09. August 2013 Lesezeit: ~5 Minuten

Von Juxtapositionen und ƒ/11

Ich bin Amateur-Straßenfotograf, aufgewachsen in Hong Kong und lebe gerade in Stockholm. 2002 fing ich an, zu fotografieren, nachdem ich mir meine erste Kamera gekauft hatte. Der Grund für den Kauf war meine Frau, die sich oft darüber beschwerte, dass ich ab und an ihre Filmkamera benutzte, um Sachen in besonders komischen Kompositionen zu fotografieren. Ich nehme an, dass sie ihre Beschwerde jetzt bereut, da ich nun ein sehr teures Hobby angefangen habe.

Ich fing nämlich mit der Landschaftsfotografie an und trug oft einige Kilogramm Equipment umher. Zwei Kamera-Bodies, ein schweres Stativ, verschiedene Zoom- und Festbrennweiten, ein paar Filter und und und. Und das, um verscheidene Länder zu bereisen wie Island, Grönland, Japan, Frankreich, die Schweiz und viele mehr.

© KinWing, Wong

Ich war wie besessen von Ausrüstung und Bokeh. Fast alle Objektive hatten Blende 2.8 oder größer. Diese Vernarrtheit dauerte viele Jahre an, bis ich Henri Cartier-Bressons Valencia, Spain 1933 sah. Ich war sehr stark beeindruckt von der surrealen Wirkung und der Botschaft bzw. Geschichte dahinter. Und obwohl das Foto 1933 aufgenommen wurde, kann es mir immer noch so viele große Gefühle geben. Wunderbar!

Gleichzeitig verstand ich, dass ein großartiges Foto nicht nur eine Freude für die Augen ist, sondern ebenfalls eine Geschichte erzählt. Ich verliebte mich sofort in die Straßenfotografie und begann, von da an mit einer kleinen Kompaktkamera in der Stadt zu fotografieren.

Wie die meisten Straßenfotografen fotografierte ich primär in schwarzweiß, weil ich zum Einen das Nostalgische, zum Anderen die Vereinfachung der Komplexität der Straße mochte. Und weiter hat das Arbeiten mit schwarzweiß einen großen Vorteil: Die Anpassung der Helligkeit mit dem Herausfiltern der Farben.

© KinWing, Wong

Bezüglich des Foto-Stils folge ich einem grundsätzlichen Straßenfotografie-Prinzip: In der Straßenfotografie geht es um 99% missratene Fotos. Deswegen laufe ich sehr viel und mache zahlreiche Aufnahmen. Das bringt mir die meisten Möglichkeiten.

Fotografie ist für mich nicht das Gleiche wie Kunst. Ich muss keine große Idee haben, wenn ich auf die Straße gehe, weil die witzigen und zufälligen Szenen, die man sich vorstellt, sowieso nicht direkt vor mir passieren. Außerdem könnten zu viele vorgefertigte Ideen die eigene Kreativität behindern. Was man braucht, ist, draußen zu sein, zu beobachten und abzudrücken. Achja, wer so fotografiert, der braucht auf jeden Fall ein paar gute Schuhe.

© KinWing, Wong

Zu Beginn schaute ich meist auf Licht, Schatten und interessante Reflexionen, da beides relativ schnell einen surrealen Charakter erzeugt. Diesen Stil verfolgte ich so lange, bis ich dem Ganzen irgendwann überdrüssig wurde und mich fragte:

Was kann ich in Stockholm im Winter machen, wenn es fast ein halbes Jahr lang kein Sonnenlicht gibt, wenn ich nur Licht und Schatten fotografiere? Kenne ich die Straßenfotografie überhaupt, wenn ich immer einen Spiegel oder eine Scheibe für Reflexionen brauche? Welche Botschaft übermitteln meine Fotos denn?

Deshalb begann ich, langsam meine Art des Beobachtens vom Suchen nach Schatten und Reflexionen hin zur Suche nach Juxtapositionen und Verbindungen hin zu verändern. Ich versuchte, das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen zu finden und „out of the box“ zu denken. Kürzlich habe ich die Farbfotografie für mich entdeckt, nachdem ich ein Interview mit Alex Webb gelesen hatte.

© KinWing, Wong

Dieser beschreibt darin seine Erfahrungen in dieser komplexen Welt und ich verstand, dass Vereinfachung und das Vermeiden des Komplexen mit schwarzweiß eigentlich vergeblich ist. Im Gegenteil kann die Nutzung von Farbe zur Abbildung der Realität der Welt sehr bedeutsam sein.

Von der technischen Seite her fotografiere ich am liebsten mit einer Kompaktkamera und besitze derzeit eine Leica X1* und eine Sony Rx1*. Beide Kameras wurden in vielen Rezensionen ob ihres langsamen Fokussiertempos und fehlendem Sucher degradiert; jedoch sind beide Probleme für mich nicht existent, da ich immer auf 0,5 oder 1 m mit f/8 oder f/11 vorfokussiere und mich so nur um den Ausschnitt und den Moment kümmern muss.

© KinWing, Wong

© KinWing, Wong

Ich persönlich glaube, dass präzises Fokussieren nicht wichtiger ist als der Inhalt des Bildes. Desweiteren mag ich lieber das Display zum Komponieren als einen Sucher, um Aufruhr unter den Leuten zu minimieren. Menschen sind oft kamerascheu. Sobald jemand einen Sucher vor ihre Augen hält, haben sie schon längst ihr Gesicht zur Seite gedreht. Und es gibt Straßenfotografen, die genau diesen Moment gern festhalten, ich jedoch nicht.

Mein Nachbearbeitungs-Ablauf ist recht einfach gehalten, da ich nur mit JPGs arbeite, verändere ich im Nachhinein nur Kontrast und Helligkeit oder konvertiere nach schwarzweiß.

Dieser Artikel wurde von Martin Gommel aus dem Englischen übersetzt.

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