14. Oktober 2011 Lesezeit: ~5 Minuten

Begegnungen der dreiteiligen Art

„Triptychs of Strangers“ ist mein erstes Konzeptprojekt. Am Anfang war es eines von vielen Experimenten während meines “Nach-Asien-finde-ich-keine-Motive-mehr”-Traumas, das dann innerhalb von einem Wochenende in Paris zu einem “Projekt” wurde.

Wo auch immer ich unterwegs bin, schätze ich es sehr, mit Menschen schnell ins Gespräch zu kommen. Dabei halte ich die Begegnung sowohl visuell als auch in Worten in Form einer Kurzgeschichte fest.

Als es bei mir mit der Fotografie losging, habe ich das eine oder andere populäre Strangers-Projekt verfolgt. Es kam für lange Zeit nie wirklich in Frage, etwas Ähnliches umzusetzen. Die Ergebnisse der üblichen Verdächtigen fand ich faszinierend, aber irgendwie habe ich diese Art der Fotografie nie unabhängig von der arbeitsintensiven 365-Tage-Geißel gesehen. Jeden Tag ein Fremder, jeden Tag ein Bild? Müsste ich zukünftig im Umkehrschluss mehr arbeiten, um dem Dauerstress, Frust und Zwang meines Hobbys zu entkommen?

Zudem sehe ich in Straßenfotografie eben auch die Nicht-Reproduzierbarkeit von aus dem Leben gegriffenen Situationen. Ich fühle mich dem besonderen Moment verbunden. Bei meinen bisherigen Fotos klappte dies recht gut, aber meine ersten Straßenportraits ließen genau das vermissen.

Und da ich dann auch noch in Gegenden Hamburgs unterwegs war, in denen es mehr “Bekannte” gab als Fremde, konnte es vorerst einfach nicht zusammenlaufen.

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Die Idee, Straßenportraits im Rahmen eines Triptychons umzusetzen, ist, wie vieles andere auch, wahrscheinlich unter der Dusche oder auf dem Weg zur Arbeit entstanden.

In meiner Mittagspause fand ich mich in der Hamburger Mönckebergstraße wieder und verabschiedete mich von einem Fremden: Holger aus Sylt. Ich hatte vorher ca. zehn Bilder von Holger gemacht: Kopf, Füße und ein Mittelteil. Alles ging furchtbar schnell und doch habe ich eine gefühlte Ewigkeit gebraucht, um ihm überhaupt zu erklären, was ich vorhabe.

Vielleicht hat er auch einfach eingewilligt, weil er danach schnell weitergehen wollte (“Ja, dann mach halt”) und meine Nervosität nicht auch noch mit einer Zurückweisung abstrafen wollte.

Kurz darauf folgte das Wochenende, an dem mir klar wurde: Es könnte ein Projekt werden. Ein kurzer Moment im Jardin du Luxemburg in Paris: Ich sah einen Jogger, der gerade seine Oberschenkel stretchte und prompt hatte ich meinen zweiten Dreiteiler vor Augen. Zu einer Begegnung kam es jedoch nicht – mutbedingt.

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Als erstes traf ich Ed, beeindruckend offen in seiner Art und dann dieser Humor! Mein Lieblingszitat: “Ich bin glücklich mit einer chinesischen Frau verheiratet und stolzer Vater eines Kindes, das eigentlich riesig sein müsste, bei dem, was wir täglich in diesen Mund stopfen müssen.” Hier der Dreiteiler:

Bei meinem nächsten Fremden, Pierre, kam zum ersten Mal Routine auf – das Ansprechen an sich war schon lange kein Problem mehr. “Ich mag Deinen Style und Du sitzt auf einem Fahrrad. Wenn Du einen kurzen Moment Zeit hast, erzähle ich Dir, warum ich Dich unbedingt anhalten musste.”

Dann traf ich zwei kleine, frisch verliebte Spanier an einem Samstagmorgen vor dem Sacré-Cœur. Da ich das Bild in schwarzweiß veröffentlicht habe, bleiben die erröteten Gesichter von Lucia und Manuel solange ein Geheimnis, bis ich es vielleicht mal irgendwo erwähne.

Pierre war gezeichnet von einer schwer durchgezechten Nacht und trotzdem spontan genug, mitzumachen. Spontan blieb es dann auch, besonders im Mittelteil. Auf Frage nach seinem Tascheninhalt kam dieses Bild zustande. Einen gewissen Wahrheitsgehalt konnte Pierre auf meine Nachfrage anschließend nicht absprechen.

Manchmal spreche ich Leute nur an, weil die Unlust sich darüber zu ärgern, es nicht getan zu haben, später überwiegen könnte. Ungefähr so verärgert wie Manfred, nachdem der Abstieg der Kiezkicker aus St. Pauli endgültig besiegelt war. Manfred ist aber wahrscheinlich in jeder Lebenssituation immer noch cool genug für ein Portrait.

Zoran und Robert gewährten mir den bisher intimsten Moment.

Wer mit soviel Spaß seine Schuhe – und vor allen Dingen Hosen – am Morgen auswählt wie Kim, ist wie geschaffen für mein Projekt. Die Möglichkeit, von mir übersehen zu werden, war also sehr gering. In diesem Fall überstrahlte seine Rolleiflex allerdings seine Erscheinung als solches um ein Vielfaches.

Bis heute habe ich 23 Dreiteiler auf Flickr veröffentlicht. Solange der Spaß nicht nachlässt, werde ich mich ihr nähern: Der 50er Marke. Es reicht mir jedoch völlig, Menschen nur alle paar Wochen mal als Dreiteiler assoziieren zu müssen. Und daher gibt es auch immer wieder größere Pausen in diesem Projekt. Und das ist auch in Ordnung.

Menschen sind uns nur so lange unbekannt, bis wir Essentielles, aber Banales über sie wissen. Genau hier setze ich an und versuche, die Wahrnehmung des Betrachters noch weiter zu schärfen. Am Ende sind sie uns vielleicht weniger fremd.

Und so passiert es dann auch, dass die Grundlage – das Gespräch – schon einmal zwei Stunden dauert. Die Wahrheit liegt jedoch bei weniger als 30 Minuten im Schnitt. Das Shooting selbst vielleicht bei 5, die Bearbeitung mittlerweile bei ca. 20 Minuten.