03. August 2011 Lesezeit: ~5 Minuten

Eine Liebeserklärung an die Pentacon Six

1076 km mit dem Fahrrad durch 3 Staaten Amerikas, zwei weitere Staaten mit dem öffentlichen Verkehr und 3 unglaubliche Städte. Das erste Mal fliegen und zum ersten Mal außerhalb von Europa. Wir sind staunende Kinder der Berge, mein Cousin Michael und ich und im Rucksack meine geliebte Pentacon Six.

Die Reise begann mit der Idee unsere Verwandte in Tillamook, Oregon zu besuchen. Da Michael und ich nicht Auto fahren können, war schnell klar, dass wir mit dem Fahrrad reisen. Ich bin keine Sportskanone, aber diese Herausforderung packte mich von Anfang an. Über das Gepäck machte ich mir nächtelang Gedanken, es sollte ja möglichst leicht sein und neben dem Wichtigsten fürs Campen möglichst wenig Gewicht aufbringen.

Da Michael seine Digitalknipse mitnehmen wollte, entschied ich mich für die schönste alte Dame die ich damals besaß – meine Pentacon Six. Die Mittelformat Kamera aus der DDR weist zwar immer neue Macken auf, aber an Charme kommt keine an sie heran. Ihr Gewicht und die Tatsache, dass zu dem Zeitpunkt nur noch drei Verschlusszeiten funktionierten, beeinflusste meine Entscheidung nicht. Ich fotografiere anders, meiner Meinung nach sogar besser mit Film; die Art, ein Foto entstehen zu lassen, ist zwar langsamer als mit digital, aber definitiv kein Nachteil.

Wir checkten in Zürich ein, ich war aufgeregt, Juliette Lewis wunderte sich über unsere riesigen Fahrrad-Kartons und trotz all meinen Bedenken landeten wir nach einem langen Tag bei Sonnenuntergang in Seattle. Die Monate vor der Reise waren für mich sehr stressig und ich sehnte mich nach der entschleunigenden Erfahrung, die amerikanische Westküste mit dem Fahrrad zu erkunden.

Die ersten Tage waren ein kleiner Kulturschock für mich: Highways mit unglaublich viel Verkehr machten uns den Start nicht leicht. Aber kaum erreichten wir Oregon und hatten diese wunderschöne rauhe Küstenlandschaft vor uns, konnte ich die Reise in vollen Zügen genießen.

Bei unseren Verwandten in Tillamook fühlten wir uns wie zu Hause. Beim Anblick dieser kleinen Farmerstadt in einer grünen Ebene, mit den zu kurz geratenen Bergen im Hintergrund, konnte ich mir gut vorstellen warum sich vor 100 Jahren ein Teil meiner Familie bei ihrer Suche nach dem Glück in der Ferne hier niederließ. Es sieht fast aus wie in der Schweiz!

Das Fahrrad erwies sich als perfektes Fortbewegungsmittel, nicht zu schnell und nicht zu langsam. Wir genossen die Natur und die Freiheit, uns irgendwo aufzuhalten, wo die großen Pick-Ups keinen Parkplatz fanden. Wunderschöne Sonnenuntergänge am Abend belohnten unsere Strapazen, mit all dem Gepäck einen kleinen Hügel zu bestrampeln, der uns manchmal ewig lang und steil vorkam. Auf den Stadtparks lernten wir immer wieder andere Fahrradfahrer kennen, die mehr oder weniger trainiert Teile der beliebten Kanada-Mexiko-Route zurücklegten.

Am ersten August (Schweizer Nationalfeiertag) überholte uns ein Radler mit Schweizerfähnchen am Velo und eine Kurve weiter wartete er auf uns. So verbrachten wir zu dritt einen gemütlichen Grill-Abend auf dem Statepark, sogar ein Versuch von „Chäsbrätel“ (Käseschnitte) wurde gestartet, aber der schmeckte dann doch nicht wie zu Hause.

In Eureka, Kalifornien, beendeten wir unseren Fahrrad-Trip und fuhren ab da mit Zug und Bus. San Francisco beeindruckte mich sehr, ich habe noch nie so etwas Gegensätzliches erlebt wie diese Stadt. Wunderschön, pulsierend, faszinierend und gleichzeitig mit hässlicher Fratze und einem Hauch von veraltertem Hippiegefühl. Die Lichter der Stadt und die obligate Golden Gate Bridge waren perfekte Motive für mich und meine alte Knipskiste.

In Los Angeles verweilten wir ein par Tage am Santa Monica Beach, ließen uns treiben von dem kreativen zur Schau gestellten Bild dieser Welt die doch tatsächlich genau so aussieht wie in den amerikanischen Filmen. Die letzte Station war Las Vegas und da klemmte dann der Spannhebel meiner Oma.

Also kaufte ich mir eine weitere Einwegkamera um Touristenfotos vom Grand Canyon schießen zu können. In der Stadt selber drückte einzig noch die August-Hitze auf den Auslöser, ich brannte die letzten Stunden in Amerika in meinem Kopf-Album fest. Zuhause angekommen wollte ich die Pentacon schon unsanft in eine Ecke treiben und siehe da, der Spannhebel funktionierte als wäre nichts geschehen.

Im Gepäck nach Hause flogen 9 volle Filme mit je 12 Fotos, eine alte Lochkamera namens Brownie Hawkeye, die ich unterwegs in einem Antiquitätenladen gekauft habe, und zwei analoge Einwegkameras. Wunderbare Erinnerungen an eine unvergessliche Reise. Auf meine nächste Reise werde ich wieder eine Mittelformat mitnehmen, das Verhältnis von guten Fotos und Ausschuss ist meiner Meinung nach genau umgekehrt zu dem des digitalen Fotografierens.

Von 108 Fotos waren ca. 10 unbrauchbar, alle anderen sind für mich perfekt, trotz oder gerade weil sie teilweise unscharf sind, Lichteinfall und Überlappungen haben. Zudem war ich mit einer rein mechanischen Kamera von keiner Steckdose abhängig, ätsch. Michael, deinen Stress mit Adapter, die in dampfenden Campingplatzduschen plötzlich funken sprühten, konnte ich ich mir sparen!

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