04. April 2013 Lesezeit: ~6 Minuten

1001 Strangers

Ich erinnere mich noch genau. 30. September 2011, Sarah und ich sitzen im Hugeldubel in München, trinken Caramel Macchiato und warten auf einen gemeinsamen Freund. Ich erzähle von diesen Fotoprojekten bei denen man fremde Menschen auf der Straße fotografiert. Sarah sagt, was ich denke: „Wow, die trauen sich, einfach die Leute auf der Straße anzusprechen?“

Das sagt jeder, dem ich von diesem Projekt erzähle. Und das dachte ich auch, als ich an diesem Tag zurück ins Sonnenlicht auf den Marienplatz lief und meinen ersten Stranger ansprach. 
Ich war ziemlich überrascht, dass dieser junge Mann tatsächlich stehen blieb, mir zuhörte, lächelte und ja sagte. Obwohl ich gestottert und viel zu viel geredet habe. Naja, ich sag es lieber gleich: Das war Anfängerglück.

München © Laura Zalenga

Fast täglich bekomme ich eine Nachricht von jemandem, der dieses Projekt machen möchte, aber nicht weiß, wie. Daher dachte ich, ich erzähle von meiner Herangehensweise und meinen Erfahrungen, um anderen den ersten Schritt einfacher zu machen und ein paar Tipps zu geben.

Wie spreche ich die Menschen an?

Es hat eine Weile gedauert, bis ich den ‚richtigen‘ Spruch entwickelt hatte. Denn, wenn man nicht in den ersten drei Sekunden glaubhaft vermitteln kann, dass man weder Daten noch Geld möchte, flüchten die Menschen mit einem Kopfschütteln.

Man kann es ihnen auch nicht übelnehmen, schließlich wollen die meisten Menschen, die auf der Einkaufsstraße zielstrebig auf einen zukommen, dass man sich irgendwelchen Fragebögen stellt, etwas kauft oder abonniert. 
Außerdem ist heute ja jeder in Eile, also muss man auch noch versprechen, dass es schnell geht.

Ich sage meistens etwas wie: „Hallo, haben Sie zwei Minuten Zeit? Ich möchte nichts verkaufen und weder Ihren Namen noch Ihre Adresse. Ich arbeite zur Zeit an einem privaten Fotoprojekt, Sie sind mir aufgefallen und ich würde Sie sehr gern fotografieren.“

Cardiff © Laura Zalenga

Es gilt, diesen Satz mit einem Lächeln auf den Lippen zu sagen und zwar so schnell, dass auch weitergehende Menschen alles mitbekommen und trotzdem langsam genug, dass man es überhaupt verstehen kann. 
Meiner Erfahrung nach bleiben 90% der Menschen jetzt erst einmal stehen.

Dann erzähle ich kurz, worum es bei meinem Projekt geht und warum ich ausgerechnet sie dafür begeistern will. Ein treffendes, ehrliches Kompliment kommt immer gut an. 
Ich erkläre, dass ich zwei Bilder mache. Ein nahes Portrait und eine Ganzkörperaufnahme, dazu zeige ich ihnen die zwei Fotos der letzten Person auf der Kamera, was alle restlichen Zweifel verschwinden lässt.

Ich erkläre, dass das Bild auf meinem Blog und Facebook zu sehen sein wird, gebe der Person eine kleine Karte mit den Links und mache klar, dass ich das Bild umgehend lösche, falls es ihnen nicht gefällt.

München © Laura Zalenga

Es bleiben etwa 15 Sekunden, um die beiden Bilder zu machen und sie der Person zu zeigen. Dann verabschiede ich mich mit einem Danke von meist zufrieden lächelnden Menschen.



Welche Menschen spreche ich an?

Generell spreche ich Menschen an, die auf irgendeine Art und Weise aus der Masse herausstechen. Meistens ködern mich hierbei Haare und Kleidungsstil, aber auch besondere Gesichter oder ein tolles Lachen.

Natürlich frage ich niemanden, der durch etwas heraussticht, auf das er ganz sicher nicht angesprochen werden will. 
Man muss eine gewisse Sensibilität entwickeln. Oder besser: Sie entwickelt sich von ganz allein.

Stuttgart © Laura Zalenga

Ich frage am liebsten Menschen, die allein oder in Gruppen von mehr als zwei Personen unterwegs sind. Das haben mich unangenehme Zwischenfälle gelehrt: Wenn ich bei einem jungen Pärchen den Mann frage, durchbohrt mich seine Freundin mit bösen Blicken.

Frage ich zwei Freundinnen, steht das zweite Mädchen verkrampft lächeln daneben und schaut auf ihre Füße. Oder, noch schlimmer, das erste Mädchen schlägt vor, das andere Mädchen auch ins Projekt aufzunehmen und ich muss mich erklären.

Natürlich könnte mir das egal sein, aber ich möchte, dass die Menschen durch mich eher ein positives als ein negatives Erlebnis haben. 

Es ist wesentlich einfacher, Menschen in meinem Alter zu überzeugen und schwerer, je älter die Person ist. Teilweise, weil diese sich selbst nicht schön genug für ein Foto halten, aber auch, weil sie viel misstrauischer sind.

München © Laura Zalenga

Man neigt dazu, es sich leicht zu machen, aber es hat sich gezeigt, dass es sich sehr lohnt, auch immer wieder ältere Menschen anzusprechen.

Warum liebe ich dieses Projekt?

Weil ich viel gelernt habe und immer noch lerne. Über meine Kamera, die Fotografie, aber auch über mich selbst. Darüber, wie man Menschen anspricht und wie man schnell ein gutes Portrait macht.

Außerdem macht es Spaß, sich in den Strom von Menschen zu stellen und alles zu beobachten. Es macht Spaß zu sehen, wie sich das Leben zweier Menschen für ein paar Minuten überschneidet und ich werde für immer ein Erinnerungsfoto zu jeder dieser Begegnungen haben.

München © Laura Zalenga

Mit einigen meiner Stranger habe ich mich länger unterhalten und ich denke oft an diese Gespräche zurück. Manchmal bin ich fast ein wenig traurig, dass ich ihren Namen nicht kenne und sie wahrscheinlich nie wieder sehen werde.

Das Wichtigste ist jedoch, dass das Projekt glücklich macht. Es ist toll zu sehen, wie sehr sich viele der Angesprochenen freuen. Gerade ältere Leute sagen mir oft, wie überrascht sie sind, dass sie jemand schön findet oder überhaupt wahrnimmt.

Es gäbe zu jedem dieser Bilder eine Geschichte zu erzählen, aber das würde dieses Format sprengen – und ist es nicht viel spannender, seine eigenen Stranger-Geschichten zu erleben?

München © Laura Zalenga

Am 8. Juni 2012 habe ich meinen hundertsten Stranger fotografiert und in derselben Sekunde entschieden, das Projekt ganz schnell von „100 Strangers“ in „1001 Strangers“ umzubenennen. Dieses Projekt macht zu viel Spaß, um je zu enden.

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