03. Februar 2012 Lesezeit: ~12 Minuten

Als Fotograf beim Castor-Transport

126 Stunden Transportzeit, über 100 Blockade-Aktionen und 20.000 Polizeikräfte im Einsatz. Der Castor-Transport 2011 war der längste, der teuerste und sicherlich auch einer der härtesten – sowohl für Aktivisten und Polizisten, als auch für uns Fotojournalisten.

Als Teil eines Dokumentations-Projekts und mit Aufträgen verschiedener Medien und Umweltorganisationen in der Tasche, waren wir von Anfang an dabei und begleiteten die alljährlichen Proteste gegen den strahlenden Transport. Für uns als Fotografen bedeutete der Castor eine knappe Woche Schlafmangel und diverse nervige Polizeikontrollen, aber auch jede Menge tolle Motive, spannende Geschichten und viel Raum zum Experimentieren.

Hier unser „Reisebericht“ zum Ausnahmezustand im Wendland:

23. November – Gutes Timing

Castor-Transport

Wir wollten früh im Wendland sein. Um den Aufbau der Protest-Camps mitzubekommen, uns schon einmal einzurichten und erste Bilder liefern zu können, planten wir unsere Anreise bereits Wochen vorher auf diesen Mittwoch. Eine gute Entscheidung, wie sich nun herausstellt, denn während wir auf dem Weg ins Wendland sind, macht sich in Frankreich auch der Atommüll-Zug auf den Weg – einen Tag früher als angekündigt.

Wir sind gespannt! Nicht nur auf das, was der wendländische Protest dieses Jahr wohl wieder gegen den strahlenden Transport ins Feld schicken wird, sondern auch auf unser persönliches kleines Experiment: Wir wollen in den kommenden Tagen nicht, wie für Fotojournalisten üblich, allein, sondern im Team arbeiten. Das heißt nicht nur das Auto, sondern alles – Aufträge, Fotos, Copyright und Honorare – wird geteilt.

Castor-Transport

Vollgepackt mit Kamera-Equipment, Outdoor-Klamotten, Schlafsäcken, Schutzausrüstung und einer guten Ladung Vorfreude treffen wir uns in Lüneburg. Von dort machen wir uns mit dem gemieteten Wagen auf ins wunderschöne, doch recht abgelegene Wendland. Die Aktivisten dort sind schon fleißig am Werke und wir kommen gerade richtig an, um die letzten Aufbau-Szenen in den Camps mitzuerleben, bevor es dunkel wird.

Es folgt noch eine Stippvisite bei „The Gorleben Project“, dem Castor-Dokumentations-Projekt, an dem wir uns beteiligen wollen und ein nächtlicher Anti-Atom-Laternenumzug. Danach geht’s ins Bett, beziehungsweise ins Stroh für eine letzte halbwegs lange Nacht.

24. November – Das Wendland macht sich bereit

Castor-Transport

Früh aufgestanden machen wir uns zu allererst einmal selbst bereit für alles, was da kommen mag: Presseschilder im Auto verteilen, Spannungswandler für Akkuladegeräte anschließen, Tagesrucksäcke packen, Kamera- und Objektivtaschen sinnvoll daran befestigen und das daraus entstehende Taschen-System (beziehungsweise -Gewirr) zusammen mit Helmen, Getränken und Laptop schnell greifbar auf der Rückbank positionieren.

Los geht’s! Erst einmal allerdings nur zur Polizeipressestelle nach Dannenberg. Dort holen wir uns die ungeliebte, doch aller Voraussicht nach unumgängliche Presse-Akkreditierung ab – ein von Beginn an umstrittener Ausweis, den die Polizei an Pressevertreter ausstellt, die sich brav anmelden und registrieren lassen.

Das ganze Verfahren ist zwar freiwillig, allerdings stellt die Polizei für nicht-akkreditierte Journalisten „weitergehende Überprüfungen“ und „Wartezeiten“ vor Ort in Aussicht.

Castor-Transport

Fertig ausgerüstet machen wir uns dann endlich auf den Weg zur ersten größeren Aktion – der alljährlichen, farbenfrohen und mit knapp 2.000 Teilnehmern sehr gut besuchten Schülerdemo in Lüchow. Den Rest des Tages begnügen wir uns damit, die Bilder zu sammeln, für die in den kommenden Tagen keine Zeit mehr sein wird, zum Beispiel ein paar Protest-Landscapes mit den überall am Straßenrand aufgebauten Protest-Kunst-Installationen. Der Castor steht derweil noch vor der deutschen Grenze.

Später am Abend folgt noch der erste Nachteinsatz, als die Polizei mit Wasserwerfern und mehreren Hundertschaften in Metzingen einrückt, um mit großem Tamtam die B216 abzusichern. Einige Demonstranten hatten wohl versucht, den alljährlichen Protestauftakt des Wendlandes – den „Laternenumzug mit Landmaschinenschau“ – für eine Blockade der Bundesstraße zu nutzen. Während des Einsatzes kommt es auch zu den ersten Konflikten zwischen Journalisten und Staatsmacht, als eine Polizistin mehrere Fotografen-Kollegen zwingt, Bilder von ihren Kameras zu löschen. Vorfälle dieser Art bleiben beim diesjährigen Castor-Einsatz leider nicht die Ausnahme.

25. November – Aufwärmübungen

Castor-Transport

Nach einer recht kurzen Nacht geht’s am Freitag dann richtig los – sie fünfte Jahreszeit des Wendlands beginnt mit der „Rallye Monte Göhrde“. Wenn man den Castor sportlich betrachten will, ist die Rallye so etwas wie das Aufwärmtraining, bei dem sich die Castor-Gegner mit der Polizei ein Katz-und-Maus-Spiel in den Wäldern entlang der Castor-Strecke liefern.

Wer dabei sein will, muss sich auf einen langen, bewegungsreichen Tag im Wald einrichten. Zum ersten Mal kommen hier auch die mitgebrachten Helme mit PRESSE-Schriftzug zum Einsatz, als sich einige Autonome und die Staatsmacht erste kleine Scharmützel im Wald liefern.

Castor-Transport

Nach der Rallye folgt für uns das all-abendliche Hochladen der Bilder. Noch weiß keiner, wann der Castor im Wendland ankommen wird. Die Kampagne „Castor? Schottern!“ will ihre Aktionen möglicherweise schon in den frühen Morgenstunden starten. Wir beschliessen deshalb, uns schon früh schlafen zu legen, doch Pustekuchen…

Die Bilder des Nachmittags sind noch nicht fertig hochgeladen, als uns über den Castorticker die Meldung ereilt, das Camp in Metzingen würde momentan von der Polizei gestürmt. Als wir losfahren, stehen die Wasserwerfer bereits vor den Dixi-Klos des Camps, es wird wohl mal wieder eine kurze Nacht.

26. November – Aktionstourismus

Die Nacht haben wir im Aktivisten-Camp verbracht, schließlich wollen wir möglichst nah dran sein, wenn es mit den eigentlichen Aktionen los geht. Es zeichnet sich jedoch ab, dass die „Castor? Schottern!“-Aktion sowie der Start der großen WiderSetzen-Sitzblockade auf den Zeitraum der bundesweiten Großkundgebung in Dannenberg fallen werden. Wir hätten insbesondere „Castor? Schottern!“ sehr gerne begleitet, doch die Auftragslage verlangt Bilder vom Sternmarsch und der Großkundgebung.

Wir versuchen, einen Kompromiss einzugehen und fahren, in der Hoffnung ein paar verfrühte Schotterer zu finden, einfach mit dem Auto direkt ans Gleis zu der Stelle, an der die „Schottern“-Massenaktion im vergangenen Jahr stattfand. Hier treffen wir jedoch lediglich diverse Medienvertreter, die in einem ähnlichen Dilemma stecken wie wir selbst.

Für etwas Unterhaltung auf dem ausgedehnten Waldspaziergang sorgt ein etwas übermotivierter Polizeireiter, der versucht, über eine Barrikade aus Baumstämmen zu springen und dabei, unsanft von seinem hohen Ross geholt, auf dem Waldboden landet. Bevor wir zur Großdemo los müssen, ist ein aufgeschreckter Hirsch der Einzige, der sich hier auf die Schiene begibt. Die Schotterer sind auf dem Weg zu einem anderen Gleisabschnitt – Pech gehabt.

Castor-Transport

Die bunte, kreative Großdemo mit über 23.000 Teilnehmern, Treckern und allem, was man sich so als Demo-Fotograf wünschen kann, macht es uns dann allerdings nicht schwer, die nötigen Bilder zusammenzubekommen. So geht es für uns, noch während die Kundgebung läuft, weiter zur großen WiederSetzen-Sitzblockade auf den Schienen bei Harlingen. Zwischen all diesen schnellen Standortwechseln bleibt kaum Zeit für Pausen. Hier zahlt es sich wieder aus, zu zweit unterwegs zu sein: Während einer fährt, kann der andere schon die neuesten Fotos sichten und uploadfertig exportieren.

Als es auf den Schienen in Harlingen dunkel wird, bemerken wir, dass wir den ganzen Tag nichts gegessen haben und besorgen uns von der „Volxküche“ der Sitzblockierer ein paar vegan belegte Brote. Es folgt ein Abstecher ins improvisierte Scheunen-Büro von „The Gorleben Project“ zum Hochladen der Bilder und dann eine lange, schlaflose Nacht: Zuerst rückt die Polizei, wie schon am Vorabend, in Metzingen ein und kurz darauf beginnt die Räumung der Harlinger Sitzblockade.

27. November – X-tausendmalquer

Castor-Transport

Wir machen die Nacht durch und widmen uns beim ersten Licht dem Harlinger Freiluftgewahrsam, in dem die Staatsmacht knappe tausend Aktivisten der in der Nacht geräumten Sitzblockade zusammengepfercht hat. Wieder geraten wir dabei mit der Polizei, dieses Mal sogar mit den Pressesprechern aneinander, die uns unnötigerweise den Zugang zum Kessel verweigern wollen. Wie so oft bringt alles Diskutieren wenig – am Ende siegt die Dreistigkeit und wir schleichen uns einfach über Umwege in die Polizei-Wagenburg hinein.

Castor-Transport

Wir verlassen Harlingen mit einem Haufen Fotos, als wir die Info bekommen, dass sich X-tausendmalquer, die zweite Massenblockade-Gruppe, demnächst auf den Weg macht. Nach einem Zwischenstopp bei der äußerst langlebigen Ankett-Aktion der Bäuerlichen Notgemeinschaft begleiten wir die knapp tausend Sitzblockierer auf ihrem Weg durch die wendischen Wälder bis zur Straße vor Gorleben. Bei Einbruch der Dämmerung verlaufen wir uns noch kurz im Wald, machen uns dann aber auf den Rückweg, um die Fotos des Tages an die Kundschaft zu verteilen.

28. November – Das Finale

Castor-Transport

Da der Castor mittlerweile im Dannenberger Verladekran steht, machen wir uns im Morgengrauen auf den Weg dorthin. Von den mit Live-Sendeausrüstung bestückten Aussichtsplattformen des Presse-Containerdorfes am Verladebahnhof ergattern wir das obligatorische Castor-Behälter-Bild und können somit auch dieses von der To-Do-Liste streichen.

Mit Zwischenhalten bei der Greenpeace-Straßenblockade und ein paar schönen kleinen Trecker-Randgeschichten geht’s zurück zu den X-tausendmalquer-Blockierern, die immer noch auf der Straße bei Gorleben durchhalten. Auf dem Weg dorthin macht sich die Nähe des Castors jetzt deutlich bemerkbar. Die Straßenstrecke von Dannenberg nach Gorleben ist hermetisch abgeriegelt.

Wir müssen kilometerweite Umwege fahren und geraten dabei von einer Polizeikontrolle in die nächste. Erst nach Stunden erreichen wir die Sitzblockade.

Castor-Transport

Kaum angekommen, geht in der Halbdämmerung auch schon die Räumung los. Kein leichtes Spiel für Fotografen wie uns, die in erster Linie auf vorhandenes Licht setzen. Gegen Ende der Räumung machen sich ein paar unverzagte Castor-Gegner noch auf den Weg ins kaum fünf Kilometer entfernte Laase zur Abschlusskundgebung. Auch wir schlagen diese Richtung ein, während der Castor in Dannenberg losrollt, um das letzte Teilstück, die Straßenstrecke nach Gorleben, hinter sich zu bringen.

Bei der Ankunft am letzten Schauplatz unserer Castor-Doku gibt’s dann noch einmal eindrückliche Bilder: Während ein Großteil der Castor-Gegner auf dem Feld nahe der Castorstrecke auf der Abschlusskundgebung den längsten Castor aller Zeiten feiert und die Polizei mit einem Großaufgebot entlang der Straße Spalier steht, liefern sich einige noch letzte Scharmützel: Polizei-Greiftrupps rücken immer wieder auf das Kundgebungsgelände vor, woraufhin einige Demonstranten Heuballen auf dem Feld in Brand setzen und die gesamte Gegend einnebeln.

So endet der Castor-Protest 2011 in einer unwirklichen, aber effektvollen Szenerie: Im dichten, nur von den Wasserwerfer-Scheinwerfern durchbrochenen Rauch, beim Sound von Techno und polizeilichen Lautsprecherdurchsagen, passiert der Atommüll-Konvoi Laase und erreicht eine Viertelstunde später das Zwischenlager Gorleben.

Castor-Transport

Das Arbeiten zu zweit hat sich als spannende Alternative zum Einzel-Einsatz erwiesen und uns eine weitaus umfassendere Castor-Dokumentation ermöglicht als sie im Alleingang möglich gewesen wäre. Wir haben uns in vielerlei Hinsicht gut ergänzt und uns gegenseitig bei Schlaf-, Essens-, Kreativitäts- oder Motivations-Mangel immer wieder gegenseitig angeschoben.

Trotz der vielen, teils gleichzeitigen Aktionen konnten wir alles für unsere Dokumentation Wichtige mitnehmen und gleichzeitig noch unsere Auftragsarbeiten sauber abwickeln.

Todmüde, schmutzig und nach Rauch stinkend machen wir uns mit über 5.000 neuen Bildern im Gepäck auf den Heimweg. Die Vorfreude auf eine Dusche und ein warmes Bett ist groß, doch auch eine ordentliche Portion Wehmut schwingt mit, als wir die Grenzen der liebgewonnenen, aufständischen „Republik Freies Wendland“ verlassen.

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