02. September 2013 Lesezeit: ~15 Minuten

Fotografie und Social Media – muss das sein?

Vor Kurzem hatten Sebastian und Martin eine kurze Unterhaltung auf Twitter: Martin fragte, ob er in Zukunft Fotos, die er mit der Fuji macht, auf Instagram posten solle. Sebastian meinte, er solle seinen Instagram-Account löschen. Die Diskussion um Instagram, Social Media-Plattformen, Fotografie (und deren Meta-Ebene) führen sie hier nun fort.

Sebastian: Lösch Deinen Instagram-Account.

Martin: Nein. Warum sollte ich?

Sebastian: Weil Du Fotografie magst. Ich finde, Instagram kann man nicht wirklich benutzen, wenn man Fotografie mag. Es ist eine unendliche Suppe an einheitlich brutal zurechtgefilterten und sehr oft auch belanglosen Fotos.

Martin: Das kommt drauf an, wem man folgt. Wie überall.

Sebastian: Ja, bestimmt. Aber ich rede ja auch nicht von der persönlichen Nutzererfahrung. Sondern vom generellen Problem, dass solche Dienste Fotografie entwerten. Drück auf’s Knöpfchen, mach Dein Bild hübsch mit dem Retro-Style, den jeder mag und lass Deine Bilder wie die von jedem anderen aussehen.

Martin: Ich finde nicht, dass diese Dienste entwerten. Denn das Ziel von Instagram ist nicht in erster Linie, großartige Fotografie zu unterstützen, sondern es ist in erster Linie sozial. Das heißt: Wir teilen unser Leben. Und somit all die Dinge, die unser Leben betrifft. Und das posiert nicht. Es ist nicht technisch perfekt. Es ist, wie es ist. Und das mag ich daran.

Sebastian: Lustigerweise würde ich genau das als Argument gegen Instagram ins Feld führen. Die Plattform und ihre Nutzer haben überhaupt kein Interesse an Fotografie, sondern nur daran, sich gegenseitig Bildchen von ihrem Essen und ihren Haustieren zu zeigen. Deswegen kann ich im Gegenzug Plattformen wie 500px und Behance gar nicht hoch genug schätzen. Was benutzt Du denn überhaupt für Internetplattformen und Tools, um Deine Bilder zu zeigen, zu bearbeiten und so weiter?

Martin: Bisher habe ich mit dem iPhone auf der Straße fotografiert. Diese Bilder habe ich in meine „Zentrale“ Tumblr eingestellt und von dort zu Flickr (da bin ich seit 2005), Facebook, 500px und auch Instagram geleitet. Bearbeitet habe ich meine Fotos kaum, nur ein wenig mit Snapseed geradegerückt, Helligkeit und Kontraste angepasst. Fertig.

Sebastian: Bei Facebook und Twitter poste ich inzwischen auch öfter mal Bilder (meist mit Links auf die kompletten Serien anderswo) und bei Tumblr so übrig gebliebenes Zeug. Aber recht widerwillig, wie ich zugeben muss. Ich empfinde es als sehr unangenehm, wenn man seine Sachen x Mal in verschiedene Streams irgendwie reinkippt, um da möglichst Leute zu erreichen. Ein eigenes Blog oder eine Galerie auf einer Plattform hat doch irgendwie mehr Stil. Ein Bild bei Facebook ist in fünf Minuten untergangen in einem endlosen Stream aus Kram.

Martin: Wieder „nein“. Auf Flickr bin ich, seitdem ich fotografiere und es gibt einige Leute, die dort meinem fotografischen Prozess folgen. Auf Facebook sind einige Freunde und Künstler, deren Meinung ich sehr schätze – und die auch hin und wieder kommentieren. Bei Instagram gibt es eine wachsende Zahl ambitionierter Straßenfotografen, die mit dem iPhone versuchen, das Beste herauszuholen.

Absolute Augenweiden sind da dabei und die sehe ich sonst nirgendwo. Würden wir alle unser eigenen Süppchen kochen, wäre es vielleicht origineller, aber das ist mir nicht in erster Linie wichtig. Ich möchte dort sein, wo die Leute sind, die mir wichtig ist. Deswegen poste ich eher selten auf Google+. Dort kenne ich von den 15.000 Followern vielleicht 10.

Sebastian: Aber das heißt im Endeffekt: „Ich gehe dahin, wo die Leute sind und reibe ihnen permanent meine Bilder unter die Nase.“ Ich könnte mir das niemals antun. Dazu kommen dann noch diese ekelhaften Bewertungsfunktionen auf allen Plattformen und die Tatsache, dass künstlerische Sachen nun einmal von der Masse deutlich weniger geschätzt werden als derber Kitsch (ganz normales Phänomen).

Wenn ich bei Facebook ein sinnloses Katzenbild poste, das ich mal so nebenbei gemacht habe und es 200 Likes bekommt und das aufwändige Naturfoto dann unbeachtet durchflutscht, dann merke ich immer, dass das eigentlich nicht die richtige Herangehensweise für mich ist. Ich finde, da ist das eigene Süppchen, das auch dann genau die Leute anzieht, die sich wirklich genug interessieren, um aktiv danach zu suchen, deutlich lohnender.

Martin: Für mich gibt es hier keinen Endeffekt – dafür ist das Thema zu fluide und verändert sich ständig. „Unter die Nase reiben“ finde ich eine interessante Definition, jedoch führt mich das wieder an den Beginn: Wer meine Fotos mag, darf mir folgen. Wer das Gefühl hat, Fotos unter die Nase gerieben zu bekommen, geht von allein. Finde ich gut und okay.

Und zu einem reifen Interpretationsprozess gehört auch, dass ich einschätzen kann, was ein Like bedeutet. Meine Fotos sind weder auf Instagram noch in anderen Netzwerken großartig erfolgreich. Ich bin es gewohnt, dass Katzenfotos mehr Likes bekommen. Doch die Bedeutung eines Likes ist abhängig davon, vom wem er kommt. Wenn mein Bürokollege Egon von Euwensz ein Foto mag, ist das für mich sehr wertvoll. Der würde meine Fotos gar nicht sehen, wenn ich sie bloggen würde. Weil er keine Blogs liest. Ist auch kein Problem für mich.

Sebastian: Zum ersten Punkt: Da müssen wir wohl zwei Sachen unterschieden – so reine Portfolio-Plattformen oder Facebook-Pages, bei denen der Nutzer selbst entscheidet im Sinne von „Ich abonniere das mal, weil es mir gefällt“, da stimme ich absolut Deiner Meinung zu.

Schwierig wird es bei richtigen Social-Media-Plattformen, bei denen eben das „social“ im Vordergrund steht. Dort ist man ja grundsätzlich mit Leuten aus völlig verschiedenen Kontexten als Privatperson verbunden, die eben teilweise auch gar nichts mit Fotografie zu tun haben. Und genau dort wird es irgendwann penetrante Eigenwerbung, wenn man so agiert.

Zu einem reifen Interpretationsprozess bezüglich Favs, Likes und dem Kram gehört anders herum meiner Meinung nach aber auch, dass man akzeptiert, dass man sich Feedback grundsätzlich schwer entziehen kann. Wenn Dir jemand dumme Kommentare unter Deine Bilder schreibt, kannst Du das nicht „unlesen“, genausowenig wie Du Dich dem entziehen kannst, wenn eines Deiner Bilder auf solchen Plattformen plötzlich „viral“ ist.

Ich glaube, das ist auf Dauer sehr fatal für den eigenen Schaffenprozess, jedes einzelne Bild immer sofort einer Öffentlichkeit zur Bewertung hinzuwerfen. Und das ist auf Facebook, Twitter und Instagram ein viel größeres Thema als auf dem eigenen Blog, wo es solche Mechanismen eben nicht gibt.

Martin: Das mit der Bewertung sehe ich anders. Ich zeige meine Fotos nicht, damit sie bewertet werden. Das war mir zu Beginn sehr wichtig, heute ist mir das nahezu egal. Ich zeige, was ich tue. Wenn das jemandem gefällt, schön. Wenn nicht, auch okay. Und wenn jemand sagt BUUUUUH, sehr gut. Dann habe ich einen Nerv getroffen. Passt für mich. Und in einem Netzwerk, bei dem mich jemand mit Eigenwerbung zuballert, kann ich ohne Probleme entfolgen, entfreunden, was auch immer. Das mache überhall. Kein Problem.

Sebastian: Ich zeige meine Bilder auch nicht, damit sie bewertet werden, ganz im Gegenteil, ich will sie im Netz ganz neutral ausstellen. So sind Facebook, Instagram und Konsorten aber nicht konstruiert. Die gewichten Inhalte nach Bewertung und heben sie hervor oder blenden sie entsprechend aus, denn die wollen ja, dass die Masse massenkompatibles Zeug anguckt und klickt und entsprechend wiederkommt, weil sie dort gut unterhalten wird. Und dann wird das noch extrem mit Dir als Person verknüpft, das heißt, das Bild an sich steht in keiner Weise irgendwo im Fokus.

Die Wirkung nach außen kommt zuletzt noch obendrauf und ist vielleicht sogar das größte Problem. Stell Dir vor, Du liest ein Buch oder gehst in eine Ausstellung und auf jeder Buchseite stehen irgendwelche Leserkommentare von Freunden des Autors unter dem Text oder neben den Bildern hängen Like- und Dislike-Anzeigen von den Arbeitskollegen des Künstlers. Etwas Scheußlicheres kann ich mir überhaupt nicht vorstellen; das macht jede eigene Interpretation und Beschäftigung mit Kunst kaputt. Deswegen deaktiviere ich überall dort, wo es geht, diese Sachen.

Martin: Instagram hebt meine Fotos nicht hervor, wenn sie mehr Likes haben als sonst. Und falls das irgendwann mal kommen sollte (mit „popular“ war es schonmal da), freut es mich, wenn es vorkommt, genauso wie Explore auf Flickr. Was für Dich hier ein Problem ist, ist für mich keines.

Außerdem: Wenn auf instagramm nur Bullshit-Bilder landen (was wie gesagt schwer davon abhängt, wem Du folgst), dann ist das nur noch mehr ein Grund, gute Fotos zu zeigen. Außerdem sage ich da frei nach Martin Parr: Du kannst nur wissen, was gut ist, wenn Du genügend Scheiße gesehen hast. Durch das ansehen schlechter Fotos kann man jede Menge lernen.

Sebastian: Den letzten Satz würde ich direkt umdrehen: Du kannst nur besser werden, wenn um Dich herum Leute und Bilder sind, die besser (vielleicht ist „erfahrener“ das bessere Wort, ich mag bei Fotografie nicht so gern von besser und schlechter reden) als Du selbst sind.

Wenn Du hingegen ständig Lob bekommst, weißt Du gar nicht, ob Du vielleicht der Einäugige unter den Blinden bist. Soziale Netzwerke, die Bilder berurteilen, sind mir jedenfalls höchst suspekt. Kunst ist ja nun keine Demokratie, in der eine Abstimmung funktioniert, die anzeigt, was die meisten Leute mögen. Oder siehst Du das anders?

Martin: Auf gar keinen Fall. Und Likes sagen nichts darüber aus, ob ein Foto gut oder schlecht ist. Sie sagen nur aus, dass es ganz vielen oder vielleicht nur einer Person gefällt. Die Gewichtung, was man dem beimisst, ist wohl das Entscheidende. Aber das pure Zeigen an sich finde ich nicht falsch, sondern wichtig. Warum bist Du eigentlich noch auf Facebook?

Sebastian: Kommunikation, auch Gruppen zu Fotografie und schlussendlich wohl auch das pure Zeigen der eigenen Arbeit. Darauf können wir uns ja offenbar einigen, auch wenn das so ein Sisyphos-Ding ist, das direkt wieder ins Niemandsland ruscht, weil niemand alte Facebookpostings liest.

Nochmal: Es ist ja egal, wie viel Gewichtung man Kommentaren und Likes beimisst. Spätestens durch andere lesende Personen und nach außen durch das System bekommt es Gewichtung. Gerade Facebook zeigt Dir ja oft nur „important posts“ von Deinen Kontakten überhaupt erst an, die durch diese Zahlen bestimmt werden. Und Du kannst ja nicht leugnen, dass Klickzahlen sogar auf vermeintlich seriösen Nachrichtenseiten die Messgröße sind, sich das fortsetzt auf alle diese Plattformen und inbesondere auch Bilder stark betrifft.

Martin: Das stimmt. Jedoch zeigt mir Instagram nicht nur „important posts“ an, sondern alle, denen ich folge. Zurück zum Thema: Die Demokratisierung der Fotografie hat eine Seite, die nicht allen Fotografen gefällt. Leute fotografieren ihr Essen, ihr Essen und … ihr Essen. Dass das vom anspruchsvollen Standpunkt gesehen nicht besonders wertvoll ist, will ich gar nicht widerlegen.

Jedoch das ganze Netzwerk dafür zu verteufeln, ist für mich keine besonders effektive Strategie. Da zeige ich lieber Fotos, die ich aus dem iPhone herausholen kann – und bewege vielleicht auch andere, es mir gleich zu tun. Übrigens gibt es viele Leute (und Freunde), über die ich auf Instagram viel mitbekomme. Das schätze ich sehr. Mit und ohne Anspruch. Allein deshalb würde ich nie auf die Idee kommen, meinen Account zu löschen.

Sebastian: Ich will ja auch gar nicht das ganze Netzwerk verteufeln, sondern eher diese „Ich geh da als ernsthafter Fotograf hin und zeige meine Bilder“-Seite hinterfragen bzw. fragen, ob sie wirklich sinnhaft ist. Als Portal für Katzenbilder und Fotos von Essen kann ich Instagram bequem ignorieren. Aber wie gehst Du mit der Vermischung um? Da stehen dann Deine Fotos neben verwackelten Urlaubsbildern, verschwinden im Stream, weil auf diesen Seiten keiner zurückscrollt und immer nur der aktuelle Inhalt zählt und Du weißt auch nie, ob Du jetzt für Freunde ein Privatbild oder für Follower ein ernsthaftes Foto einstellen sollst oder ob das nicht alles eh dasselbe ist. Es entwertet doch ein bisschen das eigene Tun.

Martin: Ehrlich gesagt habe ich darüber noch nie nachgedacht, egal in welchem Netzwerk. Denn selbiges findest Du auf Flickr, Deviantart, egal wo. Es gibt immer Tendenzen, zu denen ein Netzwerk neigt, aber nie 100% gleiche Fotos. Und wenn Du mein Blog abonnierst, verschwinden meine Postings genauso im Feed-Stream wie sonstwo auch. Ich sehe hier einfach keinen Unterschied.

Dazu kommt: Das iPhone als Kamera wird von immer mehr Menschen ernsthaft benutzt. Und das Netzwerk, das für diese Fotos gemacht ist, heißt instagram. Denn da werden zu 98% Smartphone-Bilder gepostet. Was auch der Grund ist, warum ich meine Fotos von der Fuji nicht dort zeigen werde. Dafür ist das Netzwerk nicht gemacht.

Sebastian: Also siehst Du ja offenbar doch einen Unterschied, wenn Du sagst, dass Du Deine Bilder von der Fuji nicht bei Instagram reinstellen würdest. Das Netzwerk sagt ja nirgendwo ausdrücklich „hier nur Smartphone-Bilder posten“. Instagram, Facebook und Twitter sind meiner Ansicht nach einfach mehr Social Networks, die für Unterhaltung und Kommuikation gemacht wurden. Dazu gehören dann natürlich auch Fotos, aber man sollte sich fragen, ob man Teil dieser sich endlos drehenden Unterhaltungsmaschine sein will.

Flickr, Deviantart und 500px sind für mich eher Netzwerke, auf denen Bilder ausgestellt werden. In ersteren geht es mehr um die Personen und ihre Verbinungen, in der zweiten Kategorie eher um die Bilder. Ich würde sagen, dass es von Vorteil ist, wenn man sich diese Unterschiede klar macht und genau überlegt, wo man seine Bilder überall reinwirft.

Martin: Den Unterschied mache ich deshalb, weil Instagram explizit aus dem Mobilen geboren und für’s Mobile gemacht ist. Das ist der Rahmen. Und Fotos vom iPhone sind für mich dort auch gut aufgehoben. Das ist auch der Grund, warum ich die Fuji-Fotos dort nicht poste. Ich respektiere das ungeschriebene Gesetz, dass dort nur Handy-Fotos gepostet werden. Außerdem glaube ich, dass es völlig egal ist, wo ein Foto zu sehen ist, wichtig ist, dass es überhaupt sichtbar gemacht wird. Ob das nun in einem Café, einer Kneipe oder einem Hochglanzmuseum ist. Das ist nur der Rahmen. Der Inhalt ist, was zählt.

Sebastian: Vor nicht allzu langer Zeit war mein Gedanke auch immer: Vergiss das Medium, nur der Inhalt zählt und das, was Du daraus machst. In Bezug auf verschiedene Netzplattformen würde ich inzwischen aber hinzufügen: Aber manche Kanäle begünstigen sehr stark bestimmte Inhalte und man muss gucken, wo man wirklich reinpasst. Also lösch endlich Deinen Instagram-Account.

Martin: Nein. Warum sollte ich?

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