23. Mai 2013 Lesezeit: ~4 Minuten

Schiefe Schönheit

Ich habe die meiste Zeit meines Lebens ohne Fotografie verbracht, denn mein Plan war es immer, Malerin zu werden. Als ich noch ein kleines Kind war, malte ich die ganze Zeit, ohne Unterlass. Immer damit beschäftigt, irgendetwas zu kritzeln.

Kreiden, Kugelschreiber, Wasserfarben. Ich zeichnete und malte. Ich war nicht sonderlich gut darin, was vielleicht auch der Grund ist, dass ich heute ganze 115 verschiedene Kamera besitze – und keine Kreiden mehr.

bridge © Jill Auville

Die erste Kamera, die ich mich zu benutzen erinnere, war eine Afga Afgamatic 100, das war vor Ewigkeiten, Mitte der 70er Jahre. Ich war noch ein Kind und ich benutzte sie wie ein Kind. Ich nahm Bilder von Sonnenuntergängen auf, von Pferden. Danach habe ich immer wieder mit der Fotografie gespielt, aber sie hat mich nie wirklich tief interessiert, bis ich mir vor 9 Jahren meine erste DSLR zulegte.

i shadow © Jill Auville

Nach einer Weile allerdings fühlte sich die digitale Fotografie dann doch wieder zu statisch und vorhersehbar für mich an. Also ging ich einige Schritte zurück in der Evolution der Fotografie und begann, mit einer Polaroid 600 zu fotografieren.

Das war ein Jahr bevor Polaroid beschloss, alle ihre Filmfabriken zu schließen, also kam ich ein bisschen spät an im Zeitalter des Sofortbildfilms. Allerdings entdeckte ich zur gleichen Zeit auch meine Freude an der Klein- und Mittelformatfotografie.

Was also habe ich für eine merkwürdige Obsession mit Sofortbildfilm? Er ist für mich der perfekte Hybrid aus Old-School- (ich meine Film generell) und New-School-Fotografie (digital): Du fotografierst mit einem analogen, organischen Filmformat, aber Du bekommst die Ergebnisse sofort zu Gesicht. Für mich ist es exakt die beste Kombination aus beiden Welten.

the ripper © Jill Auville

Unglücklicherweise ist es auch einer der teuersten Wege, Fotografie zu betreiben. Ein einziges Bild Integralfilm aus dem Impossible Projekt kostet Dich 4 Dollar. Wenn Du also nicht gerade eine unendliche Geldquelle hast, musst Du sehr sparsam mit Deinem Material umgehen und nur dann ein Bild machen, wenn Du Dir ganz sicher bist, dass es das richtige ist.

Verschwendung von Bildern kommt aufgrund der Kosten nicht in Frage. Ich versuche nur einen Schuss pro Motiv. Wenn es nicht klappt, dann ist diese Motiv für mich verloren.

Das Tolle daran ist, dass es auch zu meiner Vergangenheit als Kind anknüpft und zur Kunst. Man kann sehr leicht damit experimentieren: Du kannst die Bilder in Flüssigkeiten (Tee, Kaffee, Wein, Sojasauce, die Liste ist endlos) einlegen, um Effekte zu kreieren, Du kannst Emulsionslifts durchführen, Du kannst sogar die Negativseite eines Polaroids in Photoshop invertieren, um ein Bild zum Weiterarbeiten zu bekommen.

Und das alles mit einem Bild. Lustigerweise geht das auch mit schiefgegangenen Motiven. Ich habe rausgefunden, dass schiefgegangene Motive am Ende manchmal sogar besser werden als gute, weil man mit ihnen leichtfertiger experimentiert.

ambush © Jill Auville

Sterile und herkömmliche Fotografie langweilt mich inzwischen ein bisschen. Ich finde keinen Spaß daran. Das ist natürlich eine Sache des persönlichen Geschmacks, ich mache eher „grungigere“ und griffigere Bilder. Ich packe Texturen auf meine Bilder, die ich selbst fotografiert habe (oft sind die Texturen genau die Bilder, die schiefgegangen sind).

Ich fühle mich generell eher zu den schief aussehenden Dingen im Leben hingezogen, auch in den Motiven. Halbverbrannte Bäume, vertrocknete und dornige Disteln, überflutete Flüsse, Krähen. Die Dinge, die die Leute nicht angucken, an denen sie vorbeilaufen. Und mit der Sofortbildfotografie halte ich die übersehenen Dinge für immer fest.

Jill hat ihren Artikel auf Englisch verfasst, unser Redakteur Sebastian hat ihn für Euch auf Deutsch übersetzt.

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