21. September 2011 Lesezeit: ~7 Minuten

Ciao, Grazie – Die Strandverkäufer

Wer kennt sie nicht, die Verkäufer an den Stränden dieser Welt? Oft als störend empfunden, preisen sie den Touristen gefälschte Uhren, Taschen, Schmuck, Sonnenbrillen, aber auch jede Menge Nippes an.

Die meisten von uns fühlen sich von ihnen belästigt und die Verkäufer mutieren schnell zu „gesichtslosen“ Störenfrieden. Ich habe diese Menschen an der italienischen Riviera kennengelernt, portraitiert und versucht, ihnen damit ein Gesicht zu geben.

In ehrlichen und intimen Portraits möchte ich Menschen aus Marokko, Bangladesh, dem Senegal und Kamerun zeigen. Von gut gelaunt über freundlich bis hin zu stolz, einer gewissen Traurigkeit, aber auch Hoffnung auf eine bessere Zukunft, zeigt sich die ganze Bandbreite der Portraits.


Boubacar, 37, Senegal, Ware: Strandspiele, Bälle, Hüte

Nur wenige denken über das Schicksal dieser Menschen in ihrem Urlaub nach. Bepackt mit ihren Waren laufen sie bis zu zehn Stunden am Tag in der Hitze den Strand auf und ab. Höflich, zum Teil jedoch auch aufdringlich, begegnen sie uns und versuchen, ihre Ware an den Mann oder die Frau zu bringen.

Der durchschnittliche Tageslohn eines „erfolgreichen“ Verkäufers beträgt ca. 10 bis 20 Euro. Die Masse der Produkte stammt nicht, wie angepriesen, aus Afrika oder Indien, sondern direkt aus Italien.

Eine ganze Industrie bzw. kriminelle Organisation verdient damit an den Urlaubern. Die Strandverkäufer sind meist Angestellte oder auch inoffizielle „Mitarbeiter“ aus den Läden der Innenstadt und werden nach Verkaufserfolg bezahlt- schwarz, versteht sich.

Sie holen ihre Waren jeden Morgen an den Verteilerpunkten bzw. in den einzelnen Läden ab. Alle Strandabschnitte sind fest aufgeteilt. Bewegt sich ein Verkäufer an einem anderen öffentlichen Strand, hat er mit viel Ärger zu rechnen.


Moustapha, 43, Senegal, Ware: Hüte, Uhren

Viele von ihnen haben keine oder nur eine begrenzte Aufenthaltsgenehmigung. Kontrollen am Strand gibt es nicht, dennoch haben viele Verkäufer Angst, ihren Job zu verlieren, da er oftmals die einzige Möglichkeit ist, Geld zu verdienen.

Das hart verdiente Geld wird häufig an die in ihren Heimatländern zurückgelassenen Familien geschickt. Die Menschen aus Afrika, die sogenannten „Boatspeople“, flüchten meist mit kleinen Booten nach Italien. Ihr erstes Ziel ist hier die italienische Ferieninsel Lampedusa, wo sie in Aufnahmelagern zusammengepfercht sind.

In Italien an einem der zahlreichen Strände angekommen, beginnt dann die moderne Ausbeutung. Es herrscht großer Konkurrenzkampf zwischen den Verkäufern: Senegalesen und Marokkaner buhlen mit identischen Waren um jeden Kunden.

Die Verkäufer haben meist kein festes Zuhause, sie übernachten auf der Straße oder in kleinen Hütten, die sich in den Pinienwäldern (Viareggio) nahe der Strände befinden. Zu beobachten ist, dass viele Verkäufer noch recht jung sind. Frauen sieht man nur vereinzelt in dieser Männerdomäne.


Fatima, 19, Kamerun, Ware: Schmuck, Kleider

Ziel dieser Fotoserie ist es, für ein wenig mehr Verständnis und Offenheit zu sorgen, ohne dabei zu verallgemeinern oder zu urteilen.

Wer gern Menschen kennenlernt, sei es auch nur für ein paar Minuten, wird überrascht sein, wie interessant die einzelnen Schicksale und Geschichten der Strandverkäufer sind.

Was mir während der fotografischen Arbeit besonders auffiel: Ein Kauf war nach den einzelnen Unterhaltungen nicht mehr zwingend notwendig. Im Gegenteil, viele freuten sich über die Verschnaufpause im „Strand-Verkaufs-Marathon“ und waren dankbar für ein paar Minuten Aufmerksamkeit.


Max, 32. Senegal, Ware: Schmuck, Armbänder

„Ciao, Grazie“ – sind die zwei Worte, die die Strandverkäufer sehr oft zu hören bekommen. Ciao, Grazie – Nein Danke! Auf Wiedersehen.

Ein junger Mann, den ich getroffen habe, ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Sein Name war Max, 32 Jahre alt, aus dem Senegal. Max studiert Spanisch in Italien und verdient seinen Lebensunterhalt als Strandverkäufer. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden.

Wir unterhielten uns über seine Arbeit als Strandverkäufer, seine Familie, sein Land und dass ich dort unbedingt mal hinfahren sollte.

Nach einer Weile erzählte ich Max von meinem Projekt und dass ich gern ein Foto von ihm machen würde. Max willigte sofort ein. Als Max sich wieder seiner Arbeit zuwenden musste, wollte ich ihm aus Höflichkeit eine Kleinigkeit abkaufen.

Max winkte nur ab. Lächelte mich an und verabschiedete sich mit den Worten: „Ciao, Grazie!“

Diese zwei Worte hatten plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Aus Worten der Ablehnung wurden Worte des Dankes für ein paar Minuten Zeit, die ich ihm geschenkt hatte und ohne etwas gekauft zu haben.


Pape, 17, Senegal, Ware: Geldbörsen, Armreifen, Spiele

Pape, 17 Jahre alt aus dem Senegal, war der jüngste Strandverkäufer, den ich kennen gelernt habe. Er ist das erste Jahr als Strandverkäufer in Viareggio tätig und kam wie viele andere vor ihm mit dem Boot über die italienische Insel Lampedusa nach Italien.

Im Gespräch mit ihm wurde mir sehr schnell klar, dass dieser junge Afrikaner alles für eine bessere Zukunft tun würde. Er fragte mich, ob ich ihn nicht mit nach Deutschland nehmen könnte.

In Viareggio gibt es nicht nur den öffentlichen Badestrand, an dem gefälschte Waren verkauft werden, sondern auch einen Strandabschnitt, an dem vor allem junge Nordafrikaner ihren Körper an Touristen verkaufen.

Man kann nur erahnen und gleichzeitig hoffen, wie das Schicksal von Pape in der Zukunft aussehen mag. Die Begegnung mit ihm hat mich jedenfalls etwas traurig gestimmt.


Yassin, 21, Marokko, Ware: Donuts

Yassin, 21 aus Marokko, war das erste Portrait, aber auch das schwerste, das ich am Strand von Viareggio in Italien geschossen habe. Yassin ist Marokkaner und studiert Hydraulik in Italien. Um sich über Wasser zu halten, verkauft er Donuts am Strand.

Es sollte das einzige Portrait eines Marokkaners sein, was ich in dieser Zeit machen durfte. Die Hintergründe dafür sind vielschichtig. Zu diesem Zeitpunkt war das für mich aber noch unklar, es war ja auch das erste Portrait.

Wie ich später erfuhr, hat es nicht nur mit Angst vor der Polizei zu tun, sondern auch religiöse Hintergründe und Aberglaube. Die Marokkaner glauben, dass Fotos und Bilder ihnen den Lebensgeist entziehen. Auch im Islam ist von einem Bildverbot die Rede, das die bildliche Darstellung von Lebewesen untersagt.

Darüber hinaus sind Marokkaner ein sehr stolzes Volk und unterscheiden sich in ihrer Mentalität sehr von den anderen Strandverkäufern.


Razoul, 26, Bangladesh, Ware: Sonnenbrillen

Auf der Fahrt nach Viareggio in Italien hatte ich viel Zeit, darüber nachzudenken, wie ich das Vertrauen dieser Menschen gewinnen könnte und wie im schlimmsten Fall die Reaktionen ausfallen würden. Es gibt viele Gründe, warum ich dort kein einziges oder nur wenige Fotos hätte machen können. Angst vor der Polizei, religiöse Vorstellungen, Misstrauen und anderes.

Zuletzt sollten es dann insgesamt über 30 Begegnungen sein, bei denen 26 Portraits entstanden sind.

Zur Zeit wird die Serie „Ciao, Grazie“ im Rahmen der Sommergalerie in Weimar ausgestellt. Fotos und Infos zur Vernissage gibt es hier.

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