04. Mai 2013 Lesezeit: ~20 Minuten

kwerfeldein diskutiert: Wo fängt Bildbearbeitung an und wo hört sie auf?

Fehler beseitigen oder Dinge verändern? Die Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung erlauben uns inzwischen weitreichende Veränderungen an dem Material, das unsere Kamera einfängt. Ganze Kunstgenres basieren auf digitaler Bearbeitung von Bild oder Filmmaterial, Fotomanipulationen taugen aber auch immer wieder für politische Skandale oder weitreichende Diskussionen über das konstruierte Schönheitsideal unserer Gesellschaft, dem nicht einmal die Modelle mehr entsprechen.

An welchem Punkt wird aus Retusche eigentlich Manipulation? Gibt es diesen Punkt überhaupt wirklich oder muss ihn jeder für sich finden? Die Grenzen sind seit jeher fließend und jeder hat eine Meinung dazu: Was geht noch? Was geht nicht mehr? Was ist der Unterschied zwischen einer Fotomanipulation und einem retuschierten Foto?

Lügen Fotos nie oder lügen sie im Gegenteil eigentlich immer und nur im manchen Fällen etwas weniger? Die kwerfeldein-Redaktion diskutiert darüber, was eigentlich Fotografie und was schon etwas anderes ist und warum Purismus vielleicht doch auch eine Option ist…

Martin: Fakt ist, dass jedes Genre in der Fotografie eigene – manchmal auch ungeschriebene – Regeln zum Umgang mit der Bildbearbeitung hat. Schauen wir in die Landschaftsfotografie, dann gehören HDRs schon fast zum Inventar, wohingegen die Straßenfotografie als solche weitläufig wesentlich dokumentarischer daherkommt und auch ausbrennende Lichter akzeptiert.

Dass es hier auch Ausnahmen gibt, die die Regel(n) bestätigen, möchte ich jedoch noch hinzufügen, denn es gibt hier keine Gesetze, sondern nur viel und weniger genutzte Möglichkeiten. Auch im Fotojournalismus wird die oben angeführte Diskussion viel energischer betrieben als beispielsweise in der Portraitfotografie, die eigentlich alles erlaubt.

So ist es schwierig, per se zu sagen: „das ist zu viel oder zu wenig nachberbeitet“, sondern meiner Meinung nach muss hier auch immer der fotografische und inhaltliche Kontext mitbeachtet werden.

Sebastian: Also grundsätzlich würde ich dem zustimmen, dann aber gleich mal die Frage stellen, ob man nicht genau diese Prinzipien komplett über den Haufen werden sollte oder sogar muss, wenn man kreativer sein will als der Rest. Du kennst ja auch die Streetportraits von Lee Jeffries, Martin. Stark nachbearbeitet, wenn auch auf eine Art, die das Bild an sich nicht verändert. Und genau mit dem dramatischen Effekt ist er extrem erfolgreich.

Das ist jetzt vielleicht ein Grenzfall, aber ich würde diese Regeln grundsätzlich für komplett wertlos erklären, vielleicht mit Ausnahme des Fotojournalismus, wo „Authentizität“ das wichtigste Merkmal ist. Wobei ich aber auch die Frage stellen würde, ob Fotografie überhaupt jemals authentisch in dem Sinne sein kann oder ob man mit Brennweite, Blende und Perspektive (geschweige denn das Raw fertigstellen, nachschärfen etc.) nicht auch schon die Realität verändert.

Martin: Natürlich. Ich glaube, dass der Realitätsanspruch auch überflüssig ist. Aber das Maß, in dem nach einer Aufnahme an einem Bild gedreht wird, ist für mich hier entscheidend.

Und ja, Lee Jeffries macht großartige Fotos, jedoch würde ich hier die Maxime gern in Richtung Portrait verschieben, denn für mich ist das keine Straßenfotografie, die Lee betreibt. Und im Bereich Portrait gelten ganz andere ungeschriebene Gesetze.

Und gerade bei ihm ist für mich persönlich nicht die Bildbearbeitung das, was heraussticht, sondern seine Nähe und Identifikation mit den Leuten, was auch in den Aufnahmen deutlich wird.

Und ich meine, dass es, um kreativ zu sein nicht zwingend erforderlich ist, Vorgaben zu brechen. Zumindest nicht in erster Linie. Klar ist das ein Teil der Selbstreflexion (was will ich tun, wo will ich hin), aber ich würde hier lieber das Augenmerk auf „was will ich“ legen als auf „was will ich nicht“.

Ich denke, dass die Bildbearbeitung immer ein Teil des fotografischen Prozesses ist – auch, wenn ein Mensch ganz drauf verzichtet. Wie viel Gewichtung dem beigemessen wird, hängt für mich damit zusammen, was ein Fotograf „sagen“ möchte.

Marit: Auf die Frage von Sebastian habe ich gewartet, denn mit ihr beschäftige ich mich schon so lange. Kann Fotografie überhaupt authentisch sein? Wir geben dem Bild ja schon einen Rahmen, blenden andere Menschen oder Begebenheiten bewusst aus. Hier fängt die Manipulation doch schon an.

Martins Frage „Was will ich sagen?“ ist also der Anfang der ganz eigenen Geschichte. Das Beispiel Straßenfotografie finde ich dabei ganz gut. Ich kann beobachten und festhalten, aber ich kann mit dem Bildausschnitt die Aussage auch bewusst verändern. Der Betrachter des Bildes weiß dann nicht, was außerhalb des Bildes noch gewesen ist, um die Realität der Situation zu erfassen. Der Fotograf manipuliert die Situation und somit auch den Betrachter.

Die Bildbearbeitung führt das weiter. Wenn die Frage ist, was erlaubt ist und was nicht, ist die Antwort: Alles ist erlaubt. Brenzlig wird es, wenn wir bewusst in die Irre geführt werden und uns etwas verkauft wird, was nicht so da ist. Als Beispiel führe ich hier die Beauty-Maschinerie an, in der uns eine Realtität verkauft wird, die so nicht existieren kann, aber ganze Generationen einem vernichtenden Selbsturteil überlässt.

Sebastian: Irgendwie lese ich bei Euch raus, dass es ungeschriebene Gesetze zur Bearbeitung für verschiedene Bereiche der Fotografie gibt. Ich beobachte das auch, dass zum Beispiel eine Form von Fotografie möglichst „authentisch“ (was immer das auch ist) gehalten werden soll, bei der anderen darf rumgebastelt werden, was das Zeug hält. Natürlich beobachte ich diese Gesetze auch und habe sie irgendwie „verinnerlicht“, aber die Frage wäre für mich: Woher kommt das eigentlich und was soll das?

Wenn ich mir so angucke, welche Bilder bei mir einen Eindruck hinterlassen, dann sind das oft ganz triviale Szenen. Was sie stark macht, sind Licht, Ausschnitt, Schwarzweißtechniken – also die „Aufhübschung“ der Realität über Komposition und natürlich auch Bearbeitung. Ein flaches Blitzbild von einem Blumengesteck und ein Schwarzweißstillleben mit schönem Schärfeverlauf: Zwei völlig unterschiedliche Welten. Und doch dasselbe Motiv.

Ich würde ableiten, dass eigentlich alles „bearbeitet“ ist. Was macht es also für das Bild für einen Unterschied, ob in einer Straßenszenerie Dinge verändert werden? Wenn ich zum Beispiel eine Person aus einer Mehrpersonenszene rausretuschiere, weil das Bild dann stärker wirkt: Ist das „unethisch“, weil es dann nicht mehr „echt“ ist? Es bleibt ja so oder so ein vom Fotografen konstruiertes Abbild der Realität, nicht die Realität.

Marit: Es ist der Anspruch, den ein Bild für sich beansprucht. Gehen wir doch mal ins Detail. Wer dokumentieren will, sollte eine Szene so belassen wie sie ist, nicht eingreifen. Er darf natürlich entscheiden, welchen Ausschnitt er wählt; er muss sogar entscheiden, welcher Ausschnitt die Situation so wiedergibt, wie er glaubt, sie selbst wahrzunehmen. In der Bearbeitung kann er angreifen, aber es muss im Verhältnis zum dokumentarischen Charakter stehen. Das Rausretuschieren einer Personen aus solch einer Szene wäre für mich ein No-Go.

Aileen: Man muss ja nicht einmal so weit gehen, etwas raus oder hinein zu retuschieren. Aktuell* wird beispielsweise der diesjährige Gewinner des World Press Photo diskutiert.

* Wir haben unsere Diskussion bereits im Februar begonnen.

Dabei geht es wohlgemerkt nur um eine leichte Veränderung der Tonung, die aber als so dramatisch empfunden wird, dass sie vielleicht das Urteil der Jury beeinflusst hat. Und damit überhaupt die allgemeine Wahrnehmung aller Betrachter.

Marit: Die Diskussion um dieses Bild finde ich affig. Da müsste man dann auch darüber diskutieren, ob Schwarzweiß-Fotografie überhaupt für Dokumentarbilder eingesetzt werden darf, denn dort ist die Wirkung und somit die Wahrnehmung eine andere.

Martin: Wir sprechen hier die ganze Zeit von Realität und „echt“ und die Frage geht für mich auch ein wenig darauf zurück: Wie wollen wir Abschattungen oder Variationen der Realität besprechen, wenn immer noch diese Frage im Raum ist? Sie scheint mir ein fester Begriff zu sein, als ob wir die Realität anfassen, malen und definieren könnten. Aber wie wollen wir bestimmen, was näher an oder weiter weg von der Realität ist, wenn diese selbst so abstrakt ist? Schwierig. Denn niemand kann sagen: So war es und nicht anders.

Michael: Ja, die Realität, wie soll man sie überhaupt fotografisch einfangen? Für mich gehört da mehr dazu, als nur das Gesehene zu dokumentieren. Wir erleben unserer Umwelt ja auch mit all unseren Sinnen – wenn wir nicht gerade Schnupfen haben und kaum etwas riechen. Zudem ist die Wahrnehmung von Person zu Person unterschiedlich.

Deshalb finde ich es auch gar nicht verwunderlich, dass bei der Bearbeitung von Fotos die Ergebnisse so stark auseinander gehen. Der eine versucht, mit der Bildbearbeitung etwas von seinen Gefühlen mit einfließen zu lassen, der nächste möchte einfach nur, dass es dramatischer aussieht, weil es ihm so besser gefällt und wieder ein anderer hat sich vor Ort genaue Notizen gemacht und versucht nun in der Bildbearbeitung, seine Realität möglichst genau wiederzugeben. Auch gibt es Fotografen, die Fotos bearbeiten, weil es vom Auftraggeber so erwartet wird.

Wenn man nicht verstanden hat, was der Fotograf mit der jeweiligen Bearbeitung bezwecken möchte, sollte man sie auch nicht kritisieren. Das ist es, was mich am meisten nervt. Immer wieder wird rumgenörgelt an bearbeiteten Fotos. Die meisten Nörgler verstehen nicht einmal, worum es dem Fotografen geht. Für mich ist Fotografie eine Kunstform und somit ist ein Foto erst einmal nicht an irgendeine Realität gebunden. Ich versuche trotzdem, meiner Realität nahezukommen und habe selbst ein paar Richtlinien, was in der Bearbeitung für mich erlaubt ist und was nicht. Aber das gilt für meine Fotos und was ein anderer Fotograf für Richtlinien hat, ist seine Sache.

Was am Ende zählt, ist doch das Ergebnis. Wenn das gefällt, ist mir eigentlich egal, wie stark es bearbeitet wurde. Wenn ich selbst nörgle, dann vielleicht mal an der Qualität der Bearbeitung. Das ist auch ein Bereich, in dem ich selbst für Kritik empfänglich bin.

Um noch einmal auf den Anspruch, den ein Bild für sich beansprucht, zurückzukommen: Möchte man dokumentieren, hat man wohl andere Richtlinien für die Bearbeitung der eigenen Fotos. Erzählt man zudem den Menschen, die Fotos dokumentieren die Wirklichkeit und sind kaum bearbeitet, dann muss man sich wohl auch an allgemeine Regeln halten.

Ein Problem ist hier meiner Meinung nach fehlende Ehrlichkeit. Wenn versucht wird, ein bearbeitetes Foto der Masse als unbearbeitet zu verkaufen, leidet die Glaubwürdigkeit. Bei Fotowettbewerben war das im letzten Jahr leider einige Male der Fall. Meist, weil die Wettbewerbsbedingungen nicht richtig gelesen wurden. Wobei ich die oben angesprochene Diskussion auch etwas lächerlich finde. In diesem Genre gibt es sehr starke Meinungen, was erlaubt ist und was nicht.

Aileen: Mir scheint fast, dass wir uns alle ziemlich einig sind, dass man sehr viel machen kann und in den meisten Genres auch darf. Ich frage mich dann: Warum ist das Thema trotz allem noch so brisant? Wo wird es Eurem Gefühl nach brenzlig und warum eigentlich?

Sebastian: Ich glaube, das Thema ist einfach deswegen so brisant und kommt immer wieder, weil die Fotografie in der Hinsicht so ein besonderes Medium ist. In allen anderen Kunstrichtungen würde diese Frage ja nicht wirklich in der Form auftauchen, da gehört subjektive Wahrnehmung und Darstellung meistens dazu – sogar in journalistischen Textreportagen ist es die Sprache und die Wahrnehmung des Autors, die alles ausmacht. Aber dadurch, dass Fotografie vermeintlich „objektiv“ sein kann, taucht immer wieder auf, ob sie es auch sein muss oder soll. Das macht für mich auch den Reiz aus, darüber in verschiedenen Kontexten nachzudenken.

Was Wettbewerbe angeht, verstehe ich aber, warum es da immer wieder solche Skandälchen gibt. Die Wettbewerbe machen halt ihre Regeln und das hat dann irgendwie mit Chancengleichheit zu tun, um die Bilder besser gegeneinander zu stellen. In dem Fall ist zu starke Manipulation ja ein bisschen wie Doping – zumindest, wenn man sich mal anguckt, was so richtig gute Bildbearbeiter manchmal aus Fotos rausholen können.

Martin: Wir müssen uns eben auch darüber im Klaren sein, dass Fotos nicht nur dort existieren, wo sie von Fotografen als „Fotografie“ diskutiert und definiert werden. Fotos durchziehen die gesamte Print- und Onlinelandschaft und einen nicht wegzudenkenden Teil der journalistischen Berichterstattung. Außerdem sind sämtliche Social-Media Kanäle durchspült von Bildern.

Die Gesellschaft dokumentiert sich zunehmend selbst und das ganz ohne fotografischen Anspruch. Der einzige Anspruch, der hier gilt, ist: Dokumentieren.

Und somit ist die Fotografie ein Mittel, das in großen Teilen überhaupt keinen künstlerischen, sondern eher einen Wahrheitsanspruch inne hat, auch wenn das so keineswegs artikuliert wird. Ein Titelbild auf Spiegel Online? Wird schon so stimmen.

Hoffen wir’s. Und all das wirkt auch in die Diskussionen unterschwellig hinein, die von Fotografinnen und Fotografen geführt werden. Denn wir schreiben uns schließlich auf die Fahnen, das Mittel Fotografie zu beherrschen.

Marit: Nach all den facettenreichen Ansichten wird klar, dass man das Thema nicht so einfach betrachten kann. Es hängt immer davon ab, in welche Sparte wir ein mit digitalen Sensoren oder auf Film aufgezeichnetes Bild einordnen. Ob, wie Martin sagt, als Dokumentation oder, wie Michael es benennt, als emotionales Landschaftsportrait oder, wie Sebastian es andeutet, das Foto als Ausgangspunkt für Fotomanipulationen.

Aileen: Hattet Ihr selbst denn schon einmal bei eigenen oder fremden Bildern das Gefühl, dass eine Bearbeitungsgrenze überschritten wurde oder Ihr dabei wart, eine zu überschreiten?

Bei mir war es so, dass sich diese Grenzen über die Jahre, in denen ich mich praktisch mit der Fotografie beschäftigt habe, immer weiter ausgeweitet haben. Heute habe ich wenig Skrupel, zum Verflüssiger zu greifen, ganze Objekte aus einem Bild zu retuschieren oder aus mehreren Bildern ein ganz neues zu machen, das dann wieder aussieht, als wäre es genau so aufgenommen – sofern ich diese Maßnahmen als Bereicherung für die Wirkung meines Bildes empfinde. Da es sich dabei aber meistens um Portraits handelt, bin ich mir durchaus der Tatsache bewusst, dass viele Betrachter sich „hinters Licht geführt“ fühlen dürften, wenn sie wüssten, was mit einigen Bildern passiert ist.

Sebastian: Marit, den Punkt finde ich sehr, sehr interessant, auch in Bezug auf das, was Martin vorher gesagt hat. Ein Foto ist dann eine Dokumentation, wenn der Betrachter es so sehen will oder so sieht. Vielleicht entstehen die großen Diskussionen und Missverständnisse oft dann, wenn das nicht übereinstimmt mit dem, was der Fotograf da hineinlegen wollte. So eine überschrittene „Bearbeitungsgrenze“, wie Aileen das sieht, entsteht dann bei jedem irgendwann, der mit einer Erwartung an ein Bild rangeht.

Ich nehme mich da selbst gar nicht aus, ich habe trotzdem selbst so eine Grenze. Gerade bei so super geairbrushten Modelfotos auf Zeitschriftentiteln (am besten noch mit übersättigten Farben) denke ich oft: Uärghs, geht gar nicht. Nicht wegen des moralischen Aspekts (der kommt natürlich auch dazu: falsches Schönheitsideal), sondern weil das einfach meinem eigenen ästhetischen Anspruch an Fotografie total zuwiderläuft.

Martin: Witzigerweise verhält sich meine Entwicklung bezüglich der Bearbeitungsgrenze genau umgekehrt wie die von Aileen – und das hängt nicht nur mit dem Genre zusammen, das ich heute bediene. Früher habe ich mir eigentlich alles erlaubt, heute sind für mich Kontraste, Helligkeit, Sättigung und maximal Farbtemperatur alle Parameter, die ich an meinen Fotos verändern möchte.

Grenzüberschreitungen bei anderen stelle ich natürlich auch fest, klar. Die Frage ist jedoch auch, wie ich damit umgehe. Da es sich nicht um meine eigenen Fotos handelt, wäre ich der Letzte, der daran rumkrittelt, denn es gibt nichts Schlimmeres als ungefragte Kritik (in meinen Augen). Ausnahme: Der von Sebastian angesprochene Fall der Mode(l)fotografie, jedoch bin ich so privilegiert, dass ich mir so etwas nur selten anschauen muss.

Marit, wie ist das denn bei den analogen Fotografen? Gibt es da solche heißgeführten Diskussionen auch oder eher selten? Beabeitet wird da ja schließlich auch…

Marit: Wie es im Allgemeinen bei den Fotografen ist, die auf Film fotografieren, kann ich ebenso wenig sagen wie Ihr. Eine Dunkelkammer ist eben eine Dunkelkammer, ob im Bad mit verdunkelten Fenstern oder am Computer. Verändern kann man ein Bild immer. Das ist und bleibt eine persönliche Grundeinstellung.

Ich versuche lediglich, aus dem Bild das Beste rauszuholen. Ich arbeite mit Gradationsfiltern, wähle den Ausschnitt des Bildes und helle manchmal Stellen im Bild auf. Das ist die einzige Bearbeitung, die ich einem Bild anheim fallen lasse. Das ist aber eine sehr persönliche Sicht, denn ich denke, dass ich während der Aufnahme schon das im Bild habe, was ich gesehen und gefühlt habe.

Hinterher möchte ich daran nichts mehr verändern, nichts hinzufügen, nichts wegnehmen. Ich möchte zeigen, was in der Realität möglich ist, was zeigbar ist. Ich bin wohl so streng gegen nachfolgende Manipulationen am Bild, weil ich etwas Haltbares in dieser Welt brauche und suche. Man könnte sagen, ich bin ein surrealisitscher Realist, was die fotografische Sprache angeht.

Michael: Ich bewege mich mit meiner Bildbearbeitung eigentlich immer an einer Grenze und das ist auch nötig, weil knapp vor dieser Grenze für mich das optimale Bildergebnis liegt. Aber diese Grenze ist einzig durch meinen eigenen Geschmack und meine Erwartungen an das Ergebnis festgelegt. Für andere ist diese Grenze vielleicht woanders, weil sie, wie Sebastian schon sagt, andere Erwartungen an die Fotografie haben.

Man sollte nur nicht den Fehler machen, die Erwartungen, die man an die eigenen Fotos hat, auch auf die Fotos anderer zu projizieren. An der Stelle entstehen dann oft diese hitzigen Diskussionen. Ich sehe auch oft Fotos, die meine Grenze überschreiten oder so deutlich unterschreiten, dass es mir nicht gefällt. Aber ich halte es da meistens wie Martin und enthalte mich der ungefragten Kritik.

Martin: Was meiner Meinung auch eine gute und respektvolle Haltung anderen gegenüber ist, denn so lasse ich stehen, was mir missfällt und finde dennoch eine eigene Arbeitsweise. Meinung ist wichtig – die Frage ist jedoch, in welchem Rahmen sie geäußert wird.

Sebastian: Vielleicht sollte man sich insgesamt etwas damit zurücknehmen, seinen Geschmack in der Fotografie anderen überzustülpen – das gilt insgesamt und natürlich auch speziell bezüglich der Bearbeitung. Sonst ist man schnell an dem Punkt, dass Leute sich gegenseitig erklären, dass irgendetwas „gar nicht geht“.

Erlaubt ist meiner Meinung nach das, was machbar ist, was ästhetisch oder einfach „gut“ aussieht – was immer das heißt, muss jeder selbst entscheiden – oder das Bild in die Richtung bringt, die ich zeigen mag. Bei Wettbewerben und im journalistischen Kontext gibt es da natürlich Rahmenbedingungen, die man beachten muss – aber in freien Arbeiten? Soll jeder das tun, was er für sich als richtig erachtet, denke ich.