kwerfeldein
31. Oktober 2011 Lesezeit: ~5 Minuten

Nimm die Nase von der Scheibe

Jedes Jahr werfen Fotohersteller neue Kameras, Objektive und andere Gadgets auf den Markt. Es vergeht fast kein Quartal mehr, ohne dass es zig Produkte gibt, die man sich als Fotografieliebender kaufen könnte.

Ich behaupte, dass es hilfreich ist, als aufstrebender Fotoenthusiast den Fokus voll auf Fotografie zu setzen, um nicht im Gadgetsturm die Orientierung zu verlieren. Denn das Versprechen, mit einer neuen Kamera auch ein besserer Fotograf zu werden, ist nur eine Halbwahrheit.

Ich bin der Meinung, dass es gut ist, eine Kamera zu haben, die dabei hilft, das umzusetzen, was man machen möchte. Sie ist ein Werkzeug, das funktionieren muss, respektive auslösen sollte, wenn man den Auslöser drückt. Sie sollte den Funktionsumfang haben, den man braucht. Luft nach oben gibt es bekanntlich immer.

Und somit ist schon die erste Prämisse gestellt: Es wird stets etwas Besseres geben. Immer. Man betrachte hierzu nur die Pressemitteilungen der letzten Wochen und es ist nicht zu übersehen, wie groß der Andrang neuer Geräte auf dem Markt ist. Und wie groß das Aufsehen unter Fotografierenden, von Einsteigern bishin zu den Profis.

Und wenn ich in diesen Zeiten Beiträge auf Twitter, in Blogs, Foren und Fotomagazinen so betrachte, beschleicht mich das Gefühl, dass wir Fotoleute eine Art Mantra in uns tragen, das nicht gut für uns ist und ungefähr so klingt:

Du musst immer das beste und das neueste Gerät haben.
Du musst immer das beste und das neueste Gerät haben.
Du musst immer das beste und das neueste Gerät haben.
Du musst immer das beste und das neueste Gerät haben.
Du musst immer das beste und das neueste Gerät haben.
Du musst immer das beste und das neueste Gerät haben.
Du musst immer das beste und das neueste Gerät haben.
Du musst immer das beste und das neueste Gerät haben.

Das Problem dabei ist, dass der Blick vom Akt des Fotografierens selbst auf das Gerät einge- und beschränkt wird. Und so setzen junge Fotoleute große Hoffnungen in neueste Technologie. Glauben und hoffen, dass sie damit „endlich gute Fotos machen“ können. Hätte man dies oder hätte man das, wäre der Abstand zur Profiliga hauchdünn. Es fehle eigentlich nur diese eine Kamera.

Ich bezweifle das. Auch, weil ich schon selbst dieser Hoffnung erlegen bin und mich ständig in dieser Spannung zwischen „alter“ Kamera und einer möglichen neuen befinde. Und weil ich jedes Mal, wenn wieder einmal die topaktuelle Superkamera beschworen wird, zwischen den Zeilen unser Mantra herauslese:

Du musst immer das beste und das neueste Gerät haben.

Musst Du nicht.

Was Du als Allererstes brauchst, ist der Wille, die Leidenschaft und den Biss, zu fotografieren. Du brauchst den Mut, mit einer ganzen Menge Frust umzugehen, nämlich dem, dass viele Fotos erstmal gar nicht perfekt aussehen werden. Spaß am Vorgang des Erstellens eines Bildes, ganz gleich mit welcher Kamera, den brauchst Du.

Am Start sein, Neues ausprobieren und Fotos machen, Fotos machen, Fotos machen. So trainierst Du Dein Auge, die Sehkraft, Dinge zu erkennen, die jeder andere nicht sieht. Da passiert die Magie. Da explodiert die Kreativität und bildet etwas Neues aus dem, was Du siehst und dem, was schlussendlich auf Film oder Elektronik gefesselt wird.

Und dafür brauchst Du eine Kamera, die Dir hilft, das umzusetzen, was Du vorhast. Sie muss Deinen Herausforderungen angepasst sein und nicht umgekehrt. Sie muss sich in Deinem Aktionsradius bewegen und dir das ermgöglichen, was Du visualisiert hast, bevor Du an Technik dachtest. Sie muss es Dir möglich machen, Deine Vision in Realität zu verwanden.

Erst dann, wenn Du ständig an Grenzen stößt, weil Du nicht mehr umsetzen kannst, was Du willst und es Dich beim Fotografieren so sehr stört, dass Du nicht mehr damit arbeiten kannst, erst dann brauchst Du eine neue Kamera. Aber solange sie das tut, was Du willst, brauchst Du keine neue Kamera.

Vielleicht willst Du eine neue Kamera, und niemand in der Welt kann Dir das Recht absprechen, Dir so viele Kameras zu kaufen, wie Du lustig bist. Aber von brauchen im fotografischen Sinne kann hier nicht die Rede sein.

Nimm die Nase von der Scheibe und verkaufe nicht Dein letztes bisschen Persönlichkeit an die neuesten Gadgets. Richte Deine Augen auf Dein Herz und frage Dich, was Du eigentlich machen willst, was Dir auf der Seele brennt. Was Du der Welt zeigen willst.

Tu das. Fotografiere das. Und wenn Du dazu eine andere Kamera brauchst, dann kauf sie Dir. Und arbeite mit ihr. Mach sie Dir zu eigen. Fordere sie heraus. Bring sie in ihre Grenzen. Und drüber hinaus. Benutze Dein Werkzeug als sei es das einzige, was es gibt. Und nun möchte ich schließen mit einem Zitat von Henri Cartier-Bresson. Diese Worte haben sich mir eingebrannt wie nur wenige und sie bringen diesen Artikel zu einem guten Abschluss:

Fotografieren, das ist eine Art zu schreien, sich zu befreien… Es ist eine Art zu leben.

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