29. September 2011 Lesezeit: ~3 Minuten

Eine Revolution in Bildern

Es ist 9 Uhr abends und alle machen Lärm. Sie klappern mit Kochtöpfen, blasen in ihre Trillerpfeifen, klatschen, rufen und schlagen mit Schraubenschlüsseln gegen das Metallgeländer. Jeden Tag das selbe Spiel seit gut einem Monat.

Und fast jeden Tag gehe ich mit meiner Kamera zu den Versammlungen, fotografiere den besetzten Plaça de Catalunya und die Indignados – so nennen sie sich: die Empörten!

Die Bewegung der #spanishrevolution entstand überraschend, aber eigentlich hätte sie nicht überraschen dürfen. Seit zehn Jahren spitzt sich die Lage in Spanien zu: Es begann 2002 mit dem „Spanischen Wirtschaftswunder“ – einer Immobilienblase die Beschäftigung für viele brachte, und Reichtum für einige wenige. Die Blase platzte 2008 und riss die Welt in eine Finanzkrise. Die Spanische Regierung eilte zur Hilfe, und rettete die Banken mit Milliarden von Euros, die sie nicht hatte.

2010 war die Arbeitslosigkeit auf einem Rekordhoch; staatsnahe Betriebe entließen tausende Menschen, während in den Chefetagen weiterhin Bonis und dicke Gehälter ausbezahlt wurden.

Ende Mai 2011 stehen schließlich Regionalwahlen bevor: auf der Wahlliste finden sich zahlreiche Politiker, die verdächtigt werden sich während des Immobilienbooms illegal bereichert zu haben. Die Menschen sind empört. Am 15. Mai 2011 ruft die Internetplattform „Democracia Real Ya“ zu Demonstrationen in 50 Städten auf. Es kommen hunderttausende – und sie gehen nicht mehr heim.

Zum Plaça de Catalunya in Barcelona kommen abends bis zu zwanzigtausend Menschen, mehrere Hundert verbringen dort ihre Nächte – mit und ohne Zelt. Sie sind gut organisiert: es gibt eine Feldküche, Kindergärten, Infostände, Vorträge und Workshops. Und trotz der trüben Aussichten für die Zukunft sind die Menschen nicht verdattert.

Inspiriert vom Arabischen Frühling wollen sie selbst die Verantwortung für ihre Zukunft übernehmen. Sie haben gute Vorstellungen von einer gerechten Führung der Gesellschaft, die Politik zur Bereicherung einiger weniger sind sie leid.

Als sich die Indignados weigern den Plaça de Catalunya zu verlassen, werden Sie von der Polizei mit Knüppeln geschlagen. Aber bleiben sie standhaft. „Der Platz gehört dem Volk!“, rufen sie, „Das ist keine Krise, das ist ein Überfall!“, schreiben sie auf ihre Plakate.

Die friedfertige Stimmung dieser Bewegung möchte ich einzufangen: wenn Pärchen am Platz Tango tanzen, wenn Versammlungen abgehalten werden, wenn in Gruppen diskutiert wird, gemeinsam gekocht und der Platz aufgeräumt – oder wenn lautstark protestiert wird.

Statt auf Motivsuche zu gehen, lasse ich mich treiben, die Kamera jedoch immer griffbereit. Ich versuchte möglichst unbemerkt zu bleiben; komme früh zu den Versammlungen, verschaffe mir Überblick. Ich spreche mit den Menschen, um ein Gefühl für die Stimmung zu bekommen und um vorauszuahnen was als nächstes passiert. Ich versuche schon vorher am richtigen Ort zu sein, denn ich möchte ein Foto machen von der Stimmung des Moments – ein Foto, dass die Geschichte erzählt.

Denn diese Geschichte ist es wert, erzählt zu werden.

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