22. September 2012 Lesezeit: ~3 Minuten

Charles Baudelaire und die Fotografie

Die Erfindung der Fotografie erfreute sich nicht nur starker Beliebtheit. Je gefragter sie wurde, umso mehr fanden sich auch Kritiker – wie der Schriftsteller und Kunstkritiker Charles Baudelaire.

Baudelaire wurde am 9. April 1821 in Paris geboren. Seine Biografie zeichnet einen recht depressiven Zeitgenossen. Man liest von Drogen, Geldnot, Vaterproblemen und einem Selbstmordversuch. Mit nur 46 Jahren starb er an den Spätfolgen der Syphilis. Untätig verbrachte er sein kurzes Leben jedoch nicht.

Sein Werk umfasst unter anderem den Gedichtzyklus „Die Blumen des Bösen“ und mehrere Essays, Kritiken, Autorenportraits. Er übersetzte Edgar Alle Poe das erste Mal ins Französische und war begeisterter Revolutionär.


Charles Baudelaire von Nadar (1855)

Interessant für uns ist seine Kritik zur Fotografie aus „Der Salon“ von 1859. In ihr schreibt er, dass die Fotografie fälschlicherweise als Kunst eingeschätzt wird und zunehmend die Malerei bedrohe. Um Kunst zu schaffen, war für ihn Fantasie wichtig. Fantasie im Zusammenhang mit dem technischen Fotoapparat konnte er sich nicht vorstellen.

Da die photographische Industrie die Zuflucht aller verkrachten Maler war, deren Begabung oder deren Fleiß nicht hinreichten, ihr Studium zu Ende zu führen, so trug diese allgemeine Überschätzung nicht nur das Merkmal der Verblendung und des Schwachsinns, sondern sie hatte auch noch einen Anstrich von Rache. Charles Baudelaire; aus: Der Salon 1859

Demzufolge waren Fotografen für ihn keine Künstler, sondern im Gegenteil unbegabte oder gar faule Maler, die es zu nichts gebracht hatten und sich nun der kommerziellen Fotografie hingaben. Baudelaire nutzte jedoch die neue Technik durchaus, weshalb es von ihm mehrere gut erhaltene Daguerreotypien von bekannten Fotografen wie Nadar gibt.


Charles Baudelaire von Etjenne Carjat (1863)

Ich frage mich, was Baudelaire heute tun und schreiben würde. Ich stelle mir vor, dass sich nicht viel ändern würde: Er lebt in Paris, wie damals mit Drogen und Prostituierten. Nebenbei schreibt er für kleine linke Zeitschriften, um sich über Wasser zu halten und kritisiert in ihnen wortgewaltig die zeitgenössische Kunstszene.

Und die Fotografie? Baudelaires Gedanken sind nach wie vor aktuell, sieht man sich die vielen Diskussionen hier und auch in anderen Magazinen an. Es geht auf der einen Seite um perfekte Schärfenbereiche. Man kann mittlerweile die Realität noch genauer abbilden als sie das menschliche Auge überhaupt wahrnehmen kann. Die Technik steht oft im Mittelpunkt.

Auf der Gegenseite gibt es aber auch Fotografen, denen es nicht darauf ankommt, die Realität zu zeigen. Sie versuchen, mit ihren Bildern Gefühle und Emotionen zu transportieren. Vielleicht hätte Baudelaire daran doch Gefallen finden können, wäre mit einer Polaroidkamera losgezogen oder hätte mit irgendeiner anderen Kamera verschwommene, experimentelle Bilder aufgenommen, auf denen man kaum etwas erkennt.


Charles Baudelaire von Nadar

Es bleiben natürlich nur Vermutungen, aber auf jeden Fall ist es doch interessant, dass viele Fotografen den ersten Fotos, die Baudelaire damals so kritisierte, heute auf Grund ihres Mangels an Perfektion gerade das zusprechen, was er ihnen absprach: Fantasie.


Literatur:
• Pia, Pascal: Charles Baudelaire in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Hamburg 1958.
• Stiegler, Bernd / Thürlemann, Felix: Meisterwerke der Fotografie. Stuttgart 2011.
• Stiegler, Bernd: Texte zur Theorie der Fotografie. Stuttgart 2010.

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