02. August 2011 Lesezeit: ~7 Minuten

Der Blick fürs Wesentliche

Ich möchte mit einem Geständnis beginnen: Mein Name ist Jenny und ich fotografiere nur in JPG! „Waaass?“ werden nun einige Leser entsetzt schreien und umgehend auf www.jenny-riedel.de klicken, um zu überprüfen, dass sie mit ihrer Meinung Recht haben – nämlich, dass Fotos im jpg-Format nur minderwertig sein können.

Ein guter Fotograf muss schließlich einfach in Raw fotografieren.
Warum? – Na weil das so ist!

Nun maße ich mir natürlich nicht an, meine Fotos zu beurteilen, das überlasse ich den Betrachtern, aber ich stehe zu meiner Art des Fotografierens und vielen anderen Dingen, die scheinbar oft unvereinbar mit manchen Denkweisen über Fotografie sind.

So wird doch gerne angenommen, dass die Kamera das Foto macht und alles besser wäre, wenn man auf professionelle Modelle, Visagisten, Stylisten, Hiwis, Reflektoren, Blitzanlagen und Top-Locations zurückgreifen könnte. Ich meine nein! All diese Dinge sind nicht essentiell, um Augenblicke festzuhalten, die mir bedeutsam sind.

Das heißt jedoch nicht, dass ich anderen Fotografen ihre Vorgehensweise, ihr Equipment oder ihre Einstellung zu dem Thema madig machen möchte. Sicherlich kann es vieles vereinfachen, mitunter verkompliziert es jedoch auch den Entstehungsprozess.

Nämlich dann, wenn man dem Hiwi Anweisungen geben muss, wie er den Reflektor halten soll und dadurch aus einer Stimmung herausgerissen wird. Dann, wenn zu viele Menschen das Modell betrachten, beeinflussen und vielleicht einschüchtern.

Dann, wenn sich der Make-up-Artist genauer mit dem Gesicht des Gegenübers auseinandersetzt als der Fotograf. Dann, wenn der Umgang mit dem Equipment essentieller wird als der Umgang mit dem Menschen vor der Kamera.

Trotzdem habe ich dafür Verständnis. Eine bestimmte Art von Fotos verlangt wahrscheinlich sogar einen enormen Aufwand – davor, währenddessen sowie danach. Ich erwarte jedoch auch Nachsicht für meine Herangehensweise, für meine Sicht der Dinge bzw. meine Sicht auf die Person.

Vielleicht fotografiere ich irgendwann prinzipiell nur noch in Raw, verlasse das Haus nicht mehr ohne Reflektor, arbeite mit Stylisten zusammen und räume meine Blitzanlage ins Auto, bevor es zum Shooting geht, aber all das möchte ich selbst entscheiden und mir ungern Unwissen vorwerfen lassen, nur weil mir gegenwärtig andere – weniger Dinge – bei der Entstehung von Fotos wichtiger sind, denn ich weiß, was ich will (fotografisch gesehen).

Ich fotografiere intuitiv. Meine ersten Shootings liefen im P-Modus ab. Auch so eine Sache, bei der ich förmlich das Kopfschütteln des Lesers beobachten kann. Dennoch, mir war es immer wichtiger zu sehen und zu beobachten (und zwar den Menschen vor meiner Kamera und nicht das Kameradisplay). Die Technik und das Wissen darum waren mir egal. Ich wollte schlichtweg fotografieren und festhalten: Mimiken, Gesten, Lichtstimmungen, …

Denn was passiert, wenn ich Monitore bestaune und anhand eines briefmarkgroßen Displays ein Bild einschätzen möchte? Ein Moment geht verloren. Vielleicht gerade der Moment, so fragil und intensiv, ein Blick, eine Bewegung, die mich auch noch in 20 Jahren wissen lassen, dass es sich um ein besonderes Foto handelt. Besonders für mich!

Ich möchte nicht behaupten, dass diese Momente, die ich sehe und als schön und festhaltenswert empfinde, auch beim Betrachter etwas auslösen, aber ist das nicht auch unbedeutend? Geht es bei einem Foto nicht erst einmal um die eigene Zufriedenheit?

ICH, und vielleicht bin ich da egoistisch, will ein AHA-Erlebnis, wenn ich meine Fotos betrachte. Wenn sie dann auch noch anderen gefallen, freut das umso mehr, aber zunächst geht es um das Abbild einer Erinnerung, welche mir wichtig ist!

Ich will einen Augenblick einfangen, den ich eventuell nicht einmal bewusst wahrnehme, weil er so schnell an mir vorüber zieht, dass ich ihn nicht ausmachen kann – höchstens vielleicht spüre. Ein Eindruck, bei dem man es manchmal trotzdem schafft, diesen für die Ewigkeit zu konservieren.

Zufallsprodukte und Schnappschüsse – ich stehe diesen Ausdrücken sehr positiv gegenüber und möchte behaupten, dass ein Großteil meiner Bilder in diese „Sparte“ einzuordnen sind. Ich mache mir schließlich zuvor kaum Gedanken über ein Shooting. Ich möchte mich treiben lassen und die Person vor meiner Kamera dazu anregen, dies ebenfalls zu tun.

Wenn das passiert, dann sind da diese Momente. Vielleicht bemerke ich sie erst bei der Durchsicht meiner Bilder, aber auch das „nachträgliche“ Sehen am Rechner gehört für mich zum Fotografieren. Schließlich entscheide ich hier, was im Töpfchen oder Kröpfchen landet.

Und so wünsche ich, mehr Menschen, die fotografieren, würden sich von ihrem Gefühl leiten lassen, anstatt sich Modelposen, Kameraeinstellungen, Brennweiten oder Objektivnamen einzuprägen. Ich will mir bis heute nicht merken, welches Objektiv ich nutze. (Ja, ich weiß, rollt nur mit den Augen.)

Warum das so ist? Weil es mir egal ist! Man merkt sich doch keine Dinge, die einem nicht wichtig sind, oder? Okay, es ein lichtstarkes Zoom und umgehend werde ich an bestimmte Grundsatzdiskussionen mit Portraitfotografen erinnert, die ein klein wenig die Nase rümpfen, weil man in ihrer Fotowelt Portraits einfach mit Festbrennweiten macht.

Und wieder die Frage nach dem Warum.
„Weil das eben so ist!“

Weil vieles so ist und zu sein hat und diese Weisheiten in Foren weitergegeben werden. Aber warum wird so vieles vorausgesetzt und gefordert? Aus welchen Gründen muss man mich bekehren wollen?

Fotografie ist ein kreatives Betätigungsfeld, vielleicht auch ein Handwerk, aber darf sich darin nicht jeder ausprobieren dürfen, eigene Erfahrungen machen, Verhaltensweisen in seinem Tempo ändern oder schlichtweg zufrieden sein?

Ich will schließlich auch niemanden umstimmen, aber ich wünsche mir, dass Portraitfotografen erkennen, dass die Person vor der Kamera das Wichtige ist.
Von ihr lebt ein Foto! Zumindest in meiner Welt.

Vielleicht verpasst ihr durch all die Normen und Zwänge, die scheinbaren Selbstverständlichkeiten, die ich weiter oben aufführte, just den Augenblick, der unvergessen hätte bleiben sollen.

… und wenn wir ehrlich sind, braucht es für ein gutes Foto im Grunde nur eine Kamera und einen Menschen, der sieht, beobachtet, sich auf das davor einlässt und einen Moment festhält, den er als den richtigen erachtet.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger!

Ich brauche nur Tageslicht. Als Modelle reichen mir Menschen, die es zulassen, eine Vertrautheit aufzubauen. Dieses Bündnis muss ich mir vielleicht erarbeiten, aber die Ergebnisse sind es mir wert.

PS: Ja, auch mit Programmautomatik kann man schöne Fotos zustande bringen. Um euch jedoch zu beruhigen: Mittlerweile fotografiere ich manuell. ;-)