05. Juli 2012 Lesezeit: ~5 Minuten

Fassaden im Blickpunkt

Es ist erst einige Monate her, da habe ich rein zufällig auf den Straßen Berlins eine für mich sehr bedeutsame Entdeckung gemacht: Eine Hotelfassade. Bedeutsam deshalb, weil mich das Fotografieren ebendieser Wand zur abstrakten Fotografie geführt hat.

Die Hotelfassade von damals bestach durch ihre gen Himmel strebenden Metallplatten, die in die eigentliche Wand eingefasst waren. Darüber hinaus hatte sich der Architekt des Bauwerks mit verspielten Winkeln und einer Oberflächenstruktur, die wie aus vernieteten Metallringen bestehend anmutete, sehr kreativ ausgelassen.

Für mich als Hobbyfotograf stellte sich die Frage, wie ich dieses Motiv in ein ansprechendes Foto überführen könnte. Damals dachte ich noch nicht gezielt daran, der Fassade ihren Realitätsbezug zu entziehen und etwas Abstraktes daraus zu machen, aber meine angewandten Techniken führten zu genau diesem Resultat.

Die Wahl eines „schiefen“ Winkels verlieh den aufstrebenden Metalllängen eine gewisse Dynamik und die Überbelichtung des Himmels sorgte dafür, dass er nicht mehr als solcher erkennbar war und sich interessante Kontraste in der Schwarzweiß-Ansicht auftaten – die Fassade verfremdete sich.

Erst, als ich das Bild in meiner Galerie veröffentlichte und in vielen Kommentaren die Frage nach dem dargestellten Motiv aufkam, setzte ich mich mit dem Thema näher auseinander.

Abstrakte Fotografie bedeutet für mich, sich durch den einfallsreichen Gebrauch von Komposition, Winkeln, Formen und Farben von einem Motiv zu lösen, dieses in künstlerischer Art und Weise zu verschleiern und damit neue Blickwinkel auf bekannte Objekte zu eröffnen.

Warum es nun gerade Hausfassaden geworden sind, ist vielleicht im Ansatz bereits beim obigen Beispiel angeklungen, ich möchte aber noch einige andere Aspekte mit meinem heutigen Kenntnisstand hinzufügen.

Hausfassaden sind „von Natur aus“ hervorragende Motive, um damit abstrakt arbeiten und sich fotografisch auslassen zu können. Sie bieten interessante Symmetrien und oftmals eine Geometrie, die man nutzen kann, um dem Foto eine gewisse Tiefe bzw. Bildausschnitten ihren ganz eigenen Charme zu verleihen.

Die Symmetrien können ein Bild aufräumen und dem Auge Halt geben. Genauso gut kann die Geometrie einer Wand aber auch chaotisch verlaufen, sodass der Reiz nicht im Geordneten, sondern gerade in der Darstellung des Konfusen liegt.

Zudem können Wände gewisse Details oder Unterbrechungen von Regelmäßigkeiten aufweisen, die dem Betrachter sofort ins Auge springen und mit stimmigen Bildtiteln sogar ganze Geschichten erzählen können.

Ein Ankerpunkt, der mir bei der Bildkomposition häufig behilflich ist, liegt im Abschluss der Linienführung in einem der Eckpunkte des Bildes.

Wenn es auch nicht möglich ist, in jeder der vier Bildecken eine Linie enden zu lassen, weil es die Architektur nicht hergibt, so sorgt man mit dieser Maßnahme für eine gewisse Ordnung und auch Sicherheit während der Aufnahme – nicht selten fehlte mir nämlich zunächst ein Ausgangspunkt, von dem aus das Foto seine Form annehmen konnte.

Auch die klassischen Kameraeinstellungen und Lichtbedingungen, die der Architekturfotografie zugrunde liegen, habe ich zumeist bei meinen Fotos bedacht. Dies sind zum einen gute Lichtverhältnisse – direkter Lichteinfall kann beispielsweise Wandstrukturen mit interessanten Schatten versehen oder die Struktur partiell aufhellen – und eine hohe Blendenzahl, um Schärfentiefe zu erzeugen.

Gleichwohl: In der abstrakten Fotografie gibt es noch weniger Regeln, an die es sich zu halten gilt als in anderen Sparten. Gerade das Experiment mit verschiedenen Einstellungen führte nicht selten zu einem – für mich – ansprechenden Foto.

Zu guter Letzt nun noch einige Worte zur Nachbearbeitung meiner Bilder. Prinzipiell – dies ist sicher nichts Neues – ist es sehr ratsam, im Raw-Format aufzunehmen. Entscheide ich mich vorab, ein Motiv quadratisch abzubilden, ist diese Option kameraseitig einstellbar als 1:1-Format.

Die dann dargestellten Bezugslinien helfen bei der Bildkomposition, sind allerdings auf dem JPG-Format permanent, nicht jedoch in der Raw-Datei. Entscheide ich mich im Anschluss für einen anderen Bildausschnitt, kann ich also immer auf die Datem im Raw vertrauen.

Insgesamt dreht sich in der Nachbearbeitung alles um den Ausschnitt. Der von mir angesprochene Tipp mit der Linienführung an den Eckpunkten kann auch nachträglich durch eine Beschneidung durchgeführt werden. Ebenso verhält es sich mit einem symmetrischen Bildausschnitt, für den in der Nachbearbeitung gesorgt werden kann.

Weitere Veränderungen betreffen nur noch wenige Aspekte: Helligkeit, Sättigung und vor allem die Kontraste gehören immer dazu. Ab und an musste ein Bild auch horizontal oder vertikal gekippt werden, da der bodennahe Standpunkt als Fotograf zu unbefriedigenden Winkeln führen kann.

In seltenen Fällen adjustiere ich Farbkanäle, um bestimmte Stimmungen zu erzeugen oder zu verstärken.

Ich hoffe, beim einen oder anderen die Freude am Experimentieren geweckt zu haben, denn Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden. Und wer weiß, vielleicht erlebt Ihr ja bald die Dächer oder die Straßen Eurer Stadt ganz anders: Abstrakt eben.