06. März 2012 Lesezeit: ~6 Minuten

YOU ARE MY FAVORITE

Eine alte Stadtvilla in Hamburg. An den Wänden hingen großformatige Bilder in Rahmen oder waren als Fotokopien riesengroß an nackte Wände geklebt. Einige der Bilder erkannte ich, sie waren mir aus der virtuellen Bilderwelt bekannt.

Ich hatte dieses oder ein anderes Bild schon unter meinen Favoriten bei flickr oder anderen Fotoplattformen gespeichert. Sie jetzt hier an den Wänden zu sehen, war ein eigenartiges Gefühl. Ein wenig wie ertappt sein, als hätte jemand meine Lieblingsbilder aufgespürt.

Die Atmosphäre des Ortes war wohlig angenehm: Frische Blumen auf den Fensterbänken in hübschen Gläsern, alte Holztische oder Stühle vor den Wänden, ein Sofa zum Verweilen und selbstgemachte Schokoladen-Karamell-Mini-Bomben für den Genuss. Die Ausstellung fühlte sich wie ein Treffen mit Freunden an. Man lächelte, kam schnell mit dem einen oder anderen ins Gespräch und genoss den Abend mit all seinen Erdenklichkeiten.

Durch die Hände der Besucher ging dann ein großes und schönes Buch. Den Buchdeckel schwer und fest zierte eine kleine Cyanotypie. Das Durchblättern ein Erlebnis. Bilder – wohlüberlegt angeordnet – ließen im Kopf Geschichten entstehen, unterbrochen von kleinen Texten.

Wer steckte hinter dieser liebevoll zusammengestellten Ausstellung und dem schön gestalteten Buch? Ein Gönner, ein Liebhaber junger Fotografie?

Links: Charlotte Boeyden; Rechts: Magdalena Lutek

Die Ausstellung, übrigens bereits die zweite ihrer Art, ist Teil der Abschlussarbeit von Franziska Ebert für ihr Studienfach Kommunikationsdesign an der HAW Hamburg. Der Titel der Arbeit gibt Aufschluss über das Warum: „Veränderung des Wahrnehmungsmodus von emotionaler Fotografie durch deren Transfer aus dem beschleunigten Medium Internet in ein Buch“.

Ein gewaltiger Titel mit einer Menge Potential zum darüber Nachdenken. Meine erste Frage war: Wie entstand überhaupt die Idee, aus Flickr-Favoriten ein Buch zu machen? So schreibt sie als Begründung in ihrer Arbeit:

Fotografie hat als Medium in den letzten zwei Jahrzehnten einen starken Wandel erlebt. Durch Internet und Digitalfotografie sind für den Fotografen Möglichkeiten zur Produktion, Vervielfältigung und Veröffentlichung seiner Werke entstanden, die große Auswirkungen auf den Kunstschaffenden, den Rezipienten sowie das Foto als solches haben. Mein Vorhaben war eine »Rückanalogisierung« dieser Bilder in eine gedruckte Form – ein Buch.

Die Mehrzahl der Arbeiten stammt von jungen Fotografinnen im Alter von 16 bis 31 Jahren. So beschloss sie, dies zum „kuratorischen Prinzip“ der Ausstellung zu machen und keine Fotografen in die Auswahl mit aufzunehmen. Die Ausgewählten schickten ihr die digitalen Daten oder Ausbelichtungen zu und von einigen machte sie Postkarten, die man auf der Ausstellung erwerben konnte. Diese Bilder bekamen mit der alten Stadtvilla in Hamburg den richtigen Rahmen.

Als die Fotografien dann an den Wänden hingen, war es möglich, die Bilder als Ganzes zu begreifen. Fast allen war gemeinsam, dass sie analog erstellt wurden. Es gab schwarzweiße und Farbaufnahmen. Bestimmte Elemente tauchten auf den Fotos immer wieder auf: Fenster mit verschiedenen Lichtstimmungen, Straßen, Nebel, Natur, ob in Detail- oder in Gesamtansichten.

Links: Miranda Lehman; Rechts: Julia Aumann

Es waren Bilder der Rückbesinnung auf die Natur, die Stille und die Langsamkeit. Die Bilder zeigen zwar alltägliche Situationen, aber durch Bildschnitt (Details) oder Verklärung durch diffuses Licht (Gegenlicht, Nebel etc.) gewinnt das Bild an Symbolhaftigkeit für das Andersweltliche und Verträumte. Es war der Wunsch nach „Beseelung einer verloren gegangenen Individualität“.

Als Endergebnis dieses Denkprozesses entstand das Buch zur Ausstellung, das durch seine Haptik überzeugte.

In dem Buch, in dem die Bilder eine materielle, reale Form annehmen, soll das momenthafte Erlebnis der Ausstellung zu einem dauerhaften verfestigt werden. Ich meine, dass die Verfügbarkeit von und über Fotografien einen wichtigen Teil zu ihrer veränderten Wahrnehmung beiträgt. Während die Fotos im Internet noch in der Hand des Produzenten liegen (der Fotograf kann sie uploaden, aber auch jederzeit wieder löschen), befinden sie sich bei einer Ausstellung in der Hand des Kuratoren, in einem Buch dann aber gänzlich in der Hand des Konsumenten.

Oben: Margaret Durow, Anna V. Shelton; Unten: Elo Vazquez, Katherine Squier

Die Auswahl der Materialien, der Texte und Bilder ist nicht zufällig gewählt. Das Erlebnis soll sinnlich sein. Die Bilder sind einem flüchtigen Medium entnommen, nun soll man sie anfassen können, über das Papier streichen, festhalten. Um dem Buch selbst auch eine Wertigkeit zu geben, benutzte sie alte manuelle Techniken wie Bleisatz und Cyanotypie. Das Buch wurde von einem Buchbinder handgebunden.

Abschließend möchte ich sagen, dass die Arbeit an you are my favorite für mich sehr spannend war. Was sich anfangs als zufällige Möglichkeit für eine Ausstellung bot, formte sich im Laufe der letzten sechs Monate zu einem Projekt, in dem ich mich intensiv mit der Beschleunigung in unserer heutigen Gesellschaft und der daraus resultierenden Entfremdung auseinandersetzte.

Heute erleben wir durch die Virtualisierung, was schon die Künstler im Jugendstil durch die Industrialisierung um 1900 thematisiert haben: Einen gesteigerten Werteverlust und das daraus verstärkt resultierende Bedürfnis nach einem bewussteren Wahrnehmen unserer Umgebung.

Die veränderte Wahrnehmung ist ihr geglückt. Bilder aus einem sich ständig verändernden Medium werden durch eine Ausstellung oder in einem Buch entschleunigt. Natürlich ist es nicht neu, Bilder in Buchform oder in begehbaren Räumen zu präsentieren.

Aber sich mit den Favoritenbildern zum größten Teil fremder Fotografinnen auseinander zu setzen, sie in dieser Form zu hinterfragen und zusammen zu präsentieren, ist eine spannende Angelegenheit. Denn den Bildern wird die Flüchtigkeit genommen und sie erhalten durch die Präsentation eine Wertigkeit. Sei es auch nur in Form einer Postkarte, die man sich zhause über den flimmernden Bildschirm aufhängt.

Oben: Hannah Davis, Anna Åden; Unten: Julia Aumann, Annette Pehrsson

Wer mehr über das Projekt und die Fotografinnen erfahren möchte, besuche bitte die Webseite zum Projekt.

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