31. Juli 2011 Lesezeit: ~9 Minuten

Im Gespräch mit Tom Bittner

Tom Bittners (Twitter) Fotos sind ungewöhnlich gewöhnlich. Aus dem Alltag gegriffen, frisch und direkt kommen sie daher, die Aufnahmen eines Fotografen, den ich persönlich sehr bewundere. Ich konnte es nicht lassen und habe Tom ein paar Fragen gestellt, die mich, und dann hoffentlich auch Euch, ein ganzes Stückchen weitergebracht haben.

Hey Tom. Hast Du Deine Kamera immer dabei?

Nicht immer. Das ist davon abhängig, was ich vorhabe, wenn ich meine Wohnung verlasse. Zum Einkaufen beispielsweise nehme ich nie eine Kamera mit, ebensowenig, wenn ich zur Arbeit fahre. Bin ich jedoch irgendwo verabredet oder gehe ich einfach mal so raus, packe ich meistens eine Kamera mit ein.

Das Problem ist dabei oft, zu entscheiden, welche meiner Kameras ich dann mitnehmen soll. Das variiert je nach Lust und Laune. Mittelformat oder Kleinbild? Einwegkamera oder Spiegelreflex? Meist ist auch das Gewicht oder wie kompakt die Kamera ist entscheidend.

Dann tendierst Du eher zu leichteren Gerätschaften, richtig?

Das kann man so auch nicht sagen. Sicherlich ist eine leichte und kompakte Kamera in der Tasche angenehmer herumzutragen, aber meist ist man damit auch, was das Fotografieren angeht, stark eingeschränkt. Deswegen entscheide ich mich doch öfter für die „schwere“ Canon AE-1, also die Spiegelreflex.

Es gibt auch Tage, an denen renne ich mit mehreren Kameras rum. Vier Kameras oder mehr, weil ich mich dann nicht für eine entscheiden konnte. Aber davon bin ich dann auch oft selbst genervt, sodass das nicht allzu häufig vorkommt.

Kann ich gut verstehen. Was macht für Dich den persönlichen Reiz am Fotografieren aus?

In erster Linie macht es mir einfach Spaß – durch den Sucher zu gucken und abzudrücken. Manchmal auch ohne den Sucher zu benutzen. Ich verstehe Fotografie als etwas Dokumentierendes. Wenn ich fotografiere, dann sehe ich mich als Beobachter.

Ich persönlich finde Konzeptfotografie oftmals uninteressant. Gestellte Fotos sind meistens sehr langweilig in meinen Augen. Der Reiz bei guten Fotos liegt für mich darin, dass sie nicht gestellt sind bzw. sie nicht gestellt aussehen, obwohl sie es eventuell sind. Wenn ich mit meiner Kamera durch die Gegend ziehe, habe ich keine Motive im Kopf. Ich entdecke sie erst. Wenn ich etwas interessant finde, dann drücke ich ab.

Ich denke wenig nach. Eigentlich gar nicht. Kompositionen ergeben sich meist automatisch. Ich achte gar nicht darauf. Vielleicht habe ich einfach ein „gutes Auge“, wer weiß?

Am spannendsten ist es aber, wenn ich dann die vollen Filme von der Entwicklung abhole und erst dann die Ergebnisse sehen kann. Das ist immer wie eine kleine Zeitreise zurück. Denn erst zu diesem Zeitpunkt kann man sehen, was man alles fotografiert hat. Oftmals sind auf dem Film auch noch Fotos enthalten, die bereits einige Zeit früher entstanden sind. Das sind dann immer tolle Überraschungen, mit denen man nicht gerechnet hat.

Für mich sind Fotografien Momentaufnahmen und somit Dokumente dieser Augenblicke. Ich sehe Fotografien als Erinnerungen an und deshalb ist der Prozess des Fotografierens für mich eine Art Dokumentation meines Lebens.

Das klingt spannend, Tom. Welche Fotografen schaust Du Dir privat gern an? Natürlich meine ich deren Fotos, nicht den Fotografen selbst. ;-)

Ui, das ist schwierig, das jetzt so zu verallgemeinern. Ich kenne leider zu wenig Fotografen beim Namen und ihr dazugehöriges fotografisches Schaffen. Ich mag zum Beispiel Terry Richardsons Stil. Also seine Art, schnapsschussartige Fotos zu machen, die zum Teil anstößig, ekelerregend oder witzig sind.

Ich mag skurrile Fotos. In dem Zusammenhang fällt mir auch noch David LaChapelle ein. Ich bin zwar kein ultimativer Fan seiner Arbeit, aber es ist dennoch interessant zu sehen, was er mit Prominenten für abstruse Fotoideen verwirklicht. Ich würde gerne auch einmal eine Ausstellung mit Fotos von Richard Kern besuchen, leider kam ich noch nie dazu. Helmut Newton finde ich großartig, ebenso wie die Portraitreihen seiner Frau, die sie unter dem Pseudonym Alice Springs veröffentlicht hat.

Aktuell ist mir Michael Wolf im Gedächtnis geblieben. Seine Reihe ‚Tokyo Compression‘, in der er Menschen in der Tokyoter U-Bahn fotografiert hat, die wie Sardinen in Dosen in die Züge gepresst waren. Großartig.

Ansonsten schaue ich gerne und oft auf die Fotostreams vieler meiner Flickr-Kontakte. Oft lande ich da zum Beispiel bei Nils, der ja auch kürzlich hier einen Artikel über das Tilt-Shift-Fotografieren geschrieben hat oder bei Rharbarberrabe, Spiegeleule, dreikelvin, realname, Torsten Gadja oder Anna Kamińska, nur um jetzt mal ein paar zu nennen.

Ich könnte jetzt eine Liste mit Flickr-Accounts verfassen, die ich toll finde, aber das würde zu weit führen. Ebenso gibt es einige Lomografen, deren Foto ich klasse finde.

Gibt es Dinge, die Du nicht fotografieren würdest?

Ich mag es nicht, Menschen beim Essen zu fotografieren. Ich weiß zwar nicht genau warum, aber ich finde es nicht gut. Ebenso wenig mag ich Blumen- oder Kitschfotos. Ansonsten würde ich nicht sagen, dass ich irgendetwas nicht fotografieren würde.

Gibt es Orte, an denen Du besonders gern fotografierst oder nimmst Du einfach, „was kommt“?

Meine liebsten Motive finde ich an der Ostsee. Den Strand, die Dünen und die sogenannten Windflüchter, also die Bäume hinter den Dünen, die krumm gewachsen sind aufgrund des Windes, der von der Seeseite her kommt. Ich mag die natürliche Schönheit dieser Szenerien. Ansonsten nehme ich gerne, „was kommt“.

Wenn ich mit Freunden unterwegs bin, sind sie oft auch Motiv beziehungsweise Teil des Motivs in der Situation. Manchmal fotografiere ich auch gerne auf Konzerten, meist auf kleineren, aber das ist auch oft abhängig von der Lichtsituation. Im Grunde habe ich jedoch keine festen Orte, an denen ich besonders gerne fotografiere. Egal, wo ich mich gerade befinde wird fotografiert, wenn es etwas Interessantes gibt.

Dann gehen wir mal eine Ebene tiefer, Tom. Wie entscheidest Du, was „interessant“ ist? Rein aus dem Bauch heraus? Oder fotografierst Du auch mal so ins Blaue hinein? Ich weiß, das ist keine leichte Frage, aber ich finde sie sehr interessant. Gerade bei Deinen Fotos.

Also meist mache ich es wirklich aus dem Bauch heraus. Ich bleibe stehen, schaue mich um, entdecke irgendetwas und drücke ab. Oft schaue ich durch den Sucher und finde so mein Motiv und Bildausschnitt. Ob ein Foto am Ende dann auch wirklich interessant ist, sehe ich erst nach der Entwicklung.

Es kommt auch vor, dass sich vermeintlich interessante Motive auf dem Abzug dann als eher uninteressant herausstellen, aber das ist eben das Spannende, wenn man analog fotografiert – nicht gleich wissen zu können, wie es aussieht.

Da ich ja eher beobachtend fotografiere, sind meine Fotos in der Regel nie geplant und somit unberechenbar. Darin liegt für mich der Reiz, auf diese Art und Weise zu fotografieren. Das heißt nicht, dass ich nicht auch gerne Fotos schieße, die ich mir vorher überlege.

Am schönsten ist es, wenn diese Fotos dann auch wirklich so werden wie vorgestellt, aber das ist selten der Fall, was jedoch keineswegs schlimm ist. Meistens finde ich sie sogar noch besser. So ist das mit dem Zufall. Wäre ja langweilig, wenn immer alles so wird wie geplant. Ich arbeite ja für niemanden, also habe ich auch keinen konkreten Anspruch an ein Foto.

Klassischen Schnappschüssen oder Schüssen aus der Hüfte bin ich ebenfalls nicht abgeneigt. Man hat dabei zwar oft viel Ausschuss, aber meist auch die überraschendsten Ergebnisse. Und ich überrasche mich gern selbst. ;)


Letzte Frage: Welchen Film hast Du als letztes (im Kino, zu Hause) gesehen und würdest Du ihn empfehlen?

Der letzte Film, den ich im Kino gesehen habe war „Pina“. Eine Hommage an das Wirken der großartigen Choreografin und Tänzerin Pina Bausch von Wim Wenders. Der Film ist in 3D, was für mich eine neue Erfahrung war, Film so zu sehen. Mich hat es sehr überzeugt, gerade weil es in diesem Film nicht um Effekthascherei geht wie in anderen Actionfilmen in 3D.

Dieser Film erzählt nicht das Leben von Pina, sondern ihre Tänzer tanzen ihre Choreografien für sie an interessanten Locations. Dazu erzählt jeder noch eine kleine Anekdote aus der Zusammenarbeit mit ihr. Man findet wenig Archivaufnahmen von Pina Bausch in diesem Film, niemand erzählt „Pina war so und so…“, sondern alles, was gesagt werden muss, wird durch das Tanzen ausgedrückt.

Für mich ein sehr spannender Film, da ich bisher mit Tanzen nicht so direkt in Berührung gekommen bin und die neuen Möglichkeiten der 3D-Technik sind wie geschaffen für einen solchen Tanzfilm. Kann ich sehr empfehlen.

Danke, Tom!

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