18. August 2011 Lesezeit: ~8 Minuten

Architektur in Langzeit

Dank mehrerer glücklicher Umstände und Ereignisse bin ich 2008 zur Fotografie gekommen. Als ich mein Studium in Frankfurt am Main begann, war ich, wie so viele, von der Skyline der Stadt angetan. Bereits als Kind war ich von hohen Gebäuden und moderner Architektur mit ihrer klaren Linien und Formen fasziniert.

Da ich die Frankfurter Skyline auch mal fotografisch festhalten wollte und auch sonst ein digitaler Fotoapparat von Nöten war, kaufte ich mir 2007 eine Bridge Kamera von Sony, die ich ein paar Monate später leider in der U-Bahn vergessen hatte. Daraufhin habe ich mir quasi als Trotzreaktion meine erste Spiegelreflexkamera von Nikon gekauft. Ab dem Zeitpunkt war ich von der Fotografie begeistert.

10mm | f/11 | 93s | ISO 200 | ND 8x

Nach zahlreichen experimentierfreudigen Ausflügen in die Welt der schlechten HDRs, Blümchen-, Tierwelt und ähnlichem habe ich mich im fließenden Entwicklungsprozess mehr und mehr auf Architektur (innen wie außen) spezialisiert. Landschaft begeistert mich zwar auch, aber als Stadtjunge und Student ohne Auto kommt man nur schwer auf’s Land raus. Ich blieb also meist in der Stadt und versuchte mich an Architektur.

10mm | f/18 | 24s | ISO 200 | ND 1000x

Vor eineinhalb Jahren war ich so fasziniert von Langzeitbelichtungen diverser bekannter Fotografen, dass ich mich entschloss, zwei Graufilter zu kaufen. Einen mit Verlängerungsfaktor 8, um eventuell bei zu starker Sonne auch ein Portrait (im privaten Umfeld) bei Offenblende machen zu können und einen mit Verlängerungsfaktor 1000, um eben Langzeitbelichtungen am Tag produzieren zu können.

Die Spannung und Vorfreude auf die Vorschau der Aufnahme auf dem Display ist ein Grund, weshalb mir Langzeitbelichtungen derzeit so sehr gefallen. Ich mag den Moment, wenn nach mehreren Minuten das Display meiner Nikon D300 aufleuchtet und mir das Ergebnis ihrer Arbeit präsentiert. Deshalb kann ich auch Fotografen verstehen, die analog arbeiten und von Freude und Spannung berichten, wenn sie die Prints abholen oder Filme entwickeln.

10mm | f/22 | 121s | ISO 200 | ND 1000x+8x

Meine ersten Versuche gefielen mir auf Anhieb und dennoch war ich nicht immer glücklich mit dem Ergebnis. Insbesondere wenn tagsüber einfach zu viel Licht vorhanden war und selbst mit geschlossener Blende und dem ND1000x-Filter Belichtungszeiten länger als eine Minute nicht möglich waren. Für Wasser mag es vollkommen ausreichend sein, um es weich aussehen zu lassen, aber bei Wolken braucht man deutlich längere Belichtungszeiten.

Ich überlegte mir deshalb, auf mein Ultraweitwinkel-Objektiv beide Filter übereinander zu schrauben und somit einen Verlängerungsfaktor von 8000 zu erzielen. Meine Skepsis bezüglich der extremen Randabdunklung hat sich glücklicherweise nicht bestätigt, immerhin ragen die Filter zusammen etwa einen Zentimeter vor der Linse. Selbstverständlich gibt es eine starke Randabdunklung, die aber noch relativ gut handhabbar ist.

Mit dieser Kombination konnte ich selbst bei Tageslicht deutlich länger belichten. Ideal bleibt aber dennoch der frühe Morgen oder späte Nachmittag, um auch Belichtungszeiten von bis zu fünf Minuten zu erreichen. Eine noch längere Belichtung brachte zu viele Artefakte mit sich, da der Sensor meiner Kamera einfach zu warm wurde.

10mm | f/18 | 105s | ISO 200 | ND 1000x+8x

Leider ist diese Art der Fotografie sehr stark vom Wetter abhängig. Weder eine geschlossene Wolkendecke noch ein strahlend blauer, wolkenloser Himmel ist dafür geeignet. Ideal sind Haufen(schicht)wolken und relativ starker Wind, der ihnen zusätzliche Geschwindigkeit gibt. Somit hat man genug Strukturen am Himmel, um die durch Langzeitbelichtung entstehende Dynamik deutlich sichtbar zu machen. Ist eine solche Wolkenbildung am Himmel zu beobachten, schnappe ich mir meine Ausrüstung und fahre – sofern ich Zeit habe – in die Stadt. Neben den Graufiltern sind ein Stativ und ein Fernauslöser immer dabei.

10mm | f/20 | 135s | ISO 200 | ND 1000x+8x

Am Objekt suche ich zunächst eine Position, von der aus die Architektur in meinen Augen die größte Dynamik und Spannung bietet. Dabei laufe ich auch mal durch den Sucher schauend durch die Gegend, was für Außenstehende sicherlich lustig anzuschauen ist, aber nur so kann ich die Wirkung des Weitwinkels und die Perspektive am besten beurteilen. Ich beobachte dabei auch die Laufrichtung der Wolken, um diese möglichst interessant ins Bild einfließen zulassen.

14mm | f/29 | 240s | ISO 200 | ND 1000x+8x

Habe ich einen spannenden Punkt gefunden, wird das Stativ aufgebaut und die Kamera ausgerichtet. Als Nächstes stelle ich auf Zeitautomatik, um die Belichtungszeit mit der vorgewählten Blende zu ermitteln. Wichtig ist auch der Fokus, der vor dem Einsatz der Graufilter gesetzt werden muss, denn die Kamera ist danach quasi blind (angeblich sollen manche Canon-Kameras im LiveView-Modus dennoch eine Vorschau anzeigen können).

Ist beides geschehen, stelle ich den Modus auf manuell, die Belichtungszeit auf bulb und der Autofokus wird ausgeschaltet. Die tatsächliche Belichtungszeit wird wie folgt ermittelt. Man multipliziert die „normale“ Belichtungszeit mit dem Verlängerungsfaktor des Graufilters. Praktisches Beispiel: Beträgt die Belichtungszeit 1/10 Sekunde, so ist die tatsächlich einzustellende Belichtungszeit 100 Sekunden, also 1 Minute und 40 Sekunden, vorausgesetzt man verwendet einen ND 1000x.

Nachdem nun die Belichtungszeit am Kabelfernauslöser eingestellt wurde, wird die Belichtung gestartet. Die Wartezeit nutze ich, um zum Beispiel die Menschen zu beobachten, die an mir vorbeilaufen und nach einem kurzen Blick auf die Kamera ihre Köpfe nach oben strecken.

10mm | f/22 | 135s | ISO 200 | ND 1000x+8x

Oft lese ich im Internet, dass bei einigen durch der Einsatz von Graufiltern der automatische Weißabgleich extrem falsch gesetzt wird. Bei Canon Systemen soll er tendenziell zu warm sein. An meiner Nikon ist er meist ein wenig zu kühl. Aber all das ist kein Problem, sofern man in RAW fotografiert und somit den Weißabgleich bequem im RAW-Konverter korrigieren kann.

Das ist auch in meinem EBV-Workflow der erste Schritt. Danach erfolgt meist eine kontrastarme, ja fast schon flaue Entwicklung, sodass möglichst in jedem Bildbereich genügend Zeichnung vorhanden ist. Der Kontrast und die Farben werden später in Photoshop beziehungsweise in den Plug-Ins von Nik Software angepasst.

Da eine Langzeitbelichtung in meinen Augen sehr viel Dynamik in ein Foto bringt, konvertiere ich viele meiner Fotos in schwarzweiß, um die Stimmung nicht zu überladen und auf das Wesentliche zu reduzieren. Das ist aber vom Objekt und der Perspektive abhängig und wird meist im Bearbeitungsprozess im direkten Vergleich mit der Farbversion entschieden.

10mm | f/16 | 255s | ISO 100 | ND 1000x+8x

Für Schwarzweiß-Konvertierung benutze ich das sicherlich vielen bekannte Plug-In Silver Efex. Bevor ich aber das Foto in Silver Efex lade, müssen noch Bildstörungen wie Artefakte, Flecke, Vignette und Bildrauschen beseitigt werden. Ist dies geschehen, wird das Bild mit Hilfe von Silver Efex in Schwarzweiß umgewandelt.

Dabei nutze ich die volle Bandbreite des Plug-Ins aus: Bildbereiche werden selektiv angepasst, Farbempfindlichkeit eingestellt (meist die Blau/Cyan-Töne abgedunkelt, damit die Struktur am Himmel noch deutlicher wird und somit der Kontrast steigt), manchmal eingefärbt und Vignette nochmals angepasst. Viel mehr ist es auch nicht. Dann wird das Foto abgespeichert und zusätzlich für die Webdarstellung vorbereitet.

10mm | f/22 | 90s | ISO 200 | ND 1000x+8x

Ich erhebe mit diesem Artikel keineswegs den Anspruch auf Richtigkeit oder dem idealen Workflow für eine Langzeitbelichtung, sondern wollte Euch nur schildern, wie ich zur Zeit fotografiere und warum mich diese Art der Fotografie begeistert. Ich hoffe, ich konnte auch bei Euch ein wenig die Begeisterung für Langzeitbelichtungen wecken und freue mich auf rege Diskussion beziehungsweise Fragen.

Ähnliche Artikel