21. Oktober 2011 Lesezeit: ~4 Minuten

Mut zur Mittelmäßigkeit

Junge Fotoeinsteiger stehen oft vor einer unlösbaren Herausforderung, wenn sie sich mit der gewaltigen Bilderflut im Netz konfrontiert sehen. Und es besteht die Gefahr, deshalb die Flinte ins Korn zu werfen. In diesem Text möchte ich Muster analysieren und mit ein paar Vorschlägen dazu anregen, Mittelmäßigkeit als Übergangslösung zu akzeptieren.

Wer heute fotografiert und im Netz aktiv ist, kann ohne Probleme zur Verzweiflung gebracht werden. Tagein tagaus sieht man hunderte (oder tausende) Fotografien, die man „besser“ als die eigenen gewichtet. Auf sozialen Plattformen begegnet man dem, was gerade so „populär“ ist und kann sich dem gar nicht wirklich entziehen. Um sehenden Auges dabei zu sein, wie auch der letzte Nerv und das glimmende Fünkchen Kreativität im Nichts verschwindet.

Denn schließlich will man sich ja durchsetzen. Nein, natürlich würden wir es so nicht formulieren, aber „von den anderen abheben“, „einen Unterschied machen“ oder gar „nicht das, was alle anderen fotografieren“ sind Sätze, die ich mir selbst gesagt und in ganz vielen Gesprächen mit jungen und erfahrenen Fotografen immer wieder höre.

Und gänzlich falsch ist diese Philosophie nicht, denn keiner hat Lust, nur das zu kopieren, was andere tun. Aber wenn man zu früh unerreichbare Erwartungen an sich selbst stellt, findet man sich gut und gerne vor dem Scheunentor wieder: Nämlich dort, wo man die Flinte ins Korn geworfen hat.

So fotografiert man mal das, mal dies, hier ein Wettbewerb, da ein Workshop, hier eine Idee, oder, nee doch was ganz anderes. So liest man die Blogs und beneidet diejenigen, die sagen (und zeigen) können, was sie bisher fotografiert haben. Es folgt der entgeisterte Blick ins eigene Archiv, das in den ersten Monaten (wen wundert’s?) gähnende Mittelmäßigkeit hervorbringt.

Der Druck auf die eigenen Leistung wächst und wächst und wächst und irgendwann platzt vielen Fotoeinsteigern der Kragen. Keine Lust mehr. Keine Böcke, sich dem ganzen „Trubel um die Besten“ hinzugeben. Und auch keine Lust, sich einzugestehen, dass man durch das ständige Vergleichen gar keine Ahnung mehr hat, wo man selbst steht, geschweige denn hin möchte.

Kein Einzelfall. Und kein Problem. Zumindest muss es das nicht sein.

Ein Weg, um aus dem Schlamassel herauszukommen und sich von der erdrückenden Wucht eigener und fremder Erwartungen zu befreien, kann folgender sein: Die Flinte tatsächlich ins Korn werfen, sich klar machen, was einen so erdrückt und dann nochmal ganz von vorn anfangen. Mit Mut zur Mittelmäßigkeit.

Die meisten von uns kennen auch folgendes Zitat: „Deine ersten 10.000 Bilder sind deine Schlechtesten“. Wenn wir beginnen, zu fotografieren werden wir (in den meisten Fällen) keine Serien großartiger Fotos machen. Natürlich stellt sich hier die Frage, was „großartig“ eigentlich ist und ob das überhaupt sein muss.

Exakt.

Wer mit der Fotografie beginnt, muss keine großartigen Fotos machen. Oder andersherum formuliert: Man DARF mittelmäßige oder gar schlechte Bilder produzieren. So viel und so oft wie möglich. Und ich behaupte mal: Das akzeptieren der Tatsache kann dazu führen, daß man wesentlich schneller „großartige“ Fotos produziert als erwartet.

Denn: Wer ständig unter dem Druck steht, Höchstleistung zu bringen und unter diesem Druck leidet, verhindert genau damit das Erreichen des Zieles. Und blockiert damit Kreativität, Ideenreichtum und den Spaß am Fotografieren.

Was das praktisch bedeutet? Nun, man sucht sich ein Thema der Fotografie und fotografiert in der Erwartung von… gar nichts. Jedes Bild, das einigermaßen gelingt, ist ein Gewinn. Grund zur Freude am Fotografieren. Die Bestätigung dessen, dass es beim Fotografieren in erster Linie nicht um Leistung, sondern um die Freude am Bild geht.

Ich persönlich glaube, dass man viel schneller zum Ziel kommt, wenn man es – zwischenzeitlich – einfach mal streicht und drauf verzichtet, es zu verfolgen. Hohe Ziele sind gut, keine Frage. Aber sie können auch im Weg sein. Und meiner Meinung nach sollte jeder, der die Fotografie aus reiner Liebe betreibt, sich keinem Druck ausgesetzt fühlen. Qualität kommt – man höre und staune – mit der Übung und somit (fast) von ganz alleine.

Die Mittelmäßigkeit, das schlimme, furchtbare Wort, ebnet den Weg dorthin.

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