31. Juli 2012 Lesezeit: ~7 Minuten

Urban Elements

Seit Ende letzten Jahres arbeite ich an meiner Serie „Urban Elements“, die inzwischen mehr und mehr zum Hauptschwerpunkt meiner Arbeit geworden ist. Auch, wenn der Stil der Bilder auf einer eher spontanen Ausgangsidee beruht, so hat sich doch bald ein durchgängiges Konzept für diese Serie herausentwickelt.

Die Vielzahl an Trends in den visuellen Medien macht es einem Fotografen nicht leicht, einen individuellen und innovativen Stil zu finden. Als ich anfing zu fotografieren, war ich mir dieses Problems noch gar nicht wirklich bewusst. Ich bemühte mich um einen dokumentarischen Ansatz und beschäftigte mich größtenteils mit Straßenfotografie, wobei ich vor allem Wert auf Perspektive und Bildkomposition legte. Die Nachbearbeitung fiel sehr zurückhaltend aus, was die Authentizität der Bilder unterstreichen sollte.

Auf die Suche nach einem eigenen Stil machte ich mich erst ganz bewusst, als ich mich tiefergehend mit Bildbearbeitung befasste. Dabei begann ich, parallel zu diesen dokumentarischen Arbeiten einen schöpferisch-kreativen Ansatz mit aufwändiger Nachbearbeitung zu verfolgen. Die ersten Bilder dieser Kategorie waren für die Serie „Glow in the Dark“, für die ich mich stark an Ideen aus der Malerei orientierte.

Für die „Urban Elements“ finde ich ebenfalls Ideen in der Malerei sowie in der Objektkunst, außerdem in Architekturentwürfen, technischen Zeichnungen, Magazinen über Gestaltung, Infografiken, in der Produkt- und Werbefotografie, aber auch in Musikvideos.

„Urban Elements“ entwickelte ich aus dem Versuch, eine urbane Straßenszene entsprechend dieser visuellen Einflüsse darzustellen, wofür ich in einem ersten Anlauf das Bild eines Gebäudes aus Manchester aus meinem Archiv verwendete. Zunächst versuchte ich, das Gebäude vom Hintergrund abzuheben, hauptsächlich indem ich mit Kontrasten experimentierte. Nachdem die Ergebnisse ziemlich gezwungen wirkten, stellte ich das Motiv einfach frei. Da das Gebäude so im leeren Raum zu schweben schien, bemühte ich mich, durch Einzeichnen von Linien einen Hintergrund bzw. eine Anknüpfung des Motivs an den Hintergrund anzudeuten. Das Objekt wirkt dadurch nicht nur besser im Bild verankert, sondern obendrein auch viel plastischer. Um das Gebäude zusätzlich zu „erden“ und einen Boden anzudeuten, unterlegte ich es mit einem Schatten.

Foto eines Hauses in Manchester

Das zugrundeliegende Konzept ergab sich bei „Urban Elements“ erst aus dem visuellen Stil. In diesem Fall entwickelten sich die Vorgaben aus dem „Prototyp“ 29 Church Street: Ein Motiv von stark kubischer, symmetrischer Form mit einer wenig harmonisch ausfallenden Oberfläche in Form einer verfallenen, ungepflegten Fassade, bestückt mit Schildern und Werbetafeln sowie Street Art im Bereich des Schaufensters.

Der Reiz dieses Bildes steckt also im Kontrast zwischen den geplanten, klaren und geometrischen Linien der Architektur und dem individuellen Charakter, den das etwas desolate Gebäude im Laufe der Zeit in seiner urbanen Umgebung erworben hat. Die Skizzenartigkeit der Linien unterstützt dabei die Vorstellung eines Entwurfs, einer Idee, während das eigentliche Motiv als Fortführung dessen gesehen werden kann, was real aus dieser Idee geworden ist.

freigestellte Hochhäuser

Nachdem ein paar anfängliche Versuche mit Motiven wie etwa modernen Hochhäusern dieses Spannungsverhältnis kaum zeigten, verfolge ich mittlerweile ganz bewusst das Konzept des Entwurfs und wähle die Motive nach dem Kriterium einer gewissen Unvollkommenheit, eines „used look“ aus. Das heißt, unfertige, verworfene oder überformte Elemente der urbanen Umgebung zu verwenden, wie beispielsweise eine Bauruine, eine lädierte und mit Graffiti besprühte Telefonzelle oder eben auch einen schmutzigen Putzwagen, an dem ich in einer Londoner Nebenstraße vorbeigekommen bin.

freigestellter Putzwagen

Bei der Aufnahme der Motive achte ich darauf, dass der Blickwinkel perspektivisch interessant ist. Das Motiv soll möglichst plastisch wirken, weswegen ich selten frontal fotografiere, da sich sonst aufgrund der Flächenhaftigkeit keine Linien ergeben, die räumliche Tiefe erzeugen und an die ich in der Nachbearbeitung anknüpfen kann. Ich fotografiere diese Serie ausschließlich mit einem Superweitwinkelobjektiv (Sigma 10-20mm), wodurch sich von vornherein eine dramatischere Perspektive ergibt, in der die Motive sehr dreidimensional wirken.

Die für diese Objektive berüchtigten stürzenden Linien können dabei durchaus erwünscht sein. Da Motive von der Größenordnung der Bauruine selten frei einsehbar sind, fotografiere ich zusätzlich noch Detailaufnahmen von anderen Standpunkten aus, die ich dann später in Photoshop montiere. So wurde auch das Interieur der Telefonzelle innen aus nächster Nähe aufgenommen, da die Frontscheibe hier keine freie Sicht bat.

Foyer Blaue Brücke, Tübingen

Die Bearbeitung der Bilder in Photoshop beginnt mit der Freistellung des Objekts, was sich je nach Komplexität relativ einfach oder auch sehr mühsam gestalten kann. Ist das Motiv freigestellt, fertige ich meistens auch einen Ausdruck an und beginne zunächst in Handarbeit die passende Linienführung zu suchen, die ich dann später in Photoshop umsetze. Je nach Länge und Betonung der horizontalen oder der vertikalen Linien lässt sich Einfluss auf den Bildaufbau nehmen, sodass sich auch vertikal ausgerichtete Motive in ein Querformat einbetten lassen. Um das Objekt vollständig im Bild zu verankern, zeichne ich anschließend noch Schatten hinzu.

Eine weitere Variante, das Bild räumlicher zu gestalten, besteht darin, eine Spiegelung zu erzeugen, wie ich das bei der Telefonzelle – dem bisher aufwändigsten Bild der Serie – getan habe. Allerdings wirkt dieser Effekt dann tatsächlich sehr dreidimensional und geht schon etwas über das gewünschte Ziel des Skizzenstils hinaus, der ja trotz der perspektivischen Optik auf Zweidimensionalität basiert. Eine Spiegelung lässt sich deshalb nur schwer mit den gezeichneten Linien vereinbaren. Aus diesem Grund gibt es die Telefonzelle inzwischen auch in einer Version ohne Linien, die sich eher dem Stil der Produktfotografie zurechnen lässt.

Telefonzelle

Je nach Komplexität der Bildkomposition entstehen im Laufe der Bearbeitung in Photoshop viele Ebenen: Hintergrund, Linien, Schatten und evtl. Spiegelungen sowie einige Detailaufnahmen, die ergänzend eingefügt wurden. Sind alle Linien dort, wo sie hingehören und alle Details montiert, werden die verschiedenen Ebenen zusammengefasst und das Motiv scharfgezeichnet, um auch hier einen leichten Zeichnungs-Effekt zu erzielen. Außerdem dunkle ich den Hintergrund zu den Rändern hin ab, um dem Bild mehr räumliche Tiefe zu verleihen.

Weinstube Unckel, Tübingen

In der Kunstfotografie umfasst der Erstellungsprozess in der Regel auch die Reproduktion des Bildes als Druck. Um auch hier dem Zeichnungscharakter zu entsprechen, hat sich ein Druck auf Hahnemühle German Etching als die beste Variante erwiesen. Die Haptik des Papiers unterstreicht die strukturierten Oberflächen der Motive, was dem Anspruch der Serie gerecht wird, sich der Malerei und Zeichenkunst anzunähern.

Druckdetail

Das Konzept der Reihe ist eigentlich als andauernder Prozess gedacht. Gerade was die Motivwahl betrifft, möchte ich noch eine Vielzahl an Ideen umsetzen, die die bisherigen Motive erweitern, ergänzen oder aber kontrastieren sollen. So könnte ich mir vorstellen, die Motive nicht nur auf die Größenordnung von Gebäuden zu beschränken, sondern, wie ich das bereits mit dem Putzwagen ausprobiert habe, auch kleinere Skalenebenen mit einzubeziehen.

Eine weitere Idee ist, mehrere Elemente in einem Bild zu gruppieren und auf ihre Interaktion zu verweisen. Nach einer Gruppenausstellung plane ich gerade eine Einzelausstellung, für die ich die Serie allerdings erst noch um diese weiteren Motive ergänzen möchte.