15. Juli 2013 Lesezeit: ~5 Minuten

Eine gehörige Portion Idealismus

Auf der dreistündigen Fahrt von Berlin nach Hamburg habe ich endlich Zeit, mich einem hübschen und kleinen Magazin zu widmen, das in einem Umschlag zusammen mit fünf abgelaufenen Delta-Filmen steckte. Es trägt den Titel: I think we are alone now #2.

Dass es sich um ein Magazin für analoge Fotografie handelt, das verrät mir das Heft in kleineren Buchstaben unterhalb des Titels. Mit seinen Maßen 18 x 15 cm passt es auch perfekt in meine Reisetasche und in meine kleinen, wurstigen Fingerchen.

Auf den ersten Seiten muss ich schon schlucken, manchmal die Augen schließen, denn die Bilder einer Schlachtung gehen durch Mark und Bein. Die Bilder sind in schwarzweiß gehalten, dokumentarisch, nichts ist geschönt, keine Gesichter sind weichgezeichnet. Die Bilder reihen sich zu einer Geschichte zusammen. Am Ende zeigen sie Geselligkeit und lachende Gesichter. Die Bilder stammen von Oliver Weber. Wir kennen ihn schon auf kwerfeldein.

Oliver Weber © Florian Olomski

Bastian Kalous © Florian Olomski

Vier Künstler werden auf 64 Seiten in Bild und zwei von ihnen via Interview präsentiert. Und auch der zweite Fotograf, Bastian Kalous, kommt mir doch sehr bekannt vor. Das Magazin komprimiert, setzt meine kleine analoge Welt zusammen. Ich begegne Bekannten und Unbekannten. Fast schon fühlt es sich familiär an, dieses Magazin.

Über die im Interview vorgestellte Künstlerin Silke Seybold freue ich mich sehr. Denn sie zerschmettert meine Vorurteile, die ich zunächst, als ich mir das Titelbild ansah, hatte.

Nackte Frau sitzt auf einer Dampflok.

Toll, dachte ich – nicht! Meine Gedanken waren ganz böser Natur. War ich doch in meinem alten Schematagedenke gefangen: Ein Mann hätte wieder die grandiose Idee gehabt, nackte Frauen vor wuchtigen Industriekulissen zu präsentieren. Ich gähnte.

Dass es sich hier aber um Selbstportraits vor verlassenen Kulissen in Detroit handelt, das offenbart uns das Heft erst im Gespräch. Auch lässt mich die Künstlerin viel tiefer in ihre Arbeit „Silent Places“ blicken, als es ein flüchtiger Blick über ein Bild, bei dem ich kurz abwäge, ob ich es mag oder nicht, könnte.

Auch der vierte Künstler, Marcin Kubiak, weiß zu überzeugen, auch wenn schwebende Häuser nicht ganz mein Geschmack sind.

Silke Seybold © Florian Olomski

Marcin Kubiak © Florian Olomski

Florian Olomski ist der Herausgeber dieses kleinen und feinen Magazins. Er schreibt mir hierzu:

„I think we are alone now“ war Ende letzten Jahres das erste Zine, das rauskam, als Auftakt damals mit eigenen Arbeiten. Namensgebend war dieses Gefühl der Abgetrenntheit von einer hektischen Welt voller Eindrücke, das mich manchmal überkommt, der Name ist daher sehr persönlich geprägt. Außerdem passte es mir gut zur analogen Fotografie, es gibt nicht mehr viele, die sich dafür interessieren und damit auseinandersetzen, man fühlt sich manchmal wie einer der letzten Dinosaurier.

Ob es ein Konzept hinter dem Magazin gibt, möchte ich noch wissen und stelle lächelnd fest, dass es keines gibt und sich die ganze Sache aus sich selbst, ja, aus seiner Leidenschaft selbst, heraus entwickelt hat.

Eigentlich ist es denkbar einfach: Ich möchte mein Herz in etwas stecken und Fotografie teilen – das werdet Ihr bei kwerfeldein ja kennen. Ich sehe es jedoch als klaren Gegenentwurf zur online erlebten Fotografie der Social Networks. Mir ist es wichtig, Fotografie physisch zu erleben, meine Aufmerksamkeit darauf zu fokussieren und mich damit auseinanderzusetzen. Das mache zumindest ich online zu selten. Viel mehr habe ich da das Gefühl, es geht um zwei Sekunden Aufmerksamkeit, bis man das nächste Bild sieht. Durch den Überfluss an Information herrscht eine permanente Konkurrenz um Aufmerksamkeit und das lässt sich durch Printmedien durchbrechen.

Er sieht sein Projekt als alternativen Entwurf zu unserer austauschbaren digitalen Kultur. In unregelmäßigen Abständen soll das Zine nun erscheinen, ohne Zeit oder Erwartungsdruck. Und ohne Gewinn möchte er auch den niedrigen Preis von drei bis vier Euro halten. Dafür bedarf es einer gehörigen Portion Idealismus, Mut und Leidenschaft. Dass er dafür auch Unterstützer braucht, ist klar.

Das Magazin wird in einer sehr kleinen Auflage, bis zu 175 Stück produziert. Es wird bei einer Online Druckerei gedruckt und von ihm selbst zuhause zugeschnitten. So sind mit dem Preis gerade einmal die Druckkosten gedeckt. Und was jemand mehr zahlt, darüber freut er sich natürlich, denn dadurch können zukünftige Projekte einfacher finanziert werden. Beziehen könnt Ihr das Zine über die Webseite von I think we are alone now.

Und mal ehrlich, so allein sind diese Filmjunkies überhaupt nicht.

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