Sehnsucht Eins
29. Februar 2012 Lesezeit: ~8 Minuten

Sehnsucht Eins

Mitte März 2011, Semesterbeginn an der Hochschule München, Studiengang Design. Es ist Projektvorstellung im großen Vorlesungssaal, der aus allen Nähten platzt. Die Dozenten stellen ihre Projekte vor, die sie den Studenten für dieses Semester anbieten und irgendwie ist es nicht befriedigend. Nichts Außergewöhnliches, keine Kracher und keine wirklichen Herausforderungen.

Also haben wir die Köpfe zusammengesteckt und spontan beschlossen, uns einen Dozenten für ein eigenes Projekt zu suchen, das wir selbst bestimmen können. Die Konstellation von MINUSVIER hat also den banalen Grund, dass wir bei der Projektvorstellung nebeneinander saßen.

Sehnsucht Eins copyright 2012 Minusvier

Ideenplanung

Von Anfang an war klar, wir wollen ein großes Bild schaffen, in der jede Menge gleichzeitig passiert und dem Betrachter viel Raum zum Entdecken bietet. Die erste Woche nach Semesterbeginn bestand hauptsächlich aus Brainstorming, welche Szenarien wir umsetzen könnten.

Schnell hatten wir uns auf ein Panorama-Format festgelegt, Location und Setting wurde allerdings länger diskutiert. Die Kneipen-Szene war erst unsere dritte Wahl, allerdings der beste Vorschlag, der mit unserem nicht vorhandenem Budget umsetzbar war.

Der Nachteil an der Bar war die etwas „alltägliche“ Szenerie – die anderen Varianten waren wesentlich ausgefallener, werden an dieser Stelle aber nicht verraten, weil wir die noch irgendwann einmal umsetzen wollen. Dagegen war der Vorteil der Szene, dass die Bar “Sehnsucht“ (nach der wir das Bild dann auch benannt haben) schon an sich eine tolle Location ist und allein durch ihre Einrichtung eine eigene Geschichte erzählt – ein Motorrad an der Wand, die ganzen BHs über dem Thresen (mit dem Hinweis „1 BH = 1 Runde Jäger“), dazu die vielen B-Movie-Plakate… wirklich eine Location, in der es viel zu entdecken gibt und die somit super in unser Konzept gepasst hat.

Organisation

Nachdem die Location feststand, musste geklärt werden, was in der Kneipe alles passiert. Dazu gab es erneut ein einwöchiges Brainstorming, an dessen Ende wir alles in einer Liste zusammengetragen und Prioritäten verteilt haben. Der Hintergedanke war dabei: “Wenn dir ein Barkeeper all die verrückten Geschichten erzählt, die er in 20 Jahren hinter dem Tresen erlebt gat, was könnte das alles sein?”.

sehnsucht liste  copyright 2012 Minusvier

Wir wollten also bei der Realität bleiben, den Effekt allerdings dadurch erzielen, dass alles gleichzeitig passiert. Da hatten wir also recht schnell eine sehr lange Liste an Ideen und auch, welche uns davon am besten gefallen und dementsprechend deutlich im Bild zu sehen sein sollen.

Als nächstes haben wir zum Test den Hintergrund aufgenommen. An einem Nachmittag in der Sehnsucht haben wir die Kameraposition und Objektiv-Brennweite (letztendlich 35mm auf einer Hasselblad H4D-60, also digitales Mittelformat) festgelegt und ein erstes Panoramabild der Location aufgenommen. Insgesamt neun Bilder, die in Photoshop zusammengesetzt wurden.

Mit diesem Bild als Hintergrund haben wir dann eine Skizze erstellt, welche Handlungen wo genau passieren. Sofort war zu erkennen, wo noch Lücken sind, wo man noch etwas einbauen kann und wo wichtige Szenen verdeckt werden. Diese Skizze war dann bis zum Ende unsere wichtigste Orientierungshilfe.

Sehnsucht Scrible, copyright 2012 minusvier

Die nächste Aufgabe war dann, die Leute für das Shooting zu finden. Eine Ausschreibung in einer Modelcommunity und Herumfragen im Freundeskreis haben ausgereicht, um genug Leute zusammenzubekommen. Jedem wurde eine Rolle zugeteilt. Unser Plan war, jede Gruppe einzeln zu fotografieren und dann in Photoshop zusammenzuschneiden. Also haben wir die Personen gruppenweise eingeteilt und dann einen Zeitplan erstellt, welche Gruppe wann zu erscheinen hat, in welchen Klamotten und mit welchem Styling.

Shooting

Die Sehnsucht hat sonntags Ruhetag, also konnten wir den kompletten Sonntag durchfotografieren, plus den halben Montag bis zum Nachmittag, dann kommt die Putzkolonne, um für den Abend sauber zu machen. Wir hatten nämlich extra darum gebeten, die Bar vor unserem Shooting aus Gründen der Authentizität nicht zu putzen. Und nach einer Samstagnacht sieht es da aus wie Sau. Inklusive klebrigem Boden.

Eineinhalb Tage Zeit zum Fotografieren also – bei 17 einzelnen Gruppen ein straffer Zeitplan. Pro Gruppe haben wir eine halbe Stunde Shootingzeit eingeplant, während sich in der Zwischenzeit schon mal die nächste Gruppe vorbereitet hat. Die Arbeit haben wir uns gut eingeteilt: Einer weist schon mal die neu angekommenen Modelle ein, ein weiterer wertet die Daten am Rechner aus und zwei bauen das Licht für das nächste Setting auf.

Während dem eigentlichen Fotografieren geben nur ein oder zwei von uns die Anweisungen (um die Modelle nicht mit Zurufen aus allen Richtungen zu verwirren), während am iMac schon mal direkt geschaut wird, ob alles passt oder noch etwas geändert werden muss. Das wurde dann an den Zurufer weitergegeben.

Wir sind schon ein bisschen stolz darauf, dass wir unseren straffen Zeitplan hinbekommen haben und nur wegen verspäteter Modelle eine halbstündige Verzögerung in der Organisation hatten. Allerdings waren alle nachfolgenden Modelle sehr geduldig und hatten mit der Wartezeit kein Problem.

Überhaupt kann man sagen, dass wir mit den Leuten sehr viel Glück hatten. Alle waren super drauf, kommen auf dem Bild glaubwürdig rüber und hatten ganz eindeutig genauso viel Spaß an dem Shooting wie wir.

Wir haben das Bild dann auch zu 95% so umgesetzt, wie es auf der Skizze geplant war. Mit dem einzigen großer Unterschied, dass wir am linken Bildrand noch ein Portrait als Close-Up geplant hatten. Das haben wir dann zwar fotografiert, es sah in der Gesamtkomposition allerdings nicht so toll aus wie gedacht und wurde dann dementsprechend von uns weggelassen.

sehnsucht columbo, copyright 2012 Minusvier

Bildbearbeitung

Der größte Teil der Arbeit stand jetzt an: Alles im leeren Panoramafoto der Bar zusammenzufügen. Es war vor allem deshalb so viel Arbeit, weil es nicht gereicht hat, die Gruppen einfach nur grob auszuschneiden und auf die richtige Stelle zu schieben, wie wir es gehofft hatten. Die Perspektiven im Hintergrund haben sich einfach nie überschnitten und so mussten wir wohl oder übel jede einzelne Person exakt freistellen und einfügen.

Und trotzdem gab es immer wieder Probleme, wenn zum Beispiel ein Geländer vor einer Person war und beim Zusammenfügen ganz woanders als im Hintergrundbild.

sehnsucht gelaender, copyright 2012 Minusvier

Hinzu kam, dass durch das viele Zusammenfügen überall Fehler auftraten. Bei so einem riesigen Bild muss man die erst einmal finden. Teilweise waren es echt kleine Dinge, die bestimmt niemandem aufgefallen wären. Aber da wir zu dem Zeitpunkt schon die erste Ausstellung in Planung hatten und wussten, dass das Bild auf 3,30 Meter Breite gedruckt wird, musste einfach alles perfekt sein.

Ein weiteres Problem war die unglaubliche Größe der Bilddatei. Neun zusammengeschnittene 40-Megapixel-Bilder alleine als Hintergrund sind einfach zu viel für einen Computer. Regelmäßig sind uns die Rechner abgestürzt, doch vor allem das langsame Arbeiten hat uns zu schaffen gemacht.

Alleine, das Bild zu speichern hat am Ende eine halbe Stunde gedauert. Jede noch so kleine Aktion verbrauchte unglaublich viel Rechenleistung und war dementsprechend mit Wartezeit verbunden.

Und trotzdem haben wir erreicht, was wir wollten: Ein Bild zu schaffen, bei dem der Betrachter immer wieder Neues entdeckt. Bestimmt wird niemand alle Details finden, die wir versteckt haben. Ein Beispiel: Die Frau, die den Mann am Tresen auf die Toilette lockt und eben jener Mann, sind zweimal dieselbe Person. Erkennbar an den Fingernägeln…

Das Bild hat uns viel mehr Arbeit gemacht, als wir vorher gedacht hätten und letztendlich war es auch der Grund dafür, dass fast jeder von uns inzwischen seinen Computer aufgerüstet hat – und das, obwohl es vorher schon echt leistungsfähige Rechenknechte waren.

Aber das und die Produktions-Kosten haben sich auf jeden Fall gelohnt. Wir haben viele nette Menschen kennengelernt und Kontakte geknüpft, dazu das viele positive Feedback, das Geld über den gut laufenden Bildverkauf, den Gewinn des Canon Profifoto Förderpreis… und eine 1,0 für das Semesterprojekt.

Ähnliche Artikel