bin ein sehr an Ästhetik orientierter Mensch, aber auch sehr verbindlich und menschennah. In meinen aktuellen Jobs sind jedoch beide Aspekte vertreten. Ich liebe und lebe meinen Job und blicke zuversichtlich in die Zukunft.

© Miriam Schmalen

Aktuell hast Du ein Stipendium am Bauhaus in Dessau erlangt. Was genau machst Du da?

Dabei geht es um die Meisterhäuser in Dessau, für die international 30 Studenten aus den Bereichen Design, Kunst und Architektur gecastet wurden. Unsere Aufgabe ist es, das Meisterhaus von Kandinsky neu zu interpretieren. Die Meisterhäuser werden gerade rein museal genutzt. Wir sollen dem Meisterhaus in Form eines Ausstellungskonzept und -designs neues Leben einhauchen.

Wie ist der Zeitrahmen dafür?

Da bin ich mir selbst noch nicht so sicher, denn die Schule fängt bald wieder an. Ich unterrichte an drei weiterführenden Schulen Fotografie, das Studium geht ebenso weiter und meine Kunden möchte ich auch nicht verlieren. Schwer abzuwägen, da das Projekt an sich und „Bauhaus Dessau“ natürlich eine verlockende Sache ist.

Es wird auf jeden Fall eine unwiederbringliche Erfahrung. Wir werden gemeinsam wohnen, arbeiten, gar leben – verschiedene Kulturen, Fachbereiche und Charaktere.

Mein erstes Stipenium der Bundersregierung war ähnlich aufgebaut. Dort trafen jedoch nur sieben Akteure der Kreativwirtschaft zusammen, dafür lief das Projekt über ein halbes Jahr. Diese Zeit war auch sehr wertvoll, nicht nur reich an Erfahrungen und netzwerkerweiternd, ich habe auch intensive Freundschaften geknüpft. Ich bin also freudig gespannt auf Dessau.

Danke für Deine Zeit, Miriam. Ich wünsche Dir viel Spaß in Dessau und bin sehr gespannt auf Deine nächsten Arbeiten!