07. Dezember 2012 Lesezeit: ~12 Minuten

Hochzeitsfotografie – Das Stiefkind der Fotografie?

Der alte Standard der Hochzeitsfotografie hat sich in die Köpfe der Menschen gebrannt wie kaum etwas Anderes in der Fotografie. Darum werde ich im ersten Moment auch oftmals belächelt, wenn ich erzähle, dass ich mich auf Hochzeitsreportagen spezialisiert habe.

Es zwingen sich automatisch die beliebigen und austauschbaren Fotografien auf – unter, neben oder vor dem Baum oder auf der Wiese vor dem Standesamt, vor der Kirche. Mit tief eingefrorenem Lächeln, künstlich – unnatürlich. So kann man die Hochzeitsfotografie durch ihre Geschichte wohl als das Stiefkind der Fotografie bezeichnen.

Nur wenige Fotografen machen sie offenbar wirklich gerne, da kein Paar diesen Tag wiederholen wird und alles an diesem Tag perfekt sein muss. Der Druck auf den Fotografen scheint enorm, wenn man überlegt, dass natürlich auch die Bilder perfekt sein müssen, an einem scheinbar perfekten Tag.

Die Bilder sind es dennoch oftmals nicht, weil man aufgrund dessen gerne auf Sicherheit geht. Gestellt, gegrinst, gekünstelt und möglichst alles in ganz scharf. Gerne nachträglich mit einer Vignette versehen, die den Hintergrund im Einheitsschlamm verschwinden lässt, um das strahlende Paar hervorzuheben.

Das ist jedoch schon seit geraumer Zeit gar nicht mehr so. Nur wer weiß das? Wer befasst sich im Speziellen mit Hochzeitsfotografie, der sich allgemein für Fotografie interessiert und nicht zufällig im Kalender für das nächste Jahr seinen eigenen Hochzeitstermin stehen hat?

Kaum jemand. Ausnahmen gibt es aber immer und das schafft auch den Raum, den Erfolg der Kunst in diesem Bereich überhaupt erst möglich zu machen. Und die Zeit. Zeiten ändern sich. Damit auch der Anspruch an diese Fotografie. Bei den Paaren und bei den Kollegen.

Es wird gesellschaftsfähig und lukrativ, als künstlerischer Fotograf seinen Horizont auch in diese Richtung zu erweitern oder sich gar darauf zu spezialisieren. Aber es muss einem auch unbedingt liegen, denn ohne die Leidenschaft für diese Feste entstehen auch leidenschaftslose Bilder.

Aber wo ist das nicht so, auch berufsübergreifend gesehen? Sobald die Liebe zu seinem Job fehlt, wird es zu einem bloßen Abreißen der Tätigkeit, nur um davon leben zu können.

Ich liebe meinen Job und lasse meine Kunden Teil davon werden, lerne sie bereits im Vorfeld intensiv kennen und gehe anfangs immer erst davon aus, dass man sich vor einer Kamera eher unwohl fühlt.

Die Basis, um offene und individuelle Bilder machen zu können, liegt im Vertrauen und darin, dass man seine Scheu vor mir und meiner Kamera verloren haben muss. Wer einen Profifotografen bucht, hat nicht automatisch auch Spaß daran, sich fotografieren zu lassen.

Ich möchte behaupten, dass wir alle wissen, was ich meine, wenn sich die Natürlichkeit in unentspanntes Posieren ändert, sobald im Bewusstsein das Gefühl auftaucht, dass man in diesem Moment fotografiert wird.

Man möchte doch schön aussehen und schon ist genau das dahin. Dann lasse ich die Technik vom Auge sinken, lächle, schüttele leicht den Kopf, drehe mich auf dem Absatz rum und komme später wieder – möglichst unbemerkt.

Weiter gehöre ich zu den Fotografen, die sich auch selbst vor der Kamera wohlfühlen. Was ich von meinen Kunden verlange, würde ich auch selbst tun. Wenn sich meine Kunden vor der Kamera entspannen sollen, dann muss ich das vor einem fremden Objektiv auch können. Wenn ich ungewöhnliche Dinge vorschlage, dann muss ich auch selbst bereit sein, diese zu tun.

Die Persönlichkeit zwischen meinen Kunden und mir geht darüber hinaus, einfach nur zu erfahren, wie, wann und wo man sich kennen gelernt hat und wie der Tag geplant ist. Bei manchen Paaren weiß ich das sogar bis heute nicht, weil es für meine Arbeit nicht immer relevant ist. Aber die Persönlichkeiten sind es.

Ich erfahre, wer sie sind und sie erfahren, wer ich bin. Meine eigene Geschichte ist äußerst ungewöhnlich und meine offene Art, damit umzugehen hilft, das Vertrauen zu schaffen, das notwendig ist – darüber in diesem Artikel zu schreiben würde jedoch den Rahmen sprengen. Dadurch entstehen manchmal sogar sehr enge Bekanntschaften, die über den Hochzeitstermin hinaus gehen.

Ich gebe viel Persönliches preis, was man nicht erwartet, was aber mit der Grund ist, warum ich heute fotografiere. Hochzeiten und vor allem die Vorbereitungen sind sehr intim – wenn ich Teil der Gesellschaft werden will, um viel Nähe in die Bilder zu bekommen, dann ist intime Persönlichkeit sehr wichtig. Auf beiden Seiten.

Ist ein Paar beim Kennenlernen jedoch nicht bereit, sich zu öffnen, mag schwarzweiße Fotografie nicht und verlangt stattdessen von mir Sepiafotos, dann sage ich ab, weil ich die falsche Fotografin für diesen Auftrag bin. Ansonsten ist es für mich jedes Mal eine neue Herausforderung und ein Überraschungsei.

Am Anfang des Tages weiß ich noch nicht, was ich am Ende mit nach Hause nehmen werde und am Ende des Tages weiß ich noch nicht, welchen Schliff ich den Bildern verpasse. Aber den Geschmack der Schokolade kenne und liebe ich. Jede Reportage ist anders, jedes Ergebnis individuell. Die Menschen sind nicht austauschbar.


Was fotografisch an diesem Tag alles möglich sein kann, liegt bei den Paaren, den Ideen des Fotografen und bei der Chemie, die stimmt. Je ausgefallener, desto besser. Die wenigsten glauben mir, dass sich die Bräute auch während der Hochzeit mit ihrem Kleid ins Wasser stellen und dass die Bilder nicht im Nachhinein als „Trash the dress“ entstanden sind.

Verrückt? Vielleicht, aber wenn man offen dafür ist, dann wird der Tag wirklich absolut unvergesslich – auch, wenn die Braut und die Fotografin nach Seetang stinken, weil die Ostsee voll davon und voll Quallen war… man besorgt sich ein zweites Kleid und hat einen zweiten Anzug parat, um im Pool der gemieteten Villa Unterwasseraufnahmen zu machen.

Im Garten steht aber auch ein Trampolin und das Hauptkleid wird beim Springen auf selbigem zerrissen. Dann geht es eben mit dem Kleid in den Pool und das zweite Kleid, viel Gelassenheit und Spaß bestimmen den Abend.

Mein Assistent drückt im Mini Cabrio ordentlich auf’s Gas, um am großen Stern mehrfach rasant um die Siegessäule zu fahren, das jauchzende und knutschende Brautpaar auf der Rückbank. Der segelnde Bräutigam, der sich im Anzug auf seine Nussschale auf die Ostsee begibt und mich, im Neoprenanzug, mitnimmt.

Die Passanten, die an der Seite stehen bleiben, weil sie glauben, mein Bild zu stören und nicht wissen, dass genau sie es sind, die ich im Bild haben will… Die Paare wissen das und nicht selten sind sie es, die die Leute zum Weiterlaufen bewegen.

Oder die Braut, die mir mit strahlendem Gesicht den Vorschlag macht, mit mir die Klamotten zu tauschen und ich als Braut verkleidet mit einer kopflosen Bräutigamfigur ein Selbstauslöserfoto mache.

Das sind Geschichten und die Bilder dazu, die man immer wieder gerne hervorholt. Die Paare nehmen sich selbst den Raum für sich – es ist deren Hochzeit. Also macht selbst, was ihr wollt. Je verrückter und entspannter, desto freier und glücklicher.

Mein persönlicher Anspruch an meine Arbeit ist ähnlich hoch wie die Wichtigkeit der Hochzeit für das Paar und Tränen bei der Übergabe der Bilder sind das wertvollste Trinkgeld, das ich mir vorstellen kann.

Mittlerweile lässt sich aber auch eindeutig der Trend eines neuen Standards erkennen. Die immer wiederkehrenden Fotografien des hängenden Kleides vor dem Fenster, Makroaufnahmen von Schuhen, Ringen und Details der Deko. Alles möglichst Vintage.

Ich spreche mich mit Sicherheit nicht davon frei, durchaus auch ähnlich zu fotografieren, aber ich ertappe mich dabei, dass ich davon immer wieder gelangweilt bin, weil ich es schon zu oft gesehen habe. So suche ich stets den anderen Winkel, eine andere Idee und ich möchte Bilder erschaffen, die man nicht sofort in eine Hochzeit einordnen würde.

Manchmal ist das schwer, wenn ich nicht sehe, was ich an einem anderen Tag vielleicht gesehen hätte oder die Location macht mir einen Strich durch die Rechnung, weil sich einfach nichts anbietet, um es ungewöhnlich in Szene zu setzen.

Das jedoch liegt nicht an den Räumlichkeiten, das liegt einzig und allein an meiner Unfähigkeit, es an diesem Tag besser zu machen. Aber dafür bin ich Mensch und ich arbeite mit dem, was mir gegeben ist.

Was mich erst kürzlich allerdings erschreckt hat, sind manche Internetseiten von Kollegen. Hochzeitsfotografie, entstanden in einem Workshop, „verkauft“ als eigene Hochzeitsfotografie. Sonst nur ein paar Aufnahmen von maximal zwei anderen Hochzeiten, diese auch nur sehr gering gehalten, weil die Workshop-Ergebnisse mit eingekauften Bearbeitungsvorgaben die Masse anziehen sollen.

Das alles für einen stolzen Preis – eigene Erfahrung in dem Bereich? Nur wenig. Und da sieht man, was heute auch möglich ist: Alles, was man braucht, ist ’ne schicke Kamera, der Besuch eines Workshops, die Hochzeitsbilder der Freunde, die man fotografisch begleitet hat und los geht’s in’s große Business der Hochzeitsfotografie, denn besser als der Standard ist man allemal…

Bei einigen jedoch weit gefehlt, Eintagsfliegen und traurige Paare.

Workshopergebnisse sind noch lange keine Hochzeitsfotografie, aber solange man sie als solche verkaufen kann und Paare das natürlich nicht erkennen, wird es das immer wieder geben. Das stößt mir etwas bitter auf, die Kollegen lügen sich am Ende selbst in die Tasche und lassen enttäuschte Paare zurück.

Meine Gelassenheit kommt jedoch zurück, wenn ich daran denke, dass diejenigen auf der Strecke bleiben, die viel versprechen und das nicht halten können, die kopieren und sich nicht selbst entwickeln.

Der Markt, der sich selbst reguliert, mir tut es nur für die Paare leid und hier haben wir es wieder: Diesen Tag wiederholt man nicht. Es gibt aber auch viele tolle Talente, die sich sehr wohl entwickeln und Erfolg damit haben. Zu Recht und ich freue mich über und für jeden einzelnen.

Ich gebe jedem den Raum, den er sich selbst erschafft, sehe hier keine Konkurrenz, sondern Kollegen. Die Geschmäcker der Kunden sind so unterschiedlich und vielfältig und es muss immer für jeden etwas dabei sein. Ich höre es auf den Hochzeiten von den Gästen jedoch immer wieder:

Wie leicht die Fotografie durch die Technik doch geworden zu sein scheint, man mit solchen tollen Kameras natürlich nur gute Fotos machen kann. Wie ich mich jedes Mal über die Gesichter freue, wenn ich ihnen die Kamera in die Hand drücke und sage: „Super, dann zeig mal!“ – und nach drei bis fünf Auslösungen die Frage kommt: „Warum ist bei mir immer nur der Hintergrund scharf und nicht Du und bei Dir ist das anders, es ist doch dieselbe Kamera?“

Soso, die (Hochzeits-)Fotografie ist also leicht geworden? Nein, ist sie nicht. Sie ist schwierig. Vor allem aber ist sie sehr wertvoll, solange die eigene Leidenschaft das umzusetzen und zu transportieren versteht, was die Paare fühlen.

Stiefkind der Fotografie? Mitnichten. Es hat sich eine eigene Kunstform entwickelt, die stetig mehr Anhänger findet. Sollte sich dieser Trend weiter entwickeln und festigen, werden wir vielleicht sogar bald Hochzeitsbilder in Galerien finden können.

Warum auch nicht? Fotos, die unabhängig vom Entstehungskontext eine ganz eigene Sprache haben, haben auch das Potential, von einem kunstinteressierten Publikum auf anderer Ebene wertgeschätzt zu werden.

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