17. November 2011 Lesezeit: ~8 Minuten

Zwischen Latsch-Demo und Straßenschlacht

Soziale Bewegungen waren und sind eine der treibenden Kräfte der Gesellschaft. Überall auf der Welt begleiten Fotografen deshalb Demonstrationen und Proteste und verhelfen ihnen mit ihren Bildern zu Gesicht und Stimme.

Wir haben beide selbst lange Jahre als Aktivisten in der Umweltbewegung zugebracht und auch unser Weg in die Fotografie hat dort begonnen. Schon immer liegt einer unserer fotojournalistischen Schwerpunkte deshalb auf Protesten, Demos und außerparlamentarischer Politik.


November 2010 – Castor-Blockade in Gorleben

Jahrelange politische Erfahrung ist keine Voraussetzung für gute Protest-Bilder – politisches Interesse an der Bewegung, um die es geht hingegen schon. Denn wer eine Geschichte erzählen will, sollte sie zuerst einmal selbst verstehen.


30.09.2010 – Räumung des Stuttgarter Schlossgartens

Soziale Bewegungen – Ein weites Feld

So unterschiedlich die Themen und Menschen auf Demos sind, so unterschiedlich sind auch die Protest-Formen. Und so kann man sich in aller Ruhe aussuchen, was man denn gern machen will: Von der statischen, allwöchentlichen Montagsdemo über farbenfrohe Großdemos und friedliche Massenblockaden bis hin zum Aufstand mit Steinhagel, Wasserwerfer und Tränengas hat das Themenfeld „soziale Bewegung“ einiges zu bieten.

Zudem sind selbst kleine Demos sehr vielfältige und dankbare Motive. Wer demonstriert, will eine Nachricht transportieren und viele Protestierende sind bereit – oder legen es gar drauf an – diese Nachricht auch auf Fotos zu vertreten. Trotzdem sollte man natürlich – wie immer, wenn man Menschen vor der Linse hat – mit Respekt und Achtsamkeit zu Werke gehen.


September 2011 – Protest-Band der Stuttgart 21-Bewegung

Demonstranten liefern uns Fotografen oft sehr starke Bilder. Im Gegenzug sollte man als Fotograf deshalb auch darauf achten, dass man den Aktivisten gerecht wird.

Das bringt uns zum Thema Objektivität. „Objektivität“ ist ein weitverbreiteter Mythos. Kein Mensch ist objektiv und die meisten, die das trotzdem für sich beanspruchen, wollen damit nur ihre Nähe zu Wirtschaft, Politik oder anderen Interessenverbänden kaschieren. Wer ein Bild macht, bezieht mit seiner Kamera immer eine Position.

Gerade bei Protestbildern kann die Perspektive, aus der fotografiert wird, eine stark kommentierende Wirkung haben. Dagegen ist aus unserer Sicht auch erstmal gar nichts einzuwenden. Es verpflichtet jedoch umso mehr zur „Wahrhaftigkeit“: Kommentieren, kritisieren, eventuell auch Sympathien zeigen: Ja. Lügen, diffamieren oder schönfärben: Nein.


Februar 2011 – Symbolische Blockade des Atomkraftwerks Grohnde

Erschwerte Bedingungen – Arbeiten auf Demos

Wie in allen dokumentarischen Fotografie-Genres muss man in der Protest-Dokumentation mit dem arbeiten, was vorhanden ist – und das schnell. Lichtaufbauten, Stativ und Reflektor sind schlichtweg nicht drin und so hält sich die nötige Technik in Grenzen. Eine halbwegs robuste Kamera, zwei bis drei Objektive zwischen 10 und 200mm (je nach Vorliebe) und bei Bedarf ein Blitz sind alles, was nötig ist.

Zu einem guten Demofoto gehört dann jedoch mehr als nur mit der 70-200mm-Linse im Fotografen-Pulk vor dem Front-Transparent mitzulaufen und Protestplakat-Bilder mit Tiefenschärfe-Effekt aufzupeppen – nah rangehen ist die Devise. Sich viel zu bewegen, sich in die Situation hineinzubegeben und mit den Akteuren in Kontakt zu kommen, lohnt sich.

Dabei sollte man versuchen, möglichst unbefangen vorzugehen. Vorurteile bringen nämlich auf Demos wie auch im restlichen Leben überhaupt nichts, sie schränken nur das Blickfeld ein. Fotografen, die mit den typischen „Krawall-Chaoten“-Vorurteilen auf eine ‚linksradikale‘ Demo gehen, werden auch nichts anderes produzieren als die üblichen platten „Krawall-Chaoten“-Bilder.

Erstens gibt’s solche inhaltsleeren Bilder wie Sand am Meer und zweitens wird man damit der Bewegung und den Aktivisten in keinster Weise gerecht. Fragt Euch selbst, versucht eventuelle Vorurteile vor den Demos abzulegen und macht Euch ein eigenes Bild – Ihr werdet überrascht sein und die Betrachter Eurer Bilder auch.


Oktober 2011 – Occupy Frankfurt

Als Demo-Fotograf bewegt man sich oft im Spannungsfeld zwischen Demonstrierenden und Ordnungskräften. Manche Aktivisten, besonders aus autonomeren Zusammenhängen wie AntiFa und Co., haben eine gründliche und manchmal nicht ganz unbegründete Paranoia vor Polizei-Spitzeln und reagieren deshalb recht allergisch auf unbekannte Fotografen.

Mit den Eigenheiten verschiedener Gruppierungen umzugehen, will eben gelernt sein. Wichtig ist: Immer freundlich und respektvoll bleiben, ehrlich sein und – das sollte sich von selbst verstehen – ein „Nein“ akzeptieren.

Auf der anderen Seite kann einem auch die Staatsmacht das Leben mehr als schwer machen. Insbesondere, wenn man keinen Presseausweis vorzuweisen hat, kann man kaum damit rechnen, von der Polizei als Fotograf anerkannt und anders behandelt zu werden als die Demonstrations-Teilnehmer – schon mit Presseausweis ist das oft schwer genug.

Auch hier zahlen sich Freundlichkeit und ein ruhiges Gemüt oft aus. Zudem kann es auch nicht schaden, seine Rechte zu kennen und ein bisschen allgemeines Foto-Recht im Kopf zu haben.

Doch auch mit anderen Widrigkeiten muss man lernen, umzugehen: Mal ist es das Wetter, das einem den Strich durch die Rechnung macht, mal die elende Langeweile einer Kundgebung, deren mittelmäßige Redner und Rednerinnen nichts Neues beizutragen haben und trotzdem ihre Redezeit voll ausnutzen, ein anderes Mal das stundenlange Hin-und-Her-Rennen mit Protestierenden, die versuchen, einen Nazi-Aufmarsch zu blockieren. Auf manches kann man sich vorbereiten, auf anderes wiederum nicht.


30.09.2010 – Räumung des Stuttgarter Schlossgartens

Bambule, Randale… – Wenns dann doch mal rund geht.

Ab und an, wenn die eine oder andere Seite auf Eskalation aus ist, kann es natürlich auch mal etwas brenzlig werden. Wer dann immer noch ganz vorne dabei sein will, sollte sich bewusst sein, dass man sich als Fotograf schnell in einer gefährlichen Position zwischen den Fronten wiederfindet. Unvorbereitet und womöglich auch ohne die entsprechende „Demo-Erfahrung“ in solche Situationen zu gehen, kann unter Umständen böse ausgehen.

Selbst erfahrene Fotojournalisten fangen sich hier noch regelmäßig Schläge, Wasserwerfer-Duschen und tränende Augen ein oder finden sich gar – dank übereifriger Ordnungshüter – auf einmal im Polizeigewahrsam wieder.


April 2009 – NATO-Gipfel in Straßburg

Um aussagekräftige Protestbilder zu machen, muss man sich auch nicht mit Helm und Gasmaske ins Getümmel stürzen und sich und seine Kamera in Lebensgefahr bringen. Die eigene Sicherheit sollte immer Vorrang haben und wenn Euch eine Situation über den Kopf steigt, macht Euch lieber aus dem Staub.

Andererseits, so richtig heikel wird’s sowieso viel seltener als uns so manches große Boulevard-Blatt mit vier Buchstaben gerne weißmachen würde. Vor allem hier in Deutschland werdet Ihr kaum in die Situation kommen, Helme und Gasmasken zu brauchen. Die meisten „Ausschreitungen“ entpuppen sich doch eher als kleine Rangeleien, aus denen man sich ohne größere Mühen heraushalten kann.


Juli 2010 – Teilbesetzung des Stuttgarter Hauptbahnhofes

Viel zu sehen – mehr draus machen.

Um eine Demo zu dokumentieren, reicht ein Bild dann oft nicht aus – meist bietet sich eine Fotostrecke an: Übersichts-Aufnahmen, Situationen, Portraits, Details, Emotionen, Stilleben. Hier könnt Ihr die volle Bandbreite zwischen Fotojournalismus und Streetfotografie ausnutzen und trainieren.

Soziale Bewegungen sind sehr facettenreich. Es kann daher, gerade auch bei größeren Events, sehr spannend sein, sich mit seiner Fotoreihe auf einzelne, spezielle Aspekte des Ereignisses zu konzentrieren. Dies ist nicht nur eine gute Übung, sondern oft sind auch die Ergebnisse interessanter als der Standard-Überblick, den man schon viel zu oft gesehen hat.


Juni 2011 – Blockade des AKW Brokdorf

Oft lohnt sich auch ein Blick zur Seite, denn auch die kleinen Dinge rundherum können den Charakter einer Aktion oft sehr treffend zum Ausdruck bringen. Alles in allem läuft es auf eins hinaus: Offene Augen und viel viel Übung. Letzteres gibt’s nur im Feldeinsatz – also Augen auf, die nächste Demo kommt bestimmt!

Egal, ob Ihr diesen Artikel nun aus reiner Neugier gelesen habt, aus journalistisch-chronistischem Interesse, die politische Umwelt unserer Zeit zu dokumentieren oder ob Ihr Euren eigenen Protest mit fotografischen Mitteln umsetzen wollt. Wir hoffen, wir konnten Euch mit dieser kleinen Einführung ein paar nützliche Tipps mitgeben und vielleicht sieht man sich ja schon auf der nächsten Demo …

… zum Beispiel Ende November im schönen Wendland!

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