06. Oktober 2011 Lesezeit: ~8 Minuten

Warum fotografieren?

Wer gerne hinter der Kamera steht und Menschen fotografiert, wird sich sicher gelegentlich die Frage stellen, warum er eigentlich fotografiert, welche Ziele er dabei verfolgt und wo sein persönlicher Gewinn in diesem Hobby liegt.

Statt einer einzigen Antwort, die kurz und knapp den Kern oder die Seele der Fotografie beschreibt, werden wir aber mit dieser Frage eher auf ein Sammelsurium von Antworten treffen, allesamt so unterschiedlich wie die Charaktere der angesprochenen Fotografen.

Und auch wenn die vielen verschiedenen Antworten zuerst überraschend und irritierend erscheinen, zeigen sie doch klar, wie groß das Spektrum der Fotografie ist und wie unterschiedlich die persönlichen Erwartungen an diese Passion sein können.

Auch ich habe mir häufiger die Frage gestellt, was die Fotografie mir bedeutet und wo mein Ideal einer guten Fotografie liegt. Ziehe ich Resümee, fällt mir auf, dass ich in all den Jahren, in denen ich fotografiere, immer wieder andere Schwerpunkte hatte und auf die Frage „was bedeutet mir Fotografie“ sicherlich viele verschiedenen Antworten gegeben hätte. Antworten, die sich auch heute noch immer ein wenig ändern, weiter entwickeln, obsolet werden oder sich vielleicht auch verfestigen und zur persönlichen Wahrheit entwickeln.

Eine dieser persönlichen Wahrheiten – Oder sollte ich besser wertneutral von einer These sprechen? – ist die Ansicht, dass die Bedeutung der Fotografie als bildgebende Methode zwar korrekt, jedoch gerade diese Eigenschaft letztlich eher nebensächlich ist. Was wäre zum Beispiel, wenn Fotografie nicht ausschließlich ein Instrument zum Abbilden von Dingen wäre, sondern ein Medium zur Kommunikation, ähnlich der Sprache?

„Logo“ denken jetzt sicherlich viele. Schließlich ist die Fotografie auch eine Möglichkeit, Gefühle auszudrücken und somit auch eine Art, sich mitzuteilen.

Das stimmt natürlich, aber es geht mir nicht weit genug. Die Fotografie gibt uns nämlich nicht nur die Möglichkeit des kreativen Ausdrucks, sondern ermöglicht, und genau das sehe ich als den eigentlichen großes Nutzen, die Kontaktaufnahme und die Annäherung zwischen zwei Menschen. Menschen, die sich ohne Kamera höchstwahrscheinlich nie kennengelernt hätten. Durch die Fotografie haben wir also die Möglichkeit, einen Blick in das Leben von Menschen zu werfen und Zeit miteinander zu verbringen.

Dabei bietet die Fotografie den Raum für Fotografen und Modell, sich einander zu öffnen. Sie stellt einen Rahmen dar, in dem sich die Beziehung von zwei Menschen entfalten kann und hilft durch die klare Rollenverteilung, anfängliche Unsicherheiten zu überwinden.

Ich erinnere mich dabei an eine Portraitserie, die ich vor einigen Jahren in Burbach, einem Stadtteil von Saarbrücken, gemacht hatte. Es war mein erstes Projekt dieser Art und ich war folglich ziemlich aufgeregt. Auf Menschen zuzugehen ist nicht unbedingt eine meiner Stärken und ich konnte mir kaum vorstellen, dass sich jemand finden würde, der sich von mir bereitwillig portraitieren ließe. Aber das war ein Irrtum.

Es fanden sich sogar wesentlich mehr Burbacher als ich mir erträumt hatte. Gerade wenn ich meine Chancen besonders aussichtslos einschätzte, verblüffte mich die Reaktion meines Gegenübers. Meine Kamera wurde zu einem Schlüssel in das Leben von einigen Bewohnern Burbachs. Viele zeigten mir ihre Wohnung, erzählten mir Episoden aus ihrem Leben, kurzum: Sie vertrauten mir aufgrund meines seriösen Anliegens.

In dieser Zeit machte ich für mich sehr wichtige Erfahrungen. Es wurde mir klar, dass die Zeit und die Erlebnisse während meiner Arbeit mehr für mich bedeuteten als die Bilder, die ich machte.

Wenn ich mir heute Fotografien von damals ansehe, erinnere ich mich immer wieder an die Geschichten, an die gemeinsam verbrachte Zeit und an viele Bilder, die nicht auf einem Film oder einen Chip abgespeichert sind, sondern ganz allein in meiner Erinnerung wirken.

Da ich mich in dieser Zeit eher für Studiofotografie interessierte und begeistert die Möglichkeiten der Bildbearbeitung verfolgte, war der zwischenmenschliche Dialog zumindest als Schwerpunkt neu für mich und heute würde ich sagen, Burbach und die Menschen, die mir so vertrauensvoll gegenüber standen, haben mir eine neue Richtung gegeben.

Auch heute empfinde ich meinen persönlichen Gewinn nicht oder nicht nur in den entstandenen Bildern, sondern in jeder Minute, die ich mit meinem Gegenüber verbringen durfte. In den Gesprächen, die wir geführt haben oder auch in dem gemeinsamen Schweigen, das nur durch den vertrauten Umgang möglich wurde.

In meiner Erinnerung sind Millionen Bilder abgespeichert. Gerüche, die Musik der Stimme, die Erinnerung an einen bestimmten Ort, an das Gefühl von Sonne oder Regen und vieles mehr. Ein Bild von mir, das es schafft, diesen virtuellen Ort meiner Erinnerungen anzuzapfen, empfinde ich als gelungen.

Eine Fotografie, die es mir ermöglicht, auch Jahre später emotional in die Vergangenheit einzutauchen, ist eine wertvolle Erinnerung und der eigentliche Grund für mich, zu fotografieren.

Dabei liegt der persönliche Wert einer Fotografie also nicht in der Perfektion einer Aufnahme, in der detailreichen Darstellung oder der perfekten Schärfe, sondern oft auch gerade im Gegenteil. Ein Portrait sollte aus meiner Sicht nicht die rein visuelle Realität möglichst exakt darstellen, sondern sich viel mehr in der Genauigkeit der Darstellung soweit reduzieren, dass ausreichend Platz für die emotionale Botschaft und die persönliche Interpretation der Aufnahme bleibt.

Möglicherweise erklärt sich so die ungebrochene Begeisterung für Polaroidaufnahmen. In Schärfe und Farbgenauigkeit stark reduziert, lassen diese Bilder dem Betrachter viel mehr Raum für die eigene gefühlsbetonte Interpretation eines Bildes. Die Fotografie als Möglichkeit zur Darstellung des Sichtbaren stellt sich also bewusst in den Hintergrund und überlässt es dem Betrachter selbst, das Gesehene für sich selbst weiter zu träumen.

Um diesen Umstand Menschen nahe zu bringen, die sich wenig oder gar nicht mit Fotografie beschäftigen, ist es oft sinnvoll, eine technisch unperfekte (weil unscharf, Farben verschoben etc.) Fotografie mit einem Buch zu vergleichen, das man gelesen hat. Alle Informationen, die das Buch nicht enthält, werden nahtlos von unserer Fantasie hinzugefügt.

Sehen wir später den Film, sind wir oft enttäuscht, weil wir unsere eigene Version lieber mögen und sie im Film nicht wiedergegeben sehen. Auch bei einer Fotografie benötigt der Betrachter einen Raum für sich und seine Gefühle. Je größer dieser Raum ist, desto mehr schafft er es, seine Persönlichkeit einzubringen und so ein Teil des Bildes zu werden.

Auch für den Fotografen und sein Model ist die Fotografie die Möglichkeit, ein Stück ihrer Persönlichkeiten mit einzubringen. Dabei denke ich nicht, dass ein guter Fotograf den Charakter oder gar die Seele des Menschen auf einem Foto abbilden muss. Ich habe diese Aussage schon häufiger in verschiedenen Versionen gelesen und fand sie immer übertrieben oder zumindest viel zu einseitig.

Menschen sind komplex und haben oftmals viele paradoxe Eigenschaften, was es unmöglich macht, all diese in einer Aufnahme darzustellen. Richtiger ist wohl eher, dass Modell wie auch Fotograf kleine Fragmente ihrer Persönlichkeit einbringen. Beide hinterlassen gleichermaßen ihren Fingerabdruck auf der Aufnahme, oftmals ohne sich dessen bewusst zu sein.

Mit welcher Intensität dies geschieht, hängt dabei zum großen Teil davon ab, inwieweit Fotograf und Modell in der Lage sind, eine Beziehung einzugehen und ihre Fassade aus erlernten Schutzmechanismen fallen zu lassen. Gelingt es ihnen, einen Raum zu schaffen, in dem sie sich sicher und geborgen fühlen, haben sie die Chance, gemeinsam Bilder zu schaffen, auf dem beide einen Teil ihrer Persönlichkeit wiederfinden können.

Ich sprach am Anfang vom „Ideal einer guten Fotografie“. Sicherlich wird es auch dazu viele Meinungen und vor allem Gewichtungen geben. Für mich ist eine gute Fotografie das Abbild einer Beziehung. Beide, Fotograf und Modell, sind (wenn auch manchmal sehr subtil) sichtbar. Eine gute Fotografie ist Kommunikation, gegenseitiger Respekt und Vertrauen. Eine gute Fotografie ist nicht nur das Bild, sondern vor allem die Menschen und ihre Beziehung dahinter.

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