25. April 2013 Lesezeit: ~33 Minuten

Share Dich zum Teufel! Im Gespräch mit Beckmann

Das hier ist ein prozessorientiertes Interview oder eher ein Kwertext in Interviewform. Zusammengetragen aus mehreren Gesprächen. Unterhaltungen, die bis tief in die Nacht geführt wurden, während sich in Hamburg die Schiffe friedlich an die Kaimauern schmiegten und Möwen blinzelnd den Mond betrachteten.

Herr Beckmann ist ein freundlicher Geselle. Er ist vor allem aufgeschlossen und ungezwungen in der Unterhaltung, das muss man ihm lassen. Seine Küche ist ein Ort der Erzählungen und Gedanken.

Ursprünglich sollte dieses Interview auch ein Gastartikel werden und die Gespräche eher zur Essenz des Gesagten führen. Aber Herrn Beckmann lag etwas auf der Seele.

Du bist ein sehr gastfreundlicher Mensch und kommunizierst gern, so jedenfalls mein Eindruck. Ist das richtig?

Rüdi lacht. Ob das wirklich stimmt, kommt sehr darauf an, wen Du da fragst. Das ist sehr stark von meinem Gegenüber abhängig.

Ich rede sehr gern über das, was ich tue, denn ich komme dem Ganzen dabei selbst näher und sehe, was für andere verständlich ist, wo ich falsch abbiege oder wo ich komplett auf dem Holzweg bin.

Kommunikation, ihre ganzen Facetten und vor allem ihre Missverständnisse finde ich spannend. Um den Dialog geht es ja im Grunde auch in meinen Bildern.

Aber ein persönliches Treffen ist viel direkter als die Internet-Schreiberei. Die haptische Komponente ist mir zum Erfühlen der Situation sehr wichtig. Ein Abend in meiner Küche lässt keine Fragen offen. Da sehen wir ganz schnell, ob wir uns verstehen oder nicht.

Am schönsten ist wohl, wenn beide etwas davon haben. Wenn sie sich wahrnehmen und gegenseitig bereichern und auch stehen lassen können.

Problematisch wird’s, wenn ich merke, dass jemand nur schnell etwas abgreifen will, ohne von sich selbst das kleinste Fünkchen zu geben. Dann werde ich ungeduldig und richtig barsch.

Und weil das im Internet gar nicht so selten vorkommt, kann ich mir sogar ganz gut vorstellen, dass die meisten Leute mich so beschreiben würden. Aber ich kann auch umgänglich sein. Echt.

Siehst Du Dich eher als Fotograf oder als Psychologe?

Doch, ich bin Fotograf. Menschen kommen in erster Linie zu mir, um fotografiert zu werden. Sinn der Sache sind die Bilder.

Inhalt und Zweck der Bilder ist aber nicht die Oberfläche der Dinge, sondern die Befindlichkeit darunter. Und um die sichtbar zu machen, braucht es einiges an Reflexion und Beschäftigung mit sich selbst. Das kann dann je nach Stimmung auch mal etwas therapeutisch ablaufen.

Und das ist bestimmt auch der Grund, weshalb einige diese Erfahrung besonders suchen, während andere ganz schön Angst davor haben. Man muss dafür schon etwas bereit sein. Ich schätze, die meisten Leute sind hier gewesen, weil sie auch etwas über sich selbst herausfinden wollten.

Deine Bilder findet man oft unter den Stichworten Akt und Erotik.

Ich finde, das Thema Nacktheit wird sehr verzerrt und überbewertet, das ist oft ziemlich unpassend. In Communities finden wir diese Schubladen meist aus organisatorischen Gründen (z.B. Jugendschutz), aber es macht auch etwas mit den Menschen, das mir unangenehm ist.

Wenn ich ein Aktbild zeige, landet es automatisch in einer Sektion mit diesen ganzen Hobbymodels, die „Akt nur auf Pay“ machen. Und so müssen sich alle damit auseinandersetzen, ob die eigene Nacktheit einen monetären Wert haben sollte, selbst wenn ihnen solche Gedanken bisher völlig fremd waren.

Das finde ich schwierig, weil die Leute ohnehin immer mehr drauf getrimmt werden, sich möglichst gut zu „verkaufen“. Auch beim Fotografieren versuche ich, mich dem konsequent zu entziehen. Da möchte ich möglichst keine Kategorien im Kopf haben. Die Bilder sollen sich damit beschäftigen, wie man sich in der Session gut fühlt. Ob die Person dabei bekleidet ist, muss sie entscheiden. Das ist für sie selbst viel wichtiger als für mich. Im Grunde mache ich immer nur Portraits.

Gut, Du machst Portraits und dennoch ist den Bildern eine gewisse Erotik nicht abzusprechen. Dabei wird sicher oft eine große emotionale Nähe aufgebaut. Wie geht man mit dieser Nähe im Nachhinein um, wenn der Mensch wieder in die Bahn steigt und wegfährt?

Diese Nähe ist ein Geschenk. Sie kann einen erfreuen, aber auch überwältigen, verwirren und sogar weh tun. Es braucht deshalb viel Zeit, um zu reflektieren, sich darüber klarzuwerden, was das Ereignis für jeden Einzelnen genau bedeutet. Meist lässt sich das gar nicht richtig in Worten ausdrücken. Am passendsten erscheinen mir Diane Arbus’ Worte: „Fotografie ist ein Geheimnis über ein Geheimnis.“

Die einzelne Session ist für mich nur Teil von etwas Größerem, einem Prozess des Kennenlernens, der viel länger dauert, einem Weg, der weiter führt. Ich mache deshalb sehr wenige Sessions und in der Regel auch keine Bilder mit Leuten, von denen ich erwarte, dass sie nicht wiederkommen.

In den letzten 3 Jahren habe ich bis auf einige Tests lediglich eine einzige neue Person richtig kontinuierlich fotografiert. Das Einlassen braucht Zeit. Sonst wäre die Intimität wohl wirklich nicht auszuhalten.

Und auch der Betrachter und Kommentator ist in der Pflicht. Aber er realisiert es oft nicht, weil er viel zu beschäftigt ist mit seinen eigenen Bedürfnissen.

Alle Beteiligten tragen zusammen die Verantwortung, dass wir überhaupt unbeschadet Bilder zeigen können. Vertrauen entsteht und darf bleiben, wenn es sich wohlfühlt. Es kann aber auch jederzeit wieder zerstört werden. Weil wir Menschen sind, weil wir verstehen wollen, weil wir teilen und auch abgrenzen, verändert sich die Sicht auf uns und die anderen unaufhörlich. Dieser fragile Prozess ist der eigentliche Sinn beim Fotografieren für mich.

Ich versuche, das behutsam zu machen, das beinhaltet „behüten“. Deshalb bin ich beim Zeigen in Foren, in denen Fotografie viel funktionaler, klinischer und abgeklärter verstanden wird, oft sehr beschützerisch unterwegs. Und es kommt nicht selten vor, dass ich mit Menschen aneinandergerate, wenn sie – unbedacht oder extra – respektlos, böse und beleidigend werden. Dann werde ich das auch.

Das Internet hatte sicher einen Einfluss auf Deine Bekanntheit. Hat Dich das nachhaltig beeinflusst?

Auf jeden Fall. Wir haben uns alle über das Internet kennengelernt. Ich kann mir kaum mehr vorstellen, dass es mal anders war, als ich mit Fotografie anfing. Wer früher Gleichgesinnte kennenlernen wollte, musste so eine Zeitschrift mit Kleinanzeigen kaufen.

Dann konnte man Leute raussuchen und anschreiben. Mit dem Internet ist alles viel einfacher und direkter geworden. Jeder kann, so scheint es, Kontakt mit der ganzen Welt aufnehmen, kann ohne großes Eigenkapital on demand ein paar Bücher herausbringen. Dadurch haben sich unsere Wertigkeiten immens verschoben. Und schließlich auch unsere Jobstrukturen.

Die „Generation Praktikum“ trifft unseren kreativen Bereich besonders. Überall machen die Menschen etwas Kreatives, um ein Ventil zu finden und sich zu verwirklichen, aber sie machen es eher so „nebenbei“, aus Passion und Interesse, weil es selten etwas abwirft.

Sie bemühen sich zwar redlich, aber so richtig fundiert in die Materie einzusteigen, bleibt allein schon aus Zeitmangel auf der Strecke. Man kriegt es gerade eben hin, ein PDF-Magazin oder einen Blog zu zimmern, um die Aufmerksamkeit eines Publikums zu wecken.

Dann verselbständigt sich das Ganze und plötzlich musst Du Dich entscheiden: Bist Du noch Fotograf oder eher schon Fulltime-Redakteur? Und wenn Vision und genügende Erfahrung dahinter fehlen, versenkt sich das ganze Schiff irgendwann wieder selbst. Ich finde heute auf Festplatten immer noch alte Projekte von mir, die irgendwann aus Zeitmangel eingeschlafen sind.

Ich habe Fotocommunities am Anfang als etwas Gutes empfunden. Ein Ort, an dem man lernen kann, um am Ende selbst zu geben. Wie bewertest Du die Entwicklung dieser Fotocommunities, Du warst ja selbst lange sehr aktiv, oder?

Ja, ich fing 1998 ernsthaft an zu fotografieren und ging mit den Bildern 2004 ins Internet.

Fotocommunities sind am Anfang nützlich, um sich zu positionieren und Leute kennenzulernen, die sich gegenseitig bestätigen, weiterbringen und inspirieren. Der eigenständigen fotografischen Entwicklung helfen sie aber wenig.

Das liegt wohl in der Natur der Sache. Neulinge produzieren und teilen die meisten Bilder. Sie wollen sich beweisen und zeigen quasi dauernd unaufgefordert ihre Hausaufgaben vor: Unfertige Bilder.

Sie orientieren sich an dem, was sie Erstrebenswertes vorfinden und machen es nach, emulieren, und sorgen dadurch für eine Inflation des bereits vorhandenen Bildstils. So bestätigt sich das System konstant selbst. Das ist der Matthäus-Effekt in Aktion: „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.“ Alle schmoren zusammen im eigenen Saft.

Ich glaube nicht, dass man in diesen Menschensammlungen einen repräsentativen Querschnitt bekommt, in dem alle Strömungen, alle Bedeutsamkeiten, alle Facetten der Fotografie korrekt gewichtet sind. Das wäre so falsch wie anzunehmen, dass die FC-Galerie die besten Bilder europäischer Fotografen zeigt.

Zusammengenommen ergibt sich höchstens ein Durchschnitt dessen, worauf sich viele Menschen einigen können. Dieser Mittelwert ist so etwas wie ein Postkartenständer, aber kein guter Leitfaden und sicher kein Geschmacksratgeber. Und die ewige Wiederholung liegt so sehr neben meinen persönlichen Bedürfnissen wie die 20 Rucksäcke, die mir Amazon jetzt immer vorschlägt, weil ich da dummerweise mal einen gekauft habe. Amazon denkt: Dem Mann kann geholfen werden, er steht offenbar auf Rucksäcke. Und ich frage mich: Meinen Rucksack habe ich jetzt doch schon. Welchen Teil von Kundenbetreuung versteht ihr denn nicht?

Es fängt ja auch schon ganz falsch an. In erster Linie treffen wir an diesen Orten nicht auf Bildkonsumenten, sondern auf Leute, die selbst auf der Suche nach einem Publikum sind. „Tolle Bilder, weiter so, schau auch mal bei mir vorbei.“ Was schert es mich denn, ob mein Gegenüber meine Bilder auch mag, nur weil ich seine toll finde?

Inspiration funktioniert doch selten so direkt auf beiden Seiten. Aber der Kleinbildzüchter investiert sehr viel Zeit und deshalb fordert er diese Leistung Quid pro Quo zurück. Die Auszeichnungen, die vergeben werden (die Galeriesternchen bei FC und View, die Blink-Awards bei Flickr, das Rating bei 500px), sind in der Regel eher Fleißpunkte, die aufzeigen, wieviel Zeit bereits im jeweiligen System verbracht – verschwendet – wurde. Und die Mehrheit honoriert das Gewohnte und Altbekannte. Inspirierendes finde ich dort nur in Einzelfällen, es kommt meist von außerhalb dieser Systeme.

Die meisten Menschen, die ich kenne, haben sich nach ihrem Weg durch die Community von ihr wieder emanzipiert, sie fallen quasi oben wieder heraus, wenn sich der Zweck für sie erfüllt hat. Egal, ob das Selbstfindung war, fotografische Anerkennung oder einfach Kontakt zu Leuten.

Irgendwann haben sie ihren Weg gefunden, das Studium beendet und einen Vollzeitjob angetreten, sie haben sich verliebt und verheiratet. Die Prioritäten ändern sich. Und dann sind sie weg, schauen in die alte Umgebung immer seltener, weil im Job auch nicht mehr so viel Zeit bleibt wie damals im Studium.

Und du hast Recht: Zu Anfang nimmt man eher und später gibt man dann zurück. Aber irgendwann ist auch damit Schluss, weil das Ungleichgewicht von Geben und Nehmen immer größer wird. Über Jahre gleichbleibend präsent in Communities bleiben in meinen Augen in erster Linie nur Leute, die etwas davon haben, weil sie hier irgendeine Dienstleistung anbieten:

Der Workshopfotograf, der Kurse leitet oder How-To-Bücher an den Mann bringt; der Erotikfotograf, der immer neue Nackedeis für seine Paysites akquiriert; der Beautyfotograf auf der Suche nach bezahlten Aufträgen; das Hobbymodel, das sich das Studium finanziert – quasi die Serviceindustrie am Rande.

Die Anfänger schauen zu ihnen auf, weil sie hoffen, etwas von ihnen zu lernen, aber fotografisch gesehen sind sie nicht die Meister – diese sind meist irgendwann ganz weg aus dem System, weil sie noch mehr suchen als sie dort bekommen können.

Sind Facebook und Co. nicht eher ein Abbild unseres momentanen Gesellschaftssystems, in dem lieber genommen als gegeben wird?

Ich glaube nicht. Für mich geht der Trend woanders hin. Foodsharing, die Umverteilung von Gütern, Organisation von Hilfen und die Verbreitung alternativen Gedankenguts – in den neuen Medien wird das uneigennützige Teilen derzeit sehr großgeschrieben. Ich denke, wir lernen langsam, die ganze Vernetzung konstruktiver zu nutzen.

Zusammen mit einer „Generation Y“, die nicht mehr blind in irgendeine Arbeitsmaschine eingespannt werden will, sondern den Sinn der Sachen hinterfragt und Karmapunkte vergibt. Ich finde den Optimismus toll, der damit verbunden ist. Man muss sich den aber auch leisten können.

Viele großartige Fotografen, die ich kenne, sind noch am Anfang. Sie machen tolle Sachen, haben aber noch nicht raus, was es bedeutet, daraus wirklich über viele Jahre einen lukrativen Job zu machen und die wenigsten werden diesen Beruf ergreifen.

Selbst erfahrene Fotografen wissen ja gar nicht genau, was die Zukunft bringen wird, so schnell verändert sich alles. Wir müssen auch alle jeden Monat unsere Miete zahlen und diese Kosten entwickeln sich zumindest in Hamburg gerad krass anders im Vergleich zu unseren Honoraren.

Ich bin also gespannt darauf, wie sich unser Arbeitsmarkt neu strukturiert und welche Möglichkeiten für die Zukunft daraus entstehen. Wenn ich mich umschaue, geht es vielen lange nicht mehr so gut wie noch vor einigen Jahren. Wenn sogar der Paul Ripke gerade pleite ist.

Am Ende muss jeder sehen, wo er oder sie bleibt. Ich wurde ja allen Ernstes letztens auf einer Ausstellung gefragt, ob ich denn von meinen Fotos leben könne. Da musste ich wirklich herzlich lachen.

Aber zurück zur Frage: Ich denke, Facebook erzieht uns heimlich Verhaltensweisen an, die wir bewusst hinterfragen sollten. Wir kamen da an, um uns als Menschen auszutauschen und inspirieren zu lassen. Leider haben wir als Fotoschaffende auch Dinge, die wir an den Mann und die Frau bringen wollen und so verschwimmen die Grenzen zwischen den Menschen und ihren Produkten immer mehr.

Facebook treibt damit leider sehr konsequent Schindluder. Es erlaubt sich die Frechheit, mir nur noch ausgewählte Beiträge meiner Kontakte zu zeigen und haut mir stattdessen Werbeposts dazwischen. Da kommt also öfter mal nicht die Sendung, die ich eigentlich eingeschaltet habe, stattdessen läuft Home-Shopping.

Das Neue daran ist, dass Facebook mir personalisierte Werbung zeigen kann. Die wissen ja, dass ich Fotograf bin, also bekomme ich im Wechsel Bildverschlimmerungssoftware, Wald-und-Wiesen-Hochzeitsfotografie und Erotik-Anfängerworkshops angeboten. Eine schöne neue Welt ist das.

Und was soll man laut Facebook tun, um nicht unterzugehen? Für Reichweite bezahlen. Oder selbst mehr posten. Wenn Du mehr teilst, wirst Du mit größerer Verbreitung belohnt. Das ist natürlich totaler Quatsch, kann aber eine Zeit lang durchaus süchtig machen.

Mir wurde von einem Typen erzählt, der noch schnell Hunderte von Like-Vorschlägen annehmen musste, die Facebook ihm anbot. Auf die Frage „Warum?“ meinte er: „Ich muss das machen, sonst schlägt mir Facebook ja nicht mehr so viel vor.“

Facebook macht komische Dinge mit uns, es erzieht uns zu Spammern nach dem Gießkannen-Prinzip, wie im Direktmarketing: Möglichst breit streuen, damit irgendwo etwas hängenbleibt. Das Abstruse ist, dass sich die Menschen dabei immer noch als gebend wahrnehmen. Kommunikation wird ad absurdum geführt.

Und das Freundekonzept von Facebook ist doch auch grotesk, wenn man mal drüber nachdenkt. Weil sich niemand schutzlos ausliefern mag, verschanzen sich alle hinter der ersten Schwelle der Befreundung, aber sobald man über zwei Ecken miteinander verbandelt ist, steht das ganze Ding offen wie ein Scheunentor.

Weil Facebook in Wirklichkeit kein Interesse an Privatsphäre hat, sondern daran, dass möglichst viel geteilt wird. Wer fünfzig Freunde hat, merkt davon noch nicht viel, aber mit achthundert Freunden aus verschiedensten Kreisen wird die Freundeslisten-Bürokratie undurchschaubar. Sind die Freunde von Freunden automatisch die Freunde von allen? In den seltensten Fällen.

Ich hätte einige Funktionen wirklich gern ausgeschaltet wie z.B. diesen Kasten oben rechts, diesen Liveticker der Freundesaktivitäten, der zum schnellen Reingrätschen in anderer Leute Gespräche ermuntert. Jede Aktion von mir zog immer ein Rinnsal von Likes und Kommies der Facebook-Poweruser nach sich. Wie ein Rudel inkontinenter kleiner Hunde, die überall nochmal draufpischern müssen, um zu beweisen, dass sie auch dabei sind.

Diese redundante Selbstvermarktung auf Autopilot geht mir voll auf den Keks. Ist das noch Kommunikation? Bei Facebook automatisch retweeten lassen, dass man es auf die Startseite der FC geschafft hat? Oder an einem Tag 30 Mal ein Posting geteilt bekommen, weil das die Bedingung dafür ist, ein romantisches Beautyshooting im Wert von 75 € zu gewinnen?

Dieses Mitmach-Web wird uns eingeimpft, denn die Beliebtheit der Beiträge ergibt sich aus den Responsen und die bewirken eine sofortige Optimierung. Schlaue Unternehmer formulieren ihre Facebook-Teaser jetzt immer mit „Und was meinst Du dazu?“ Ob die unsere Meinung wirklich interessiert?

Ich musste wirklich etwas lachen, als letztens ein kwerfeldein-Bericht über Vintage-Fotografie mit so einem „Probier’s doch auch einmal!“-Mitmachsatz endete.

Natürlich betreibt auch kwerfeldein dieses „Participation Web“ mit und für das Publikum, in dem die Grenzen zwischen Interviewbeiträgen, ausgewähltem Kuratieren und Feedback-Content verschwimmen. Oft ist nicht mehr klar zu erkennen, ob der Artikel der Sinn der Sache ist oder ob’s eigentlich eher um den Kommentar-Rattenschwanz geht, wie er beispielsweise etwas vorhersehbar auf Martins Pervers-Artikel folgte.

Das macht mich jetzt natürlich etwas gespannt auf die Kommentare zu diesem Interview. Ich werde sie alle lesen, ich schwör’s. Und Ihr müsst mich auch nicht liken.

Glücklicherweise lässt sich jetzt auch auf Facebook der Trend zur Selbstreinigung erkennen. Scott Kelby spricht sich „Für das Signal und gegen das Rauschen“ aus.

Und Jeriko hat sich in seinem neuen Interviewkonzept komplett gegen eine Feedback-Funktion entschieden. Das finde ich gut. Wir haben doch eh genug Mitteilungsmöglichkeiten untereinander. Warum mir Leute auf sechs verschiedenen Plattformen dieselben Sachen unter die Bilder schreiben, habe ich eh nie verstanden – außer unter dem Aspekt der Selbstvermarktung.

Facebook hat durch das Fördern dieser nervigen Mechanismen bei mir genau das Gegenteil seiner Bemühungen erreicht. Ich nutze es gar nicht mehr privat, ich teile nur noch öffentlich und für alle gleich. Meine private Kommunikation ist komplett zum direkten Kontakt ohne Mitlesen und Gruppenkuscheln zurückgekehrt.

Ich finde es sehr angenehm, jemandem zu schreiben, wenn ich an ihn denke und nicht, weil er sich mir dauernd aufdrängt. Mir fiel dazu gerade ein schönes Zitat in die Hände: „Don’t strive to make your presence noticed, just make your absence felt.“

Networking wird heute ganz groß geschrieben, Du hast das vorhin schon so schön in Bezug auf die Kreativen bei Facebook und Co. angesprochen. Da kennt sich jeder über irgendeine Ecke und jeder hat über den anderen etwas zu berichten. Das kann Vorteil als auch Nachteil sein. Wie schafft man da die Balance zwischen dem eigenen Schaffen und der Vermarktung, ohne peinlich oder gar grotesk zu wirken?

Ich denke, wir haben im Laufe unseres Onlinelebens verschiedene Strategien, die wir ausprobieren, bis wir glücklich werden. Ich habe eine wirklich lange Zeit damit verbracht, die sehr chaotisch war. Das Fazit aus allem ist zum Schluss bestimmt so etwas ganz Banales wie: „Be who you are and say what you feel because those who mind don’t matter and those who matter don’t mind.“ Man muss sich einlassen können, aber auch abgrenzen. Meine Devise ist: „Man muss jeden nehmen, wie er ist. Aber man muss nicht jeden nehmen.“

Prinzipiell denke ich, man darf keine Angst davor haben, sich auch mal richtig unbeliebt zu machen und sehr vielen Leute nicht zu gefallen, solange man sich treu bleibt und die anderen dabei wahrnimmt. Es gibt sicher sehr viele Menschen da draußen, denen ich es überhaupt nie rechtmachen könnte. Aber das ist auch nicht mein Job. Und gerade wenn Du mal wieder denkst, Du sabbelst Dich um Kopf und Kragen, kommt einer um die Ecke, dem genau das, was Du sagst, viel bedeutet. Während Dich der Rest der Welt total doof findet.

So ist das halt mit der Meinungsfreiheit. Aber so einfach es klingt, so schwierig ist das am Anfang umzusetzen. Du kennst weder Deine Bedürfnisse noch Deine Stärken und bist höflich, weil Du es Dir nicht mit allen versauen willst. Aber die Grenze zwischen Höflichkeit und Unehrlichkeit ist fließend.

Manchmal kommen ganz komische Verrenkungen heraus, die Du im Nachhinein als lächerlich unehrlich empfindest. Aber das ist ja menschlich. Wirklich grotesk wird es nur, wenn man sein Fähnchen immer nach dem Wind hängt und keine eigenen Grundsätze vertritt. Weil man dann diffus und nicht fassbar bleibt. Wenn Du Dich selbst kennst, kannst Du Dich anderen gegenüber auch konsistent verhalten.

Am besten lernst Du Dich selbst kennen, wenn sich Deine äußeren Umstände radikal verändern. Wenn Du aus dem Studium kommst und in einen Job gehst. Wenn es Dir erst blendend geht und dann total dreckig oder anders herum.

2011 gab es bei mir wohl die größte Veränderung, als ich quasi aufhören musste zu fotografieren. Das war eine gute Gelegenheit, ein paar Mechanismen klarer zu sehen, weil ich nicht mehr so in diesem Trott drin war, den ich dann bei anderen befremdlich fand. Mein Umgang mit Facebook hat sich in dieser Zeit sehr verändert, weil diese Community so rapide wuchs und sich dabei insgesamt in eine Richtung entwickelte, die mir nicht behagte.

Facebook will das Netzwerk des Lebens sein, also sitzen da alle wild durcheinander in einem Topf – Klassenkameraden, Arbeitskollegen, Fotografen, Modelle, aber auch Firmen, Museen, Ausstellungsräume, Zeitungen, Medien und Magazine. So überschneiden sich viele Kreise, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben.

Und nicht einmal erklärte Interessensgruppen sind kompatibel. Wenn ich sage, dass mich die meisten Fotografen überhaupt nicht tangieren, wird das gern als Arroganz gewertet, aber ich denke, es ist wichtig, das zu realisieren. Mit den meisten habe ich wirklich höchstens gemeinsam, dass wir Kameras benutzen.

Ich habe keine Assistenzstellen und Fotojobs zu vergeben, teile mir kein Studio und gebe keine Workshops. Ich kaufe mir nicht andauernd neue Kameras und Equipment, tauge also weder als Kunde noch als Test-Autorität. Und man landet bei mir auch nicht, um eine lukrative Modellkarriere zu starten oder Personen empfohlen zu bekommen, denn ich arbeite gar nicht mit »Models«. Unter Facebook-Fotografen bin ich also gar nicht netzwerktauglich. Ich kann da nur meine Bilder zeigen und die von anderen anschauen.

Mein Netzwerk besteht eher aus Leuten, die ähnlich unterwegs sind wie ich. Die ich verstehe und die mich verstehen. Die auch kreativ arbeiten, Ausstellungen machen, Kunst schaffen. Oder die auf Schulen gehen, um das zu lernen. Und aus den Leuten, für die die Kunst gemacht wird, die sie anschauen und genießen. Die sich Bilder von mir ins Zimmer hängen, die selbst ausstellen wollen, die begeistert sind und Artikel schreiben, um Kunst vorzustellen und zu verbreiten.

Viele von ihnen kenne ich bisher nur virtuell, einige habe ich gerade persönlich auf meiner Ausstellung in Dresden kennengelernt. Ich bin begeistert, wie viele Leute bei der ganzen Vorbereitung und der Durchführung mitgeholfen haben. So konnten wir etwas auf die Beine stellen, das einer allein gar nicht schaffen würde. Das verbindet. Das gefällt mir wirklich.

Die eigene Kreativität wird durch die Möglichkeiten des Internets auf eine harte Probe gestellt. Jeder kann sich am anderen bedienen. Und man muss sich selbst oft genug fragen, wo der eigene Weg eigentlich hingeht, um nicht selbst Opfer des ständigen Outputs anderer zu werden.

Auf uns prasseln täglich tausend Einflüsse gleichzeitig ein. Wir müssen ihre Bedeutung für uns richtig einordnen, damit es Sinn macht. Was ist Lob, was ist Kritik? Was ist wichtig und was nicht? Was gibt Dir und was zieht nur Kraft?

Als mir im ersten Semester der Prof in mein Bild hineingemalt hat, war ich schockiert, dass er mein wunderbares Kunstwerk nicht respektiert. Irgendwann wurden wir etwas cooler damit, konnten unser Können und die Rolle des Profs besser einschätzen und waren schließlich sogar dankbar, wenn wir von ihm wertvolle Impulse bekamen.

Aber damals auf der Schule waren die Rollen auch sehr klar verteilt. Auf der einen Seite gab es die Profs, Mentoren, Autoritäten. Und dann gab es uns Schüler, die langsam lernten, was sie selbst der Welt zu geben hatten. Und im Laufe der Jahre wurden wir irgendwann selbst zu Lehrern.

Im Internet gehen alle diese Rollen komplett durcheinander. Wenn Du Anfänger bist und Deinen Weg suchst, suchst Du vergeblich Klarheit, Stärke und Anleitung. Und Du bist links und rechts von Leuten umgeben, die alle selbst etwas wollen und sich genauso wie Du einfach nur durchwurschteln.

Du musst andauernd entscheiden, ob Du es noch annimmst, was Dir die Leute am Zeug flicken oder ob Du es schon als Mumpitz diskreditieren und total drüber stehen kannst. Das ist anstrengend, weil man kontinuierlich von anderen inspiriert und beeinflusst werden will, auf der anderen Seite aber immer sein eigenes Zeug verteidigen muss. So wollen wir in diesem Netz alle halbwegs Freunde sein, sind dabei aber ständig unter Beobachtung und gleichzeitig irgendwie auch Konkurrenten.

Und je mehr wir uns austauschen, desto austauschbarer wird alles. Und künstlerisch suchen wir eigentlich gar keine Übereinstimmung, sondern unsere eigene Einzigartigkeit. Das ganze Ding ist schrecklich verwirrend.

Die Menschen sind Konsumenten, Produzenten, Schüler, Lehrer, Arbeitgeber und -nehmer zugleich und jeder versucht zu bekommen, was er braucht und dabei einigermaßen gut wegzukommen. Lernen findet nicht mehr linear statt, sondern allgegenwärtig. Output = Input = Output. Wie findet man da durch? Um zu erkennen, ob eine Beeinflussung gut oder schlecht ist, gibt es eine sehr einfache Faustformel: Wenn Du Dir etwas holst, ist es Inspiration. Wenn sich die anderen etwas holen, ist es Plagiarismus.

Du kannst natürlich nicht ernsthaft erwarten, von anderen inspiriert zu werden, ohne Deinem Publikum das Gleiche zu erlauben.

Um aus diesem Widerspruch heil herauszukommen, solltest Du den anderen zur Sicherheit immer ein paar Schritte voraus sein. Lacht Aber was können wir im Internet lernen und was nicht?

Die Technik des Fotografierens kannst Du Dir besorgen, Du kannst Dir in der Community Feedback zu Deinen Bildern holen und so Grundlagen der Komposition und Bildkonzepte begreifen und Du kannst haufenweise Modelle akquirieren und viele Jahre vor Dich hin fotografieren, aber ohne fachliche Anleitung kannst Du auch komplett am Sinn der Sache und an Dir selbst verzweifeln, wenn Du immer nur hirnlos Bildideen kopierst, nur weil das Shareweb mal wieder „Mitmachen!“ gerufen hat.

Welche Schöpfungshöhe kann etwas denn haben, wenn es dazu schon ein Youtube-Tutorial gibt? Wer soll bei dem Gewimmel schon durchsteigen? Lehrgeld zahlen wir alle, bis uns wirklich keiner mehr viel vormacht.

Die verbreitete Währung im Internet ist Erfahrung. Wir hören gern auf Leute, wenn wir zu ihnen aufschauen, es gibt auch Respekt für die, mit denen wir uns auf einer Höhe vermuten und auf die anderen schauen wir tendenziell eher hinunter.

Ich fand’s immer etwas skurril, wenn eine Fotografin bei mir prahlte, dass sie jetzt gutes Geld macht und es endlich nicht mehr nötig hat, for free zu arbeiten, während sie sich von mir selbstredend ohne Bezahlung fotografieren ließ.

Oder wenn einer, der gerade einmal seit sechs Monaten knipste, plötzlich für horrende Summen Fine-Art-Workshops anbot. Das fühlte sich für mich irgendwie nicht stimmig an und dann kam es mir manchmal so vor, als sei das Internet nur eine große Firma: Nach oben schleimen und nach unten treten. Ein Spiegel-Artikel* über Facebook schloss mit der schönen Formulierung: „Von der Gemeinschaft bleibt nur noch das Gemeine übrig.“

Martin Sonneborn würde ja sagen: Das regelt der Markt. Aber wonach streben wir eigentlich? Haben wir von vornherein eine Vision oder strampeln wir nur solange diffus herum, bis es kommerziell halbwegs erfolgreich wird und entspannen uns dann ein bisschen? Wo ist das Ziel?

Wie können wir das Ziel formulieren, worin liegt denn unser persönlicher Erfolg? Vor allem als Künstler ist das zeitweise schwierig festzumachen. Sven Regener beantwortete das so: „Der künstlerische Erfolg ist nicht messbar, den musst Du selber postulieren. Du musst sagen: Dieses Buch ist mir gelungen. Aus die Maus.“ Ein Publikum kommt da als Instanz höchstens ganz am Rande vor.

Ich denke, diesen Werdegang macht jeder für sich durch, mit temporärer Selbstunter- und -überschätzung, mit eigenen Lernkurven und persönlichen Leidenswegen, bis irgendwann der strahlende Moment kommt, in dem Du Dich „fertig“ fühlst.

Ich weiß noch ziemlich genau, dass ich zu meiner ersten Ausstellung fast gezwungen werden musste. Ich hielt mich damals noch nicht für bereit. Aber wenn Du soweit bist, merkst Du es. Irgendwann fühlte ich, dass es genug ist mit studieren. Ich hatte, was ich brauchte, um allein weiterzumachen. Ich hatte meine Stimme gefunden. Das ist ja die wichtigste Frage, die Du Dir beantworten kannst: WARUM fotografiere ich eigentlich? Wenn Du das beantwortet hast, teilen sich Deine Bilder plötzlich in sehr wichtige, eher unwichtige und total überflüssige. Weil Du weißt, was Du zu tun hast.

Das ist natürlich von mir jetzt sehr leicht dahingesagt und das ist eh die Tücke beim Erfahrungen sammeln: Andere können einem dabei kaum helfen. Ich habe für mich persönlich etwas gefunden; bei anderen wird es ganz anders sein. Aber es gibt Autoritäten, die Deine Arbeit begleiten können, die Dir profunde Tipps mit auf den Weg geben, was Du Dir anschauen solltest oder in welche Richtung Du gehen kannst. Im Studium wird diese Funktion von Professoren wahrgenommen. Sie sind erfahren und unparteiisch und vor allem ist es ihre Aufgabe, sich mit Dir zu beschäftigen, Dich zu beraten und anzuleiten.

Vom Internet kann man das nicht verlangen, hier kommt diese Rolle tendenziell zu kurz, denn jeder vertritt in erster Linie seine eigenen Belange. Kuratieren wird da nur gegen Geld angeboten, Wettbewerbe kosten Mitmachgebühren und Awards und Vanity-Galerien warten eigentlich auch nur auf Dich, um Deine Brieftasche zu erleichtern.

Die Bedeutung dieser ganzen Dinge ist unklar und es ist nicht einfach, da durchzufinden. Heute verbringt jedes Fotokind schon mit 16 vom ersten Tag an mindestens so viel Zeit mit Selbstvermarktung wie mit der Arbeit an seinem Œuvre und der Kram hängt schon öffentlich an der Wand, bevor überhaupt klar ist, was er bedeuten soll.

Sich bei all dem Blingbling selbst zu finden, stelle ich mir sehr anstrengend vor. Ich habe den Eindruck, ich hatte im Studium und in der Laufbahn etwas mehr Zeit, die eigene Position und die Bedeutung der Dinge zu erkennen, ohne jeden Fitzel gleich vor der ganzen Welt rechtfertigen zu müssen.

Ich denke, was ich in Bildern suche, hatte ich im Groben schon gefunden, bevor ich mich dem Internet stellte. Das empfinde ich im Nachhinein als sehr günstig. Und auch, wenn ich das Internet zur Präsentation nutze, findet das Kreative ganz woanders statt. Ich finde es wichtig, diese beiden Prozesse komplett zu trennen, so kann ich dem Internet dann etwas zeigen, was es noch nicht kennt.

Aber die ganzen Begegnungen mit den Menschen, auch im Internet, haben zu meinen Bildern beigetragen. Es ist schön, diesen Einfluss überall zu spüren. Und ich bin allen sehr dankbar, die direkt oder indirekt dabei mitgemacht haben.

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Wer sehen möchte, was Rüdiger Beckmann an die Wand bringt, der sollte sich morgen schleunigst auf den Weg nach Dresden machen und ihm die Hand schütteln. Finissage zu „Beyond Vanity – Jenseits von Eitelkeit“ – eine Ausstellung zu seinem Buch am Freitag, den 26. April 2013 bei Adam Ziege, Louisenstraße 87 – 01099 Dresden.

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