26. April 2013 Lesezeit: ~6 Minuten

Lineare Stadtbilder

Wie sich Städte und urbane Räume abbilden lassen, erforschen Fotografen, seitdem es die Fotografie gibt. Ein selten gesehener Sonderweg ist die Montage ganzer Straßenzüge zu einem Bild. Das Online-Archiv PanoramaStreetline hat sich auf diese linearen Panoramen spezialisiert.

Hinter PanoramaStreetline steckt die simple Idee, Städte anders darzustellen. Gerade in Stadtzentren und historischen Altstädten, wo der Fokus nicht zwangsläufig auf einzelnen herausragenden Bauwerken liegt, drängt sich einem fast zwangsläufig die Frage auf, ob man all die unterschiedlichen Architekturen nicht irgendwie zusammen auf ein Bild bekommt und gleichberechtigt nebeneinander stellen kann.

Von einem Standpunkt aus ist das aus Platzgründen meist unmöglich und klassische Panorama-Fotografie ist dafür zu sehr durch Kurven und Fluchtpunkte geprägt. Es bleibt die Möglichkeit, Architektur von parallel versetzten, wechselnden Blickpunkten zu fotografieren und anschließend zu einer Gesamtansicht zu montieren.

Leipzig Tröndlinring Ringmessehaus © Jörg Rom

Werdau Markt © Jörg Rom

Ich brauchte letztendlich sieben Jahre, um aus dieser Idee etwas Brauchbares zu machen. 2003 in der eng bebauten Leipziger Innenstadt schoss ich die ersten Fassadenserien mit einer Altkamera meines Vaters und einer Art abgeschwächtem Fisheye-Objektiv. Mit den entsprechenden Krümmungen waren sowohl ich als auch mein damaliger PC überfordert.

Sieben fotografiearme Jahre später hatte ich eine bessere Kamera, bessere Hardware und einige Künstlerbeispiele gesehen, die bestätigten, dass solche fotografischen Fassadenaufrisse möglich sind. Zudem war mittlerweile die Idee entstanden, ähnlich wie vergleichbare Panorama-Projekte, ein überregionales Archiv aus linearen Panoramen aufzubauen.

Also fing ich an, allerorts Fotoserien zu schießen und mit Freunden und weiteren Fotografen die Webseite zu entwickeln. Auf der Weltkarte des Projektes sind mittlerweile etwa 1000 dokumentierte Straßen markiert, während lediglich etwa 90 fertiggestellte Straßenpanoramen existieren.

Madrid Gran Via Victor Lavilla © Jörg Rom

Hamburg Neuer Wandrahm Panorama © Jörg Rom

Denn im Gegensatz zu klassischen Panoramen gibt es keine Softwarelösung, die die Bildserien automatisch zum gewünschten Ergebnis verarbeiten könnte. Das macht die Bildbearbeitung gegenüber der Fotografie in unserem Fall zu einem sehr zeitintensiven Faktor.

Dennoch bleibt es entscheidend, die Fotografie gut durchdacht und zügig durchzuführen. Logischerweise würde ein langer Zeitraum während der Dokumentation zu stark schwankenden Lichtverhältnissen führen. Daher ist es ratsam, bei Tagaufnahmen auf ein Stativ zu verzichten.

Für die gewählten Stadtansichten bleibt es natürlich wichtig, den geeigneten Fotografiezeitpunkt zu finden, man bleibt also wie immer von den Wetterbedingungen abhängig. Komplett sonnenbestrahlte Fassaden oder Früh- und Abendlicht machen sich da am besten.

Berlin Oranienburge Straße © Jörg Rom

Köln Frankenwerft © Jörg Rom

Breslau Rynek © Jörg Rom

Doch da der Fokus stärker auf der Architektur als auf der Lichtstimmung liegt, kann auch ein bewölkter Himmel funktionieren. Zudem wird das Resultat immer eine Montage und kein einzelnes Foto sein, also muss man sich auch nicht davor scheuen, den Himmel später nachzubearbeiten.

Damit man abschließend die einzelnen Gebäude und deren Linien auch passend zueinander montieren kann, ist es hilfreich, den Abstand zu den Fassaden und die Fotografiehöhe annähernd gleich zu halten, sich also beispielsweise am Bordstein zu orientieren. Außerdem ist es ratsam, die komplette Front in einer Reihe aufrechter Einzelfotos aufzunehmen.

Aufgrund der fehlenden automatischen Montagelösung wäre eine Bearbeitung mehrerer Reihen ein ziemliches Mammutprojekt. In unseren Beispielen wurden bisher maximal einzelne erhöhte Gebäude aus zwei vertikalen Fotos zusammen gesetzt.

Soviel zur Theorie. In der Praxis zeigt sich erst vor Ort, ob eine Straße tatsächlich auf diese Weise fotografierbar ist. Entscheidend ist dabei die Dreidimensionalität vor und hinter der Fassadenebene. Im Vordergrund stören Autos, Bäume, breite Straßenunterbrechungen, Straßenbahnen, Ampelverkehr, Straßenstände und Tunneleinfahrten.

Paris Rue de Rivoli Panorama1 © Jörg Rom

Paris Rue de Rivoli Panorama2 © Jörg Rom

In der Hintergrundebene können nach hinten versetzte Dachaufbauten, Hochhäuser und Bäume hinter flachen Gebäuden die Bearbeitung erschweren oder eine Dokumentation gar unmöglich machen. Andererseits lassen sich Vordergrundobjekte häufig durch geschickt gewählte Winkel in der späteren Montage eliminieren.

Straßenschluchten können, von einem mittigen Standpunkt aus fotografiert, als interessante Blickachse zur Kombination mehrerer Häuserblöcke dienen. Zudem ermöglicht es die Montage sogar, Knicke in der Straßenfront oder Platzbebauungen so zu fotografieren, dass sie wie eine gerade Bebauung wirken. So wird ein Zusammenspiel der Architektur im Bild sichtbar, wie man es vor Ort mitunter nie hätte sehen können.

Womit wir letztendlich bei der eigentlichen Montage landen, die im Kern aus den Schritten Geradestellen der Fotos, Überblenden und Montieren sowie Endbearbeitung mit Himmels- und Vordergrundkorrektur besteht.

London Camden Town © Jörg Rom

Madrid 4 Towers Victor Lavilla © Jörg Rom

Auch wenn die Theorie kurz klingt, die Bildbearbeitung kann je nach Komplexität der dokumentierten Straße das 20- bis 40-fache der Fotografiezeit betragen. Wer sich mit genannten Bearbeitungsschritten nicht auskennt, kann folgende Techniken recherchieren:

Für das Geradestellen von Fotos haben professionelle Bildbearbeitungsprogramme Perspektiv-, Dreh- und Schertools oder Plugins mit entsprechender Funktionalität. Beim Montieren der Fotos miteinander sollte man sich mit der Ebenenbearbeitung auseinandersetzen und wie man mittels Ebenenmasken Bilder überblendet.

Außerdem helfen Hilfslinien bei der Orientierung der an den Gebäuden vorhandenen Waagerechten und Senkrechten. Für die Nachbearbeitung helfen Kenntnisse im Weißabgleich, mit Histogramm-Kurven und mit Kontrasteinstellungen, für die Bearbeitung des Himmels findet man bei einer kurzen Recherche sicher zahllose Tutorials.

Trotz aller Bildfrickelei kann auch die Montage spannend bleiben. So entdeckt man gelegentlich wiederkehrende Personen im selben Bild oder stellt fest, dass die vier Uhren am Stuttgarter Bahnhof in der Montage unterschiedliche Zeiten anzeigen.

Berlin Landsberger Allee Lichtenberg © Jörg Rom

London Neville Terrace © Jörg Rom

Stuttgart Bahnhof © Jörg Rom

Letztendlich soll der Aufwand aber nicht davor abschrecken, es mal zu versuchen. Die Erstellung einer solchen Ansicht gleicht für sich einer kleinen Entdeckung, da man seine Stadt sicher nie zuvor so gesehen hat. Zudem sind wir als Projekt offen für interessierte Fotografen, die lineare Stadtansichten zu unserem Archiv beisteuern wollen.

Eine fotografische Nische wird es sicher bleiben, einerseits wegen der beschriebenen Komplexität, die eine Automatiklösung praktisch unmöglich macht und zum anderen auch, weil sowohl Google als auch Microsoft ihre Straßenblickprojekte ursprünglich in linearer Technik umsetzen wollten, dies dann aber aus technischen Gründen verwarfen.

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