24. März 2012 Lesezeit: ~7 Minuten

Die Katze ist schuld

In den letzten Tagen saß ich an der Zusammenstellung eines Portfolios. Es sollte die wichtigsten Arbeiten der letzten Jahre zeigen. Während ich meine Negative durchblätterte, kristallisierten sich immer mehr Bilder heraus, die einen Platz darin erhalten sollten. Einfach war es nicht. Das Schönste daran war jedoch das Verknüpfen von Zusammenhängen, die mir vorher überhaupt nicht bewusst gewesen sind. Da war eine Linie sichtbar und eine Entwicklung.

2003 nahm ich das erste Mal wieder die Kamera in die Hand. Es war in Kairo, eine laue Sommernacht und auf dem gegenüberliegenden Dach saß eine Katze anmutig schablonenhaft. Ich hatte fast keine Ahnung von dieser Kamera, einer Canon EOS 500, der Kamera meines Vaters. Alles funktionierte automatisch. Ich musste nur durchschauen, auf ein Knöpfchen drücken und die Sache war erledigt. Als der Film entwickelt war, blieb es auch nur dieses eine Foto, das für mich Gewicht hatte und das ich aufhob. Alles andere verlor sich in der Vergessenheit des Augenblicks.

Mit diesem Bild bekam ich Lust, weiter zu fotografieren. Ich meldete mich bei einer Fotocommunity an und fotografierte alles, was in meinem Kopf irgendeine Form von Sinnlichkeit in sich trug. Abgefallene Blätter im Garten meines Vaters, Zweige, Glassplitter auf dem Asphalt, rostige Hinterlassenschaften, Holz oder einfach Details. Alles musste dokumentiert werden. Meinen Blick schärfte ich mit jedem weiteren Sehen, nur von der Technik hatte ich immer noch so gut wie keine Ahnung. Die Belichtung regulierte meine tolle Kamera, ich war nur das Auge. Das gute Bild ein Zufall.

Ein wichtiger Teil in meiner fotografischen Entwicklung ist jedoch auch all den Kommentatoren jener Fotocommunity zuzuschreiben. Ihre Kritik, ihr bedächtiges Daraufhinweisen, dass diese und jene Veränderung der Komposition auch die Bildwirkung verändern würde. Heute betrachte ich diese Zeit als mein Studium. Natürlich waren da auch oft Hinweise, die mir zunächst missfielen, die ich wegwischte und auf meiner Sicht beharrte. Aber dennoch, die Kritik veränderte mein Sehen.


2004, ich bekam von meinem Vater ein tolles Makro geschenkt und klebte mit der Linse förmlich an allem, was interessant aussah. Ich scannte die Abzüge und der Scanner tauchte die Bilder immer in blau. Mir gefiel das.


2005, Umzug nach Berlin. Alles neu und anders. Detailverliebtheit bleibt. Wenn Farbe, dann geht es ins Monochrome.


2006, Spiel mit Licht und Schatten. Ich bleibe am Schwarzweißfilm hängen. Aber das gute Bild ist immer noch ein Zufallsprodukt.


2007 – 2008, die Canon ixus nenne ich mein Eigen. Ausprobieren der digitalen Dunkelkammer. Inspiriert durch die Bilder anderer Fotografen. Aber ich bin mit meinen handwerklichen digitalen Fähigkeiten unzufrieden.

Mit meiner Bildsprache wurde ich immer zufriedener, aber mein technisches Unverständnis deprimierte mich. Auf einem Film waren höchtens drei bis fünf Bilder, die mir gut gefielen, auf denen alles stimmte. Aber ich wollte mehr Einfluss auf das Ergebnis haben und nicht alles meiner Kamera überlassen.

Ich kaufte mir eine alte Praktica L für 10€. Mein Vater belächelte mein Handeln, wollte er mir doch gerade seine digitale Spiegelrefelexkamera verkaufen und verstand nicht, warum ich mir eine so urzeitliche Kamera zulegte. Über die Praktica L berichtete ich schon einmal hier.


2009, Testfilm mit der Canon A-1, alles funktioniert. Die Kamera bleibt.

Mit der urzeitlichen Kamera verstand ich dann auch die Auswirkung von Blendenzahl und Zeit. Die Sache wurde rund. 2009 entschied ich mich dann für eine Canon A-1. Das war die perfekte Kamera für mich. Sie und ich wurden eine Einheit. Bildsprache und technisches Verständis kamen sich näher, das Spiel ging weiter.

Meine Umgebung hatte ich nun genug portraitiert. Mich gelüstete nach neuen Abenteuern. Ich wollte Menschen fotografieren. Aber da gab es ein Problem: Ich bin eher ein introvertierter Mensch und habe Scheu, fremde Menschen einfach so anzusprechen. Ich konzentrierte mich also zunächst auf meine unmittelbare Umgebung. Familie und Freunde wurden vor die Kamera gebeten.


2010, es geht los. Endlich Menschen vor der Kamera, nur die Augen hätten ruhig scharf sein dürfen.

Mein Umgang mit Freunden vor der Kamera wurde leichter. Ich traute mir langsam zu, auch fremde Menschen zu portraitieren und meldete mich bei der Model-Kartei an. Die ersten Anfragen trudelten ein und oft entschied ich mich auch für Modelle, die ebenso wie ich kaum Erfahrung hatten. Das war gut, denn so musste sich niemand vor dem anderen mit seiner Unwissenheit genieren.

Das Jahr 2011 war dann für mich das Jahr der Menschenfotografie. Mir fiel es immer leichter, mit den Menschen zu kommunizieren. Ihnen zuzuhören und ihre Einzigartigkeit zu sehen. Da waren so besondere Menschen plötzlich in meiner Küche, ich trank mit ihnen Tee oder Kaffee, wir redeten manchmal wie alte Freunde über unsere Träume und Ängste.

Es war schön, in jedem Einzelnen eine Nuance zu entdecken, die ihnen selbst vielleicht noch nicht aufgefallen war. Genau das wollte ich in den Portraits herausarbeiten. Und so wie ich früher mit meinem Makro auf der Straße klebte, versuchte ich nun zu etwas vorzudringen, das noch nicht ganz sichtbar unter der Oberfläche ruhte.


2011, Anne und das schwarzgefärbte Hochzeitskleid. Ihre Großmutter färbte nach dem Tod ihres Mannes das Hochzeitskleid um. Mit den unbekannten Menschen kommen auch die Geschichten.


2011, Luisa, selbst eine tolle Fotografin, lernte ich damals in der Community kennen. Nun, einige Jahre später, durfte ich sie fotografieren. Die Kowa Six, eine Mittelformatkamera, war nun auch Bestandteil der technischen Ausrüstung.


2012, Veränderung. Ich suche nach etwas Gegensätzlichem, nach dem Sonderbaren.

Wenn ich mir meine Bilder von 2003 bis 2011 anschaue, dann ist da eine Linie sichtbar. Reduktion und Ästhetik haben sich bis heute beharrlich gehalten. Nur das Sujet hat sich von damals bis heute verändert.

Während dieser Jahre gab es natürlich auch immer wieder Einbrüche. Oft dachte ich, ich lasse das Fotografieren einfach sein, vor allem wenn ich mich mit den anderen verglich. Immer wieder tauchte die Frage auf, warum mach ich das eigentlich und bis heute habe ich keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Aber die Kamera ermöglicht es mir, mit der Welt zu kommunizieren und sie hält etwas fest. Mit dem Fotografieren kann ich Hürden überwinden, Neues entdecken und meinen Blickwinkel verändern.

Die Fotografie hat einen entscheidenen Einfluss auf mein Leben. Ich lerne Menschen darüber kennen, mit denen ich heute gut befreundet bin oder sogar zusammen wohne. Ich schreibe für KWERFELDEIN und knüpfe Kontakte zu anderen tollen Fotografen, die ich dann interviewen darf. Und manchmal frage ich mich: Was wäre gewesen, wenn die Katze nicht auf dem Kairener Dach gesessen hätte?

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Einen Rückblick auf seine Bilder sollte jeder von Zeit zu Zeit einmal wagen. Veränderungen oder Zusammenhänge werden sichtbar und das eigene Schaffen wird bewusst. Außerdem zeigt es, dass die Helsinki Bus Station Theory von Arno Rafael Minkkinen absolut zutrifft, in der es heißt: „Stay on the bus. Stay on the f*cking bus.“

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