02. März 2012 Lesezeit: ~7 Minuten

Bildvorstellung: „hide and seek“

Jeder Redakteur stellt zur Zeit eines seiner Bilder ausführlich vor. Heute ist mein Beitrag zu der Reihe endlich soweit, nachdem ich wochenlang darüber gebrütet habe, welches Foto mir nicht nur ganz besonders am Herzen liegt, sondern zu welchem ich noch dazu auch genug Spannendes zu erzählen habe.

Meine Bildvorstellung wird zu allererst eines sein: Eine Lobeshymne an das Modell. Seit ich Sylwia kenne, inspiriert sie mich zu Ideen. Weil ich weiß, dass sie mir vertraut und allein dadurch in meinem Unterbewusstsein eine Entspannung entsteht, die meinen Geist befreit und mir selbst erlaubt, Ideen zu haben, die sonst unter der Oberfläche des Bewusstseins geblieben wären, weil ich niemanden gehabt hätte, der einfach so mitmacht.

Dazu kommt immer die Spontanität, wenn wir zusammen arbeiten. Sie ist der gesunde Gegenpol zu allem, was wir vorher planen: Locations, Outfits, eigens hergestellte Kleidung und Accessoires. Sie treffen auf den Zufall der Situation, hier: Ein kalter Sonntag, an dem Sylwia spontan Fotos machen wollte. Viel zu kalt, um nach draußen zu gehen und in der Natur zu fotografieren. Außerdem hätte sie gern einmal klare, helle Fotos ohne viel Schnickschnack gehabt.

Also: Platz schaffen im Bastelzimmer, in dem ich die mit Werkzeug, Büchern und gesammeltem Naturmaterial vollgestopften Regale hinter vielen Metern Packpapier verschwinden lasse. Und dieses noch mit Malerfolie abhänge, weil ich das Papier im Hintergrund erst bei einem Shooting kurz vorher hatte.

hide and seek v
Modell: Sylwia K.

Den meisten Spaß haben wir dann, als wir gemeinsam unter einer lose herumfliegenden Malerfolie stehen. Sie bewegt sich durch die leiseste Bewegung und auch schon durch die Luftzirkulation der Heizung. Wir drehen sie immer wieder hoch und runter, weil es mir in meinen gemütlichen Hausklamotten zu warm und der für die Fotos halbnackten Sylwia zu kalt ist. Wir müssen die Folie festhalten und die immer wieder zwischen uns herabfallenden Folienwellen zurück in die Luft befördern.

Wir müssen für Sekundenbruchteile auch einmal aufhören zu lachen, um im richtigen Moment Sylwias Blick und die Bewegung der Folie mit dem Auslösen der Kamera und korrekt liegender Schärfe zu kombinieren. Wir probieren es immer wieder, ohne auf ein bestimmtes Bild hinauszuwollen. Denn sofort stellen wir fest, dass tolle Effekte und weiches Licht von ganz allein entstehen und man diese Folie viel zu wenig gezielt steuern kann – zumindest ohne Assistenz.

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Das oben gezeigte Bild aus der entstandenen Serie mag ich ganz besonders, weil selbst ich als Fotograf viele Minuten lang darin versinken und Details betrachten kann. Weil ich es interessant finde, dass nur ein Auge zu sehen ist: Das Gehirn des Betrachters wird gefordert, den fehlenden Teil zu ergänzen und erst so den Ausdruck und die Körperhaltung interpretieren zu können.

Unnahbarkeit, Verletzlichkeit, Arroganz, Verführung, Sinnlichkeit, Selbstbewusstsein, Neugierde. Verstecken und Zeigen. Alles trifft sich hier genau auf der Schwelle von einem zum anderen. Dreht sie sich zu einem hin oder wendet sie sich ab? Ist sie interessiert oder gelangweilt? Verdeckt die Folie sie gleich oder gibt sie den Blick frei auf das ganze Gesicht?

Was ist das für ein Raum? Ist er weit oder eng, hell oder dunkel? Von wo nach wo verläuft diese Folie, von oben nach unten, seitlich oder im Kreis? Ich verliere mich eine Weile in den feinen Knicken der Folie und den struppigen Haarsträhnen, bis mein Blick die Linie ihrer Schulter entlangfährt, auf der ein zarter Schatten liegt – wie der Hauch von Rouge auf ihrer Wange.

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Ich habe dabei auch viel über mich selbst beim Fotografieren gelernt: Einige meiner Lieblingsbilder sind in der letzten Zeit ohne Natur, in diesem Bastelzimmer entstanden. Aber ich merke auch, wie hart diese Arbeit ist. Nichts ist zufällig da, kein Baum, keine Pflanze, kein Stein, keine Landschaft mit tollen Farben. Jedes Detail muss ich selbst arrangieren, in diesen Raum hineintragen, wenn es im Bild sein soll.

In der Natur ist es anders herum: Ich habe eine Fülle von möglichen Accessoires in allen erdenklichen Formen, Farben und Größen vor Ort. Ich muss auswählen und reduzieren aus diesem Überangebot. Doch genau das tue ich gern, weil ich meistens keine bestimmte Aussage im Bild produzieren, sondern schöne Fotos von einem schönen Mädchen (oder einem schönen Jungen) machen will. Das ist mein Ausgangspunkt, daraus ergibt sich noch keine Kleidung, keine Kulisse.

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Ich mag unsere Aufregung noch Tage nach dem Shooting, beim Sichten der Bilder. Wir schicken lange Listen von Nummern hin und her, die kürzer werden müssen, weil man so viele Bilder gar nicht zeigen kann. Nur mit ihr bin ich mir so sehr einig, was ein gutes Foto ist und was nicht – die Hälfte unserer jeweiligen Favoriten haben wir gemeinsam. Wir arbeiten dem gleichen Ziel entgegen, während Fotograf und Modell sonst oft genug unterschiedliche verfolgen.

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Ich freue mich immer über Modelle wie Sylwia, die schon von Natur aus eine so nahezu perfekte Haut haben, dass ich in der Nachbearbeitung eigentlich nichts mehr retuschieren müsste. Doch gerade bei ihnen werde ich sehr ehrgeizeig – wenn jemand ohnehin fast perfekt ist, warum sollte ich dann nicht sehr aufmerksam in der Nachbearbeitung die letzten Kleinigkeiten bedenken, die mir noch auffallen?

Auch erkenne ich selbst oft erst durch die intensive Beschäftigung mit den Bildern in der Nachbearbeitung, welche die allerbesten sind, die lange fesseln können und welche nur auf den ersten Blick gut sind. Indem ich stundenlang auf der Suche nach geeigneten Farben und damit der Stimmung für eine Serie bin. Hell oder dunkel, satt oder zurückhaltend, sanft-weich oder hart-kontrastreich – manchmal funktionieren mehrere Konzepte und ich muss das finden, das für das Bild am besten ist.

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Am Ende bilden drei Versionen des Bildes, die ich in verschiedenen Helligkeiten exportiert habe, meinen Ausgangspunkt: Eine, auf der ich die durchschnittliche Helligkeit des Bildes gut finde. Eine zweite, die gerade so dunkel ist, dass die Lichter nicht mehr ausgefressen sind. Und eine dritte, die gerade so hell ist, dass die Tiefen nicht mehr absaufen.

Ich male sie mittels Ebenenmasken ineinander, so kann ich unterschiedliche Aspekte des Bildes kombinieren, die ich nicht mit einer einzigen Belichtungseinstellung hätte haben können: Helle Haut und leuchtend helle Folie im Vordergrund, gleichzeitig in den Tiefen kräftiges Rot und Blau, die Sylwia mit einer starken Vignette einrahmen.

Ich benutze diese Methode in letzter Zeit ziemlich oft, um den hohen Kontrast, den ich sehr mag, mit ausgeglichenen Lichtern und Tiefen zu versehen. So kann ich das Optimum aus mehreren Bildbestandteilen herausholen, die in Natura nie gleichzeitig perfekt belichtet sein könnten. Zum Beispiel durchgehende Zeichnung auf einer weißen Wand und davor Details in der schwarzen Kleidung eines Modells.

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Ich freue mich darauf, die lange Liste von weiteren Ideen für Sylwia mit ihr anzugehen, anzupassen, weiterzuentwickeln, umzusetzen, neu zu kombinieren. Am liebsten würde ich sofort losfahren, für mein nächstes Vorhaben Stoff kaufen und mich tagelang mit der Nähmaschine zuhause verschanzen.