19. August 2011 Lesezeit: ~4 Minuten

Stille… Klack!… Stille

Ein Film, zwölf Bilder. Eine Mittelformatkamera. Kein Model, kein Konzept. Das ist für mich etwas sehr Ungewohntes. Denn eigentlich habe ich meist Menschen vor der Linse, ein Notizbuch in meiner Fototasche, in dem penibel einige Ideen aufgeschrieben oder Skizzen gezeichnet sind, auf die ich mich während eines Shootings stützen kann. Dazu meine digitale Kamera, die mit einer 16GB-Speicherkarte gefüttert ist, die fast 600 Bilder aufzeichnet und die ausgestattet ist mit einem Monitor, auf dem ich jederzeit prüfen kann, ob alles passt.

Die digitale Kamera kommt jetzt auch mit, allerdings nur, um die Belichtung zu messen. Ich lasse mich auf ein Experiment ein, wie schon ein paar Mal zuvor: Ich möchte erst dann den Auslöser drücken, wenn ich mir hundert Prozent sicher bin, dass mich das, was da unwiderruflich auf dem Film landet, zufrieden stellt. Und das, was da auf dem Film landen soll, gehört eigentlich nicht zu meinen bevorzugten Fotomotiven. Denn Naturfotos im weitesten Sinn habe ich so gut wie nie gemacht.

Dass ich mit einer analogen Kamera losziehe, um auf Motivsuche zu gehen, ist eine ganz bewusste Entscheidung. Oft mache ich bei Projekten viele Fotos. Dabei bleibt das Komponieren des einzelnen Fotos und die intensive Beschäftigung mit einem Motiv jedoch manchmal auf der Strecke.

Ich möchte mich selbst ein bisschen zwingen, wieder genauer hinzusehen, über die Lichtsituation nachzudenken, den richtigen Ausschnitt zu finden und bewusst die Kamera einzustellen. Und ich möchte die Umgebung, in der ich mich befinde, intensiver und genauer wahrnehmen. Sachen entdecken, an denen ich vorher auf meiner Spazier- oder Joggingrunde schon 50 Mal vorbeigelaufen bin, ohne sie wirklich zu beachten.

Durch die Weinberge, Felder und den Wald wähle ich fast immer den gleichen Weg, wenn ich laufen gehe. Und genau diesen Weg, den ich mit allem, was sich in Sichtweite befindet,  in- und auswendig zu kennen glaube, schlage ich nun auch wieder ein. Mit Kameratasche und Verpflegung im Gepäck, da ich schon ahne, dass ich wieder die Zeit vergessen und lange unterwegs sein werde.

Was ich besonders genieße, ist die Stille um mich, denn obwohl ich gerade mal einen Katzensprung von daheim entfernt und ganz in der Nähe eines Wiesbadener Vorortes unterwegs bin, begegnen mir fast keine anderen Spaziergänger.

Nicht jedes Motiv, das meine Aufmerksamkeit weckt, landet am Ende auf einem der zwölf Negative, die mir zur Verfügung stehen. Oft schleiche ich minutenlang um etwas herum, probiere zig Perspektiven aus, setze die Kamera an, habe den Finger schon auf dem Auslöser und drücke am Ende doch nicht ab, weil mich noch irgendetwas stört. Manchmal komme ich dann später noch einmal zurück und beginne noch mal von vorn.

Biege hier und da vielleicht einen Grashalm zur Seite, den ich nicht auf dem Bild haben mag, höre nur das Grasrascheln, wenn ich einen Schritt mache. Hole kurz meine digitale Kamera heraus, um die Belichtung zu messen, stelle meine analoge Kamera entsprechend ein.

Nehme den Hauch von Wind wahr, der mich streift, kontrolliere die Schärfe nochmal mit Hilfe der Lupe im Lichtschachtsucher. Warte ab, weil der Wind die Pflanze, die ich fotografieren möchte, aus dem Schärfebereich heraus hin und her wiegt und rieche den frischen Grasduft.

Und ich denke an nichts, das mich vor meinem Spaziergang unruhig gemacht, gehetzt, meinen Kopf belagert hat. Da ist nur die völlige Konzentration auf das Bild, das ich im Sucher sehe… Stille… ein lautes Klack!, wenn ich den Finger auf den Auslöser drücke… und wieder Stille.

Die Stunden draußen allein mit der Kamera fühlen sich an wie ein kleiner Urlaub, eine kleine Auszeit, weil mein Kopf für eine Weile frei von allem ist. Deswegen und auch weil die Ausbeute an Fotos, die mich zufrieden stellen, tatsächlich höher ist, als wenn ich mit der digitalen Kamera unruhiger und hektischer agiere, freue ich mich schon auf die nächsten Tage, die mir die Möglichkeit geben, ohne Termindruck loszuziehen und wieder einmal die Zeit zu vergessen. Besonders im Herbst, wenn die Landschaft das nächste Mal ihr Gesicht komplett verändert.

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