13. Oktober 2011 Lesezeit: ~6 Minuten

Bildvorstellung: „Reflexion“

Ich mag Fotos, die glasklar komponiert, sortiert und minimal aufgebaut sind. Meist sieht man nur wenige Details und es geht um ein Hauptmotiv. Ein alleinstehender Baum in winterlicher Landschaft, zum Beispiel. Oder Bilder meines aktuellen iPhone-Projektes „minimal“, bei denen ich ganz bewusst auf Ruhe und Ordnung achte. Diese Bilder sind relativ einfach in ihrem Aufbau und beinhalten eine der ersten „Lehren“, die ich als Einsteiger gelernt habe: Beschränke Dich auf ein Hauptmotiv, lasse unnötige Sachen beiseite.

Und trotzdem liebe ich ebenso Fotografien, die ganz und gar nicht in dieses Schema passen. Frech chaotisch, durcheinander und komplex kommen sie daher, zwingen den Betrachter dazu, länger hinzusehen, weil nicht sofort klar wird, um was es geht. Sie liegen kwer, sind ein wenig unbequem und zeigen machmal versteckt das Hauptmotiv – wenn es denn ein solches gibt. Das folgende Bild ist so eines. Ich möchte Euch ein bisschen was darüber erzählen, wie es entstanden ist und welche Bearbeitungsschritte ich postfotografierend angewendet habe.

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Ich hatte mich am 15. September wieder mal aufs Rad geschwungen, um das Straßenleben der Stadt zu dokumentieren. Aus meiner Musiksammlung wählte ich die Fugees aus und so beschallte „The Score“ mein Vorhaben durch die Kopfhörer. Eine warme Brise Karlsruher Stadtluft kam mir entgegen, ich genoss den Fahrtwind und wusste genau: das wird nur ein kurzes Shooting, denn ich hatte noch eine Menge Arbeit, die im Büro auf mich wartete.

Deshalb entschloss ich mich, auf einen Katzensprung zur gegenüberliegenden Seite der Oststadt zu radeln, als mir gleich nach dem Anketten der Tretmühle ein leerstehender Laden auffiel. „Herrliche Spiegelung, da kann man ja durchgucken!“, dachte ich und kramte meine Spiegelreflex aus dem Rucksack.

Selbige war mit der fünfziger Festbrennweite bestückt und ich begann, ein paar Testfotos zu machen. Ich war begeistert von der Vielschichtigkeit der Spiegelungen und schaute ein paar Mal durch den Sucher, wieder aufs Display und so fort. Da ich zwar in RAW fotografiere, aber mein Display monochrom eingestellt ist, konnte ich erahnen, wie das Finalbild aussehen würde.

So tat ich etwas, was ich immer öfter mache, wenn mir eine Szene gefällt: Warten. Und zwar darauf, dass eine Person ins Bild läuft und das Chaos vervollständigt. Ein Mensch kann – selbst wenn er nur in Umrissen zu erkennen ist – dem größten Durcheinander einen Ruhepol geben. Die Augen des Betrachters können sich dort einpendeln und haben einen Bezugspunkt, der vertraut ist. Besonders spannend finde ich es, wenn ex der Betrachter nicht sofort, sondern erst nach ein paar Sekunden findet.

Nach einer Weile wurde es mir geschenkt, dass eine Frau Richtung Zentrum vorbeilief und so musste ich nur noch abdrücken. Um exakt neun Uhr siebzehn mitteleuropäischer Zeit machte es KLACK und das folgende Bild landete auf meinem Sensor.


EXIF: 1/500s ISO 1000 ƒ/7,1

Ich blickte aufs Display und – ihr kennt das vielleicht – machte ich (innerlich) einen Sprung in die Luft. Aus mir brach ein „YESSSSS“ (äußerlich) heraus. In solchen Augenblicken kann ich meine Freude einfach nicht zurückhalten, weil ich genau weiß: Volltreffer. Da finden so viele kleine Dinge zueinander – herrlich. Und weil ich das mit der Kamera einfangen darf, ist meine Freude komplett. Doch nun zurück zum Original, das ich bisher ganz und gar ignoriert habe.

Es ist heute erste Mal, dass ich das „Originalbild“ in Farbe sehe. Warum? Weil ich bei meinem fotografischen Prozess eigentlich nie ein Farbbild sehe, sondern nur in schwarzweiß arbeite. Was für viele nach einer Katastrophe klingt, ist für mich exakt so, wie es sein soll. Schwarzweiß wird das Endprodukt sowieso, Farbe ist für mich keine Option mehr, also warum mit Farbe rumärgern? Wie das geht, erkläre ich jetzt:

Wie oben schon angesprochen, zeigt mein Display auf der Kamera das Foto in schwarzweiß an. Wenn ich dann zu Hause die Bilder mittels Lightroom importiere, werden diese im Importdialogfenster ebenfalls monochrom dargestellt. Damit aber nach dem Importieren Lightroom nicht wieder zurück auf Farbe stellt, habe ich mir ein Preset gebaut, das direkt während dem Import auf meine Fotos angewandt wird.

Im Preset ist voreingestellt: Umwandlung in schwarzweiß plus Kontrastverstärkung um +50.

Bearbeitungsschritte in Lightroom

Im obigen Screenshot sieht man, was ich unmittelbar nach dem abgeschlossenen Importvorgang (und nach der Selektion der Besten) zu Gesicht bekomme. Das Foto wird nun quadratisch beschnitten. Über den Shortcut „R“ lande ich im Freistellungsmodus und spiele mit unterschiedlichen Versionen. Mal mehr nach rechts, oder nach links, aber meistens ist es dann doch die goldene Mitte, für die ich mich entscheide.

Nach dem Freistellen verstärke ich die Schwarztöne im Dialogfenster der Grundeinstellungen und mache mittels Helligkeitsanpassungen das Bild noch leuchtender. Über einen Verlauf aus dem Bild heraus (der Verlauf wird nicht ins Bild gezogen, sondern außerhalb des Bildes vom Bild weg gemacht) mit Kontrastverstärkung gewinnt das Foto weiter an Präsenz. Siehe Screenshot zur Linken. Das Zwischenergebnis sieht dann so aus ↓:

Wie leicht zu erkennen ist, führten meine Bearbeitungsschritte über das ganze Bild unmittelbar dazu, dass die Frau im Hintergrund gar nicht mehr zu erkennen ist. Nun hätte ich die Gesamthelligkeit wieder verringern müssen, aber das hätte auch die anderen Teile des Bildes, die so schön spiegeln, erheblich beeinträchtig. Ergo habe ich mittels Korrekturpinsel die entsprechenden Stellen nachgebessert (hier rot hervorgehoben).

Als Freund des Dodge & Burn machen mir solche Reparaturarbeiten viel Spaß und so konnte ich das (für mich) Maximale aus dem Bild herausholen. Deshalb nochmal die Finalversion:

Fazit

Es hat sich gelohnt, vor dem Fenster zu warten. Auch heute fallen mir im Nachhinein Details im Bild auf, die ich bisher übersehen habe. Im Übrigen war dieses Foto für mich auch ein Anstoß, bewusster auf Spiegelungen zu achten. So sind mittelweile schon weitere Fotografien entstanden, bei denen Spiegelung ein Teil des Ganzen ist.

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