19. Februar 2013 Lesezeit: ~20 Minuten

Im Gespräch mit Samuel Poromaa

Kurzes Vorwort, langes Interview: Manchmal findet man als Interviewer erst im Gespräch selbst heraus, dass der Künstler, den man sowieso vorstellen möchte, noch viel interessanter ist als man dachte. Und jede Menge spannende Gedanken hat, die er im Folgenden mit uns und Euch teilt.


„Contact“ aus der Serie „The Silence Of Many“

Hallo Samuel. Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns nimmst. Zuerst, erzähl uns doch mal ein bisschen was über Dich: Wer bist Du, was machst Du?

Mein Name ist Samuel Poromaa, ich bin ein schwedischer Künstler und lebe in Stockholm. Ich wurde 1960 in Kiruna geboren, das ist eine kleine Bergbau-Gemeinde weit oben im Norden von Schweden nahe dem Gebirge, das die natürliche Grenze zwischen Schweden und Norwegen bildet.

Ich bin eigentlich wirklich kein Fotograf. Na gut, man könnte wohl sagen, dass ich ein Fotograf geworden bin, da ich ja Fotos mache, aber in meiner Vorstellung bin ich ein konzeptioneller Künstler, dessen Handwerkszeug im Moment die Kamera und die digitale Dunkelkammer sind.


„Bones“ aus der Serie „The Site“

Obwohl ich schon seit den späten 70er Jahren mit einer Kamera Schnappschüsse mache, vor allem, um Fotos als so eine Art Skizzenbuch für meine Gemälde zu benutzen, habe ich damals nicht eine Sekunde daran gedacht, dass die Kamera selbst auch das hauptsächliche Werkzeug für Kunst sein könnte.

Nachdem in den 1990er Jahren mein Studium abgeschlossen war, habe ich im Grunde nur gemalt und alles, was ich machte, um mir eine Karriere mit Ausstellungen in ganz Schweden aufzubauen, drehte sich ständig um Farben und Pinsel und Leinwände und das ganze Zeug.

Daher denke ich heute auch mehr wie ein Maler, wenn ich mit der Kamera und der digitalen Dunkelkammer arbeite – und ich bin überzeugt davon, dass es einen Unterschied im Denken gibt. Das ist meine Erfahrung, nachdem ich Künstler und Fotografen getroffen und mit allen über die Fragen der Gemeinsamkeiten diskutiert habe. Heute fühle ich mich etwas zwischen zwei Welten hängend, aber im Herzen werde ich wohl immer ein Maler sein.


„Yellow Skeleton“ aus der Serie „Playground“

Wie bist Du denn überhaupt zur Kunst – also zuerst zur Malerei – gekommen?

Als Kind und Jugendlicher in Kiruna drehte sich mein Leben ziemlich um die Kunst der Cartoons, ich habe eine Menge gezeichnet und mochte Superhelden sehr gern, habe also Comics (vor allem von Marvel) gesammelt, die zumindest damals dort sehr schwer zu bekommen waren.

Genau genommen war es so eine Art Wettstreit zwischen uns Jungs, an die Magazine heranzukommen, sie aus den Staaten zu importieren, sie untereinander zu tauschen oder sie manchmal sogar zu stehlen. Ich denke, dass mein heutiges großes Interesse und die Inspiration aus aktueller Popkultur damals angeregt wurden, als ich Mitte der 70er als Teenager von den Fantastischen Vier oder Captain America las und davon träumte, Cartoonzeichner zu werden.


„12“ aus der Serie „Numbers“

Meine erste echte Begegnung mit der Malkunst trug sich auf einer Schulexkursion nach Amsterdam zu. Ich war 15 und es war meine erste Reise außerhalb Schwedens ohne meine Eltern. Daher drehten sich meine Gedanken natürlich nicht primär um Kultur und Kunst. Aber wir landeten trotzdem im Rijksmuseum und dieser Besuch änderte einfach alles für mich: Ich entschied, Maler zu werden.

So studierte ich nach meinem Abitur zwei Jahre lang an der Sunderby Folkhögskola die technischen Grundlagen der Kunst und später Malerei am Konstfack University College of Arts, Crafts and Design in Stockholm, wo ich 1989 meinen Abschluss als Master of Fine Arts MFA machte.


„Reserved“ aus der Serie „Keep On Walking“

Wie ist es passiert, dass sich dieser Maler dann in einen Fotografen verwandelte?

Etwa um 1997 habe ich die Malerei aufgegeben, weil ich genug von dem hatte, was ich tat und weil die Galerie, mit der ich seit fast acht Jahren zusammengearbeitet hatte, geschlossen wurde. Es war also Zeit für mich, weiterzuziehen und ich wollte auch, dass sich etwas änderte; ich wollte diesen ziemlich traditionellen Kunstweg verlassen und andere Möglichkeiten erkunden.

Also begab ich mich in die virtuelle Welt und machte quasi alles, was nichts mit Malerei zu tun hatte: Video, digitale Bilderzeugung, Fotografie und sogar Grafikdesign. Ich bewegte mich also von eher klassischen Landschaftsmalereien beinahe romantischer Tradition hin zu Dingen, bei denen es eher um Konzepte und Ideen ging. So weit wie möglich weg von den ästhetischen Auffassungen, die bisher mein Alltag gewesen waren.


„Together“ aus der Serie „Keep On Walking“

Aber auf diesem Weg fühlte ich mich irgendwann auch, als würde ich genau die Dinge machen, die ich machen musste, um „zeitgenössisch“ zu sein. Ich hatte mehr und mehr ein Gefühl der Unzufriedenheit, fragte viele „Warums“ – und mich selbst, was ich machen muss, um mir treu zu bleiben.

Es war dann etwa um das Jahr 2000, dass ich anfing, nach einem Weg zu suchen, Kunst so zu machen, dass ich nicht zurück zu den Landschaften, mich aber trotzdem auch nicht dem Strom der anti-ästhetischen oder sogar anti-visuellen Kunst anschließen musste. Die Fotografie schien ein Medium zu sein, das zwischen diesen beiden Extremen liegt und das ich genauer entdecken wollte.


„Composed“ aus der Serie „Keep On Walking“

Als ein Künstler, der schon mit so vielen verschiedenen Medien gearbeitet hat, hast Du eine ganz grundlegende Philosophie bei allem, was Du machst?

Ich bin ein Ästhet. Die Ästhetik eines Bildes ist das Herzstück dessen, worum ich mich als Künstler immer kümmern muss. Aber gleichzeitig glaube ich, dass es mehr geben muss als nur das visuelle Vergnügen der Ästhetik, um ein interessantes Bild oder Kunst zu machen.

Manchmal denke ich, dass die Ästhetik die Funktion einer Tür hat, die bestenfalls zu einem Raum führt, wo das Konzept des Kunstwerks auf das Publikum wartet. Man kann ohne diese Tür nicht in den Raum mit dem Konzept gelangen, aber andererseits ist eine Tür, die nirgendwohin führt, ziemlich sinnlos.


„Square One“ aus der Serie „Square One“

Für mich ist die Fotografie das Bild in seiner reinen Form und es geht dabei auch um visuelles Vergnügen und die Kunst, zu sehen, aber sie kann auch einer konzeptuellen Art, die Welt und seine eigenen inneren Gedanken zu erkunden, dienen.

Die Fotografie wird immer mit dem Auge und mit „Realität“ verbunden sein, was eine interessante Abgrenzung ist, mit der man umgehen muss, weil die Arbeit mit der Kamera immer durch das definiert ist, was man selbst und was die Kamera sieht. Das ist aber per Definition nicht das Gleiche, wie die Realität objektiv oder wahrheitsgetreu zu beschreiben.

Das ist nicht möglich; es ist und wird immer eine Sache der Subjektivität und der Komplexität, eine dreidimensionale Wahrnehmung auf die flache Oberfläche eines Fotos zu übertragen, sein. Dadurch entfernt sich alles umso weiter von Objektivität. Die Wahrheit über die Realität wird immer ein offenes Problem sein. Das ist ein wichtiger Faktor und das, was mich antreibt, künstlerisch zu arbeiten.


„Omen“ aus der Serie „Underneath“

Was für ein Fotograf bist Du, was willst Du zeigen?

Ich versuche, das zu benutzen, was ich sehe, dabei erkunde ich das urbane Umfeld, dessen Teil ich auch bin und versuche, eine andere Geschichte zu erzählen, die dann aber fast immer auf meiner eigenen Türschwelle endet, wenn man so will.

Zum Beispiel war eines meiner ersten Projekte, Fotos von der Straße zu machen. Aber nicht so, wie es vielleicht ein Straßenfotograf tun würde, sondern indem ich die Kamera auf den Boden gerichtet und Aufnahmen vom Asphalt gemacht habe. Also den Beton als eine Art Repräsentation für eine Landschaft oder sogar einen alternativen Atlas der Welt benutzt.


„The Monument“ aus der Serie „Underneath“

Ich erhalte viele Kommentare, dass meine urbanen Fotos sehr leer und fast immer auch ohne die Präsenz von Lebens seien. Und das ist natürlich richtig, zumindest oberflächlich betrachtet. Ich habe darüber viel nachgedacht: Ich meine, mit Urbanität zu arbeiten, sollte das nicht gerade vom Leben und der Anwesenheit der Menschheit handeln?

Wenn man das einen Straßenfotografen fragt, ist die Antwort zweifelsfrei „ja“, aber für mich ist die Frage nicht so leicht zu beantworten. Wenn man genau hinsieht, stellt man fest, dass meine Bilder indirekt auch vom Leben handeln. Das ist auch die Idee dahinter und sehr wichtig für mich.


„Perimeter Patrol“ aus der Serie „Schematics“

Was inspiriert Dich?

Diese Idee, das Leben auf indirekte Art darzustellen, wurde bei mir von der Welt eines Spiels inspiriert. Genauer gesagt eines Spieles, das ich 2000 gespielt habe und auch durch einen Film, der um die gleiche Zeit hier im schwedischen Fernsehen ausgestrahlt wurde.

Das Spiel war die erste Ausgabe von „Deus Ex“, einem Computer-Rollenspiel, das eine dunkle Story über eine Verschwörung und Technologie und die Andeutung vom Gott in der Maschine hat, angesiedelt in einer urbanen und dystopischen Umgebung. Die Ästhetik dieses Spiels hat mich sehr inspiriert, obwohl ich jetzt weiß, warum die Umgebung dort so dunkel und leer war – eine Konsequenz der unzureichenden Technologie zu dieser Zeit.


„Proboscis II“ aus der Serie „The Elephant Song“

Der Film, den ich sah, war „Langoliers“, nach einem Buch von Stephen King, in dem es um eine Gruppe von Menschen geht, die irgendwie in einem Zwischenraum von Jetzt und Damals gefangen werden. Sie treiben in einem Limbus, in dem alles schon passiert ist und Dinge, die erst kommen, noch nicht passiert sind. Also ist die Welt leer bis auf die Spuren der menschlichen Aktivität, die man auch in leeren Räumen in der Realität vorfindet.

Diese Ideen sind sozusagen der Schlüssel dazu, wie ich mit meinen urbanen Erkundungen umgehe. Ich versuche, die Umgebung zwischen zwei Ereignissen zu benutzen, indem ich nach Überresten suche, die für mich viel interessanter sind als die Ereignisse selbst. Ich würde sagen, dass fast jedes Bild aus meiner Serie „Urban Walks“ das Ergebnis der Suche nach diesen Spuren zwischen den Ereignissen, nach Spuren des Lebens, menschlicher Aktivitäten ist.


„Out“ aus der Serie „A Place Of None“

Du scheinst immer in Serien zu arbeiten.

Um ehrlich zu sein, kann ich mich gar nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal nur ein einzelnes Bild gemacht habe. Diese Art zu arbeiten sagt natürlich alles über mich aus, der ich immer versuche, eine Geschichte zu erzählen. Obwohl die meisten dieser „Geschichten“ in ihrer Form recht frei sind – eher wie fragmentierte Ideen oder Fragen in visueller Form – bin ich mir sicher, dass diese Arbeitsweise meinem Kindheitstraum, ein Cartoonzeichner zu werden, entspringt.

Irgendwie bin ich wieder da, wo ich angefangen habe – nur ohne die Superhelden.

Da sind Serien, die wie Comicstrips sind: Kurz und hoffnungsvoll süß wie etwa „The Elephant Song“ oder „Schematics“ und dann sind da auch die niemals endenden Geschichten. „Urban Walks“ ist eine, an der ich ständig weiterarbeite und 2011 ein Buch mit 144 Bildern dieser fortlaufenden Geschichte veröffentlicht habe. Das Gleiche gilt für die Serie „Resonance“, die ich gerade für eine Ausstellung hier in Stockholm vorbereite.


„Red Devil“ aus der Serie „A Place Of None“

Welche Funktion haben die Titel der Bilder und Serien in Deinen Arbeiten?

Titel sind essentiell und ich muss sogar sagen, dass ich manchmal Bilder, die ich eigentlich mochte, aus einer Serie oder überhaupt ausgeschlossen habe, weil ich es nicht geschafft habe, den richtigen Dreh für den Titel zu finden. Sie sind also sicherlich ein zentraler Teil meines künstlerischen Konzeptes.

Aber es gab auch Zeiten, in denen ich meinen Bildern überhaupt keine Namen gegeben habe. Ich hatte diese Idee, das Feld für den Betrachter komplett offen zu lassen, damit er selbst eine Idee entwickeln oder meine Arbeit selbst konzeptuell erleben kann. Vollkommen getrennt von jeglichen Ideen, die ich vielleicht hatte, als ich das Bild kreiert habe.


„Take A Seat“ aus der Serie „Urban Walks“

Und da Worte, die geschriebene Sprache, in ihrer Natur so suggestiv sind, wenn sie in den Kopf kommen, weil sie so viel stärker als Bilder sind, dem Publikum eine Idee zu suggerieren oder sogar in den Geist zu pflanzen, hatte ich entschieden, gar keine Titel zu vergeben. Ich wollte auch klar machen, dass ich nicht Literatur mache, sondern ein visueller Künstler bin.

Diese Idee, dass die Kunst zwangsläufig so etwas wie eine offene Frage ist, ist natürlich immer noch im Zentrum dessen, was ich tue. Ich glaube, dass man als Künstler seine Arbeiten an einem bestimmten Punkt „aussetzen“ und sie den Betrachtern übergeben muss. Für die Umsetzung der Idee von offenen Fragen wiederum sind Bilder sehr viel stärker, verglichen mit dem geschriebenen Wort.


„Biscuit“ aus der Serie „Urban Walks“

Warum setzt Du Titel heute in Deinen Arbeiten dann doch wieder ein?

Wenn ich ehrlich bin, mag ich es ja, Ideen anzuregen und Geschichten zu erzählen. Ich bin ein konzeptueller Künstler und Ideen kommen in diesem Territorium von ganz allein, sozusagen. Wenn man also nicht gerade Kunst in Form von Installationen macht, sondern Bilder allein, dann können die Titel eine Möglichkeit sein, das Erlebnis einer übertragenen Idee oder – präziser – einer gestellten Frage, zu verbessern.

Titel funktionieren für mich auf die gleiche Weise für das Konzept eines Werkes wie die Ästhetik dazu beiträgt, das Konzept zu erreichen; also wieder so etwas wie eine Tür für den Zugang. Und obwohl ich immer noch nicht sicher bin, ob das wirklich notwendig ist, finde ich es fesselnd, Titel als Teil oder zur Verbesserung der Erfahrung zu benutzen. Oder sogar, um Dinge zu problematisieren, die Frage genauer zu stellen.

Wenn Du all das bedenkst, kannst Du die Komplexität des Prozesses, Bilder mit Titeln für eine Serie zu versehen, verstehen und wie schwer das sein kann. Aber gleichzeitig auch, wie interessant es ist, diese Gegensätze auszubalancieren. Den Drang zu haben, über Ideen zu „sprechen“, Fragen zu stellen oder zumindest, sie sichtbar zu machen, gleichzeitig dem Betrachter aber nicht vorgeben zu wollen, was er denken soll, die Antwort zu verraten oder die ganze Geschichte auf einem Silbertablett zu präsentieren.


„Happy Days I“ aus der Serie „Urban Walks“

Deine Serien wie auch die Bilder innerhalb der Serien haben eigene Titel – da stellst Du aber viele Fragen!

Es gibt da einen feinen Unterschied in meinem Denken, wenn es darum geht, Titel für Serien zu finden oder für einzelne Bilder. Die Serie ist sozusagen der Körper und die Titel dieser Körper entspringen fast immer Dingen, die nicht zwingend offensichtlich sind.

„Urban Walks“ ist natürlich ein Titel, der ist, was er ist: Ich laufe in der urbanen Landschaft rum und versuche, diese Spaziergänge irgendwie zu visualisieren. Aber selbst hier ist eine leichte Störung im Titel, da die Art der Darstellung gerade nicht dokumentarisch ist. Wenn man Titel wie „The Village“, „The World Map“ oder „Resonance“ betrachtet, sind sie schon eher am offensichtlichen Ende der Skala angeordnet.

Happy Days II (Urban Walks) © Poromaa
„Happy Days II“ aus der Serie „Urban Walks“

Kannst Du noch mehr über diese Beispiele sagen?

Als ich „The Village“ machte, war mein erster Gedanke, es irgendwas um „The Ghost Town“ herum zu nennen, weil der Ort, an dem ich fotografierte, eine Ahnung von genau dem hatte: Einer Stadt voller Geister. Und ich stellte mir vor, wie die Graffiti auf den Wänden und in der Umgebung so eine Art fortdauernde Unterhaltung der Geister an diesem Ort wären, dass die Tags, Krakeleien und unvollständigen Nachrichten in einer Geistersprache geschrieben wurden oder sogar ihre visuellen Stellvertreter sind.

Aber als ich dann mit der Nachbearbeitung begann, fühlte ich eine auffällige Ähnlichkeit mit dem Ort und dem dargestellten Milieu, an das ich mich aus dem Film „The Village“ erinnerte. Der Film spielt an einem Ort, der von hohen Wänden und einem „beobachtenden“ Wald umgeben ist. Das Licht und die Atmosphäre vor Ort erinnerten mich auch sehr an meine Erfahrung des Films und die Idee seiner darunterliegenden Geschichte war nicht so weit von meinen ursprünglichen Gedanken entfernt, aber offener, soweit die Ideen ähnlich sind.

It's A Living (Urban Walks) © Poromaa
„It’s A Living“ aus der Serie „Urban Walks“

„The World Map“ ist ein Titel, der sich ganz darum dreht, die Welt auf eine alternative Art als Landschaften oder Orte wahrzunehmen. Die Bildebene beschäftigt sich auch mit dem Wechsel der Perspektive. Oberflächlich betrachtet sind es Bilder, die zeigen, was man sieht, wenn man die Kamera auf die Asphaltoberfläche oder einfach den Boden richtet. Aber ich habe die Bilder immer als fast topografische Ansichten eines alternativen Universums gesehen.

„Resonance“ entstand aus einer Idee von Geräuschen und Musik. Ich erinnere mich daran, dass ich sehr viel über die verschiedenen Klänge nachdachte, die die Container machen, wenn man auf ihnen klopft – je nachdem, ob sie leer oder mit etwas gefüllt sind. Diese fundamentale Idee funktioniert seitdem für die Serie, obwohl es um so viel mehr geht als nur ein Metallecho, das durch die Stille hallt.

Aber da der Titel so offen gehalten ist wie ich es mag, habe ich ihn behalten und denke inzwischen auch nur sehr selten an Klänge, wenn ich neue Bilder zur Serie hinzufüge. Wenn man sehr lange an einer Serie arbeitet, tendiert sie immer dazu, sich zu bewegen und zu verschieben, ein Eigenleben zu entwickeln – und das ist ja gerade das wirklich Interessante daran.


„The Ballad Of Yang Ming“ aus der Serie „Resonance“

Steckst Du manchmal besondere Wendungen oder Hinweise in Deine Titel, um den Betrachter etwas mehr in eine bestimmte Richtung zu lenken?

Wenn ich meinen Bildern Titel gebe, versuche ich alles, um Hinweise zu geben, zu problematisieren oder die Wahrnehmung des Betrachters vom Offensichtlichen abzulenken und etwas von der Realität in die imaginäre Welt zu ziehen. Verbunden damit, wie ich meine Vorstellungskraft benutze, wenn ich Dinge sehe, aber ohne ein Dogma.

Das kann alles sein von Ironie über Humor bis zu poetischen Reflexionen oder schlichtem Unsinn. Es kann darum gehen, etwas zu sagen, das im Widerspruch zum Sichtbaren steht oder etwas, das ich direkt vom Bild aufgreife, nicht immer das Offensichtliche, eher Dinge, die hinter den Kulissen warten – die kleineren Dinge, sozusagen.

Beispiele wären die zwei Bilder „Happy Days“ 1 und 2 und „It’s A Living“ aus der Serie „Urban Walks“, dort sind die Titel ein bisschen ironisch oder, um genauer zu sein, tragi-komische Reflexionen dessen, was ich gesehen oder erlebt habe.


„There Is A Zebra Outside My Window“ aus der Serie „The World Map“

Im Kontrast dazu hat „The Ballad Of Yang Ming“ aus „Resonance“ einen Titel, der einen anderen, eher romantischen und poetischen Ton anschlägt, ein Hauch von Zeit und Reise, die Echos des Jetzt und Damals.

Aus „The World Map“ ist „There Is A Zebra Outside My Window“ erwähnenswert; der Titel ist fast eine direkte Reflexion dessen, was man im Bild sehen kann, aber er suggeriert etwas anderes.

Und schlussendlich fällt mir noch „Let Us Enter“ aus der Serie „The Village“ ein, bei dem der Titel sehr eng mit der Idee der Geister verbunden ist. Es geht um meinen Eindruck, dass die Geister sich in Form der Graffiti materialisieren, darauf drängen, einzutreten, vielleicht nur in den Raum hinter der Metalltür, aber vielleicht auch in Deinen Kopf. Wer weiß?


„Let Us Enter“ aus der Serie „The Village“

Titelbild: „You Shall Not Pass“ aus der Serie „The Village“.

Ich habe das Interview mit Samuel auf Englisch geführt und anschließend ins Deutsche übersetzt.

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