17. Juli 2011 Lesezeit: ~13 Minuten

Im Interview: Guido Steenkamp

Hallo Guido. Damit die Leser wissen, wer Du bist und was es mit Dir und der Straßenfotografie so auf sich hat: Stell Dich doch mal vor.

Mein Name ist Guido Steenkamp, ich bin 38 Jahre alt und lebe seit 14 Jahren in Berlin. Ich fotografiere seit meinem 18. Lebensjahr mehr oder weniger regelmäßig. Anfangs die üblichen Bilder von Katzen und Freunden, dann die obligatorische HDR-Phase mit Bildern von düsteren Friedhöfen und maroden Gemäuern.

Seit 2006 fotografiere ich fast ausschließlich Menschen und Situationen auf der Straße, arbeite also in dem Bereich, der sich gemeinhin „Street Photography“ nennt. 2008 habe ich mich mit knapp zehn Fotografen aus Deutschland und Österreich zusammen getan, die einen ähnlichen Schwerpunkt haben. Wir haben hierzu die Fotografen-Kooperative Seconds2Real gegründet und arbeiten seitdem gemeinsam an Ausstellungen, Workshops und Publikationen.

Das klingt sehr, sehr spannend. Gleich zu Beginn die Frage, die in Deutschland besonders präsent ist: Wie geht Ihr mit der rechtlichen Lage um?

Die Frage nach dem „Recht am eigenen Bild“ ist in der Street Photography tatsächlich ein Dauerbrenner, übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch bei den Kollegen in Österreich.

Ich möchte hier nicht in aller Tiefe auf die rechtlichen Details eingehen, letztlich ist die aktuelle Gesetzeslage aber auch so recht überschaubar: Man kann im öffentlichen Raum fotografieren, was man möchte, die Probleme beginnen erst bei der Publikation der so entstandenen Bilder. Letzteres ist nur dann erlaubt, wenn die abgebildeten Personen der Veröffentlichung zustimmen.

Mir persönlich ist jedoch kein (Street-)Fotograf bekannt, der sich vor oder nach einer Aufnahme ein schriftliches OK geben ließe. Street-Aufnahmen entstehen in der Regel spontan, in mehr oder weniger zufälligen Momenten. Wie man sich gut vorstellen kann, verträgt sich das nicht unbedingt mit dem vorherigen Abzeichnen einer Freigabeerklärung. Das heißt für uns, dass wir das, was wir am liebsten tun, so eigentlich nicht tun dürften. Zumindest dann nicht, wenn Personen auf den Bildern zu erkennen sind.


Foto: Elisabeth Schuh

Wir haben dieses Thema einige Male bei Seconds2Real diskutiert. Allgemeiner Konsens ist, dass wir trotzdem fotografieren und unsere Bilder weiterhin im Internet oder bei Ausstellungen zeigen. Im Falle einer Beschwerde würde sicherlich jeder von uns eine gütliche Einigung mit der entsprechenden Person anstreben. Aber klar, im schlimmsten Fall muss man halt die rechtlichen Konsequenzen in Kauf nehmen. Entweder das oder man lässt es einfach und fotografiert statt dessen Blüten oder Insekten.

Nun ja, da gibt es sicher auch einen Mittelweg – würde ich aus eigener Erfahrung mal behaupten. Menschen kann man ja auch so fotografieren, so dass sie nicht erkannt werden. Wie lange fotografiert Ihr schon auf der Straße und gab es bisher schonmal ernsthafte Probleme?

Zu deiner ersten Frage: Nein, das halte ich nicht für praktikabel, zumindest nicht in der Street Photography. Eine Aufnahme nach dem Muster „schöne Situation, jetzt muss der Typ sich nur noch umdrehen“ kann ich mir nicht vorstellen. Sicherlich gibt es aber auch sehr gute Street-Aufnahmen, die „rechtlich unbedenklich“ sind. Zwei Beispiele hierzu:


Foto: Andreas Stelter


Foto: Siegfried Hansen

Andreas und Siegfried haben bei diesen Aufnahmen bestimmt nicht an rechtliche Aspekte gedacht. Sie haben einfach das fotografiert, was sie in diesen Momenten als interessant empfanden. Ich denke allerdings, dass die allermeisten guten Street-Fotografien gerade deswegen interessant sind, weil sie menschliche Stimmungen abbilden, sei es durch einen Gesichtsausdruck oder durch einen Blickkontakt. Unabhängig davon ist es aber auch fast unmöglich, in der Stadt zu fotografieren, ohne einen Passanten erkennbar abzulichten. Irgend jemand schaut halt immer in die Kamera.

Zu deiner zweiten Frage, seit wann wir schon auf der Straße fotografieren und ob es hier schon mal Probleme gab: Das ist recht unterschiedlich, einige von uns fotografieren erst seit 2-3 Jahren auf der Straße, andere seit mehr als 10 Jahren. In der Regel haben wir beim Fotografieren keine Probleme. In den meisten Fällen bleibt man unbemerkt oder es ist den Leuten schlichtweg egal. In ganz seltenen Fällen gibt es sogar freundliche Reaktionen. Wenn man sich halbwegs gesittet und ruhig verhält, niemandem mit dem Tele auf den Leib rückt und ein paar einfache Regeln beachtet, dann bleibt Street Photography überschaubar riskant.


Foto: Heiko Menze

Probleme kann es natürlich trotzdem geben. Ich weiß z.B. von Kay von Aspern, dass er einmal eine wutentbrannte Mutter beruhigen musste, weil diese bemerkt hatte, dass er gerade ihr Kind fotografiert. Mütter sehen in solchen Situationen verständlicherweise eher den Pädophilen als den Street-Fotografen auf Motivsuche. Kay hat der Mutter seinen Personalausweis gezeigt, auf seine Website verwiesen und erklärt, was er macht. Das Ganze hat sich dann recht schnell entspannt. Weniger Glück hatte Friedrich Schiller in Wien. Er wurde dort von einer älteren Dame angegriffen. Sie dachte, er habe heimlich ein Foto von ihr gemacht, hatte er aber nicht.

Was findet Ihr, ist das Entscheidende beim Fotografieren auf der Straße? Habt Ihr da so etwas wie einen gemeinsamen Nenner, bei dem Ihr Euch alle einige seid, oder ist da jeder anderer Meinung?

Dazu habe ich mir bisher noch keine Gedanken gemacht. Ich habe deshalb die Frage im internen Seconds2Real-Forum gestellt und von dort sehr unterschiedliche Rückmeldungen erhalten.

Zunächst sind wir uns einig, dass die technischen Aspekte des Fotografierens bei der Street Photography sicherlich nicht entscheidend sind. Wir nutzen relativ einfache Technik und wenden fotografisches Basiswissen an, das eigentlich jeder hat, der sich abseits von „Gesichtserkennung“ und „Smiler Shutter“ ernsthaft mit Fotografie beschäftigt.

Bleiben also die Fragen, warum wir auf der Straße fotografieren bzw. nach welcher Art von Motiven wir dort Ausschau halten. Hier gibt es zum Teil sehr unterschiedliche Ansichten.


Foto: Christian Reister

Ein guter Teil der Seconds2Real-Fotografen fasst die Motivation beim Fotografieren auf der Straße mit der Suche nach dem „entscheidenem Moment“ à la Bresson zusammen. Also mit der Suche nach den kleinen, einzigartigen Momenten im Alltäglichen, die eine ganze Geschichte erzählen können. Andere Seconds2Real-Fotografen, mich eingeschlossen, fotografieren einfach, was ihnen draußen auf der Straße auffällt. Letzteres gegebenenfalls noch erweitert um den Anspruch, auch ein kleines bisschen das Leben vor der eigenen Haustür zu dokumentieren und damit ein Dokument der Zeit zu erschaffen. Vielleicht kann man die beiden Ansätze am besten mit „Jagen“ und „Sammeln“ erklären.

… was auch Sinn macht. Trotzdem eine Frage nach der Technik: Mit welchen „Werkzeugen“ arbeitet Ihr? Habt Ihr passionierte Leicafotografen oder ist das „top secret“….

Das ist weder geheim noch besonders aufregend. 3-4 von uns fotografieren tatsächlich mit Leica-M-Kameras. Die meisten haben aber mehrere Kameras und wechseln häufig, abhängig davon, ob sie gerade analog oder digital fotografieren wollen. Ich selbst fotografiere entweder mit Leica M6 oder Nikon D700/D7000, je nach Tageslaune.

Gefühlt haben aber in letzter Zeit die Digitalkameras die Oberhand gewonnen. Das sind in der Regel normale DSLRs, meistens mit Festbrennweiten zwischen 24-50mm oder aber schnöde Micro-Four-Thirds-Kameras. Das Thema Technik ist in der Street Photography stark überwertet. Grundsätzlich kommt man aber sicherlich am besten mit nicht zu großen Kameras klar, die sich schnell und ohne großes Theater bedienen lassen.


Foto: Natalie Opocensky

Kann ich bestätigen. Themawechsel: Wie spürt Ihr den Einfluss neuer Medien wie dem Social Web auf die Straßenfotografie?

Auf die Straßenfotografie selbst sicherlich weniger, es hilft einem aber, auf dem Laufenden zu bleiben. Ich habe eine ganze Reihe von Kontakten nach England. Dort hat sich mit verschiedenen Publikationen und Festivals viel im Bereich Street Photography getan, es war spannend, das zu verfolgen. Bei Seconds2Real selbst haben wir früh angefangen, Facebook und Twitter zu nutzen. Hauptsächlich zur Promotion und zur Organisation von Veranstaltungen. Wir haben heute bei Facebook ca. 600 „Freunde“.

Das hört sich gut an, krankt aber daran, dass man unterm Strich wenig davon hat. Meistens kennt man diese Leute eh schon von anderen Online-Plattformen. Wirklich nennenswerte Rückmeldungen haben wir bisher immer nur dann erhalten, wenn wir unsere Fotografien in Magazinen oder auf populären Webseiten präsentieren konnten.

Wenn nun einer unserer Leser ambitionierter Straßenfotograf ist: Was müsste er tun, um in Euer Kollektiv aufgenommen zu werden?

Aktuell sind wir nicht auf der Suche nach neuen Mitgliedern. Wir legen viel Wert auf den persönlichen Kontakt und arbeiten sehr eng zusammen. Die Kommunikation in einer so weit verstreuten Organisation funktioniert nur dann, wenn wir eine bestimmte Größe nicht überschreiten. Neben den fotografischen Qualitäten ist deshalb vor allem wichtig, dass wir gut miteinander klar kommen. Das heißt, dass man sich auf den Anderen verlassen kann, wenn Arbeiten zu machen sind, aber auch, dass wir untereinander streiten können, ohne dass gleich jemand heult.


Foto: Guido Steenkamp

Wir haben im letzten Jahr zwei neue Mitglieder aufgenommen, Christian Reister und Mario Cuic. Beide kannten wir schon einige Zeit persönlich, haben uns mehrfach mit ihnen getroffen und anschließend in der Gruppe über die Einladungen abgestimmt. Mit diesem Verfahren sind wir aktuell sehr glücklich. In den ersten Jahren waren wir leider deutlich wahlloser bei der Aufnahme neuer Mitglieder. Es hat uns einige Mühe und Überwindung gekostet, die Leute, die das Ganze mit der FC verwechselt hatten, wieder „auszuladen“. Unabhängig davon freuen wir uns aber immer, Gleichgesinnte kennen zu lernen, sei es beim Bier oder auf einer gemeinsamen Fototour.

Werden solche Fototouren öffentlich bekanntgegeben und durchgeführt?

Nein, das ergibt sich eher spontan. Hängt sicherlich auch vom Ort ab, wir sind ja über Berlin, Hamburg, München, Minden und Wien verteilt. Bei Interesse einfach mal über unsere Website oder Facebook anfragen, da geht sicherlich was. Wir haben in diesem Jahr auch schon zwei Street Photography Workshops (in Hamburg und Berlin) abgehalten. Beide Veranstaltungen waren sehr gut besucht. Wir planen, so etwas in der Zukunft öfter zu machen und kündigen die Termine dann im Web an.

Im Oktober wird es darüber hinaus auch eine große Seconds2Real-Ausstellung mit Rahmenprogramm in Berlin geben. Das ist sicherlich auch eine gute Gelegenheit zum Schnuppern.

Wie stehst Du zum – ich sags mal frech – Rudelfotografieren im Zusammenspiel mit Straßenfotos? Ich kann maximal mit 2 weiteren Leuten fotografieren, größere Gruppen stehen sich da meiner Meinung nach sehr schnell im Weg rum (wenn sie überhaupt fotografieren).

Nein, das geht gar nicht. Entweder steht man sich gegenseitig im Bild oder hat jedes Motiv doppelt und dreifach. Unabhängig davon ist eine Horde von Fotografen auch nur mäßig unauffällig. Man kann das mal für einen Workshop machen, ansonsten fährt man aber besser, wenn man alleine unterwegs sind. Schlimmer als Rudelknipsen ist es eigentlich nur, in der Begleitung der nicht fotografierenden Frau/Freundin unterwegs zu sein. Man erntet wenig Verständnis dafür, eine Viertelstunde an einer Ecke stehen bleiben zu wollen, nur weil das Licht gerade so großartig ist.


Foto: Guido Steenkamp

… was ich auf der anderen Seite auch wieder verstehen kann, wenn die Frau/Freundin da keine Lust drauf hat. Sag mal – hast Du zum Abschluss ein paar praktische Tipps für junge Einsteiger, die frisch in die Straßenfotografie schnuppern und so gar keine Ahnung haben, wie sie starten sollen?

Ich habe zwar keine Patentrezepte, fasse aber gerne zusammen, was bei mir funktioniert hat:

– Ein guter Einstieg ist sicherlich der Besuch von Großveranstaltungen oder von Plätzen, an denen Touristen unterwegs sind. Hier trifft man zum einen viele Menschen und zum anderen fällt man mit Kamera nicht weiter auf, da sowieso alle irgendwas knipsen.

– Generell ist es gut zu wissen, an welchen Locations zu welcher Zeit besonders viel „los“ ist, sprich wann dort viele Menschen unterwegs sind und im Idealfall auch das Licht stimmt.

– Am Besten macht sich ein leichtes Weitwinkel, im Idealfall eine Festbrennweite um die 35mm herum. Zweit- oder Drittobjektive braucht man nicht, es bleibt eh keine Zeit zum Wechseln und falls doch, dann ist sowieso immer gerade das falsche Objektiv drauf. Ich nehme normalerweise nur eine Kamera mit einem Objektiv mit. Ersatzakku und Speicherkarte/Filme habe ich in der Hosentasche, eine Fototasche braucht man also auch nicht.


Foto: Kay von Aspern

– Es kostet ein wenig Übung und viel Überwindung, vollkommen fremde Menschen aus sehr kurzer Distanz zu fotografieren. Letztlich ist das aber sehr einfach. Bei einem Foto aus 2m Entfernung mit Weitwinkel gehen die meisten Menschen davon aus, dass man etwas hinter ihnen fotografiert. Ein Foto aus 10m Entfernung hingegen, womöglich mit mächtigem Tele-Zoom, erzeugt deutlich mehr Argwohn, da fühlt sich der Gegenüber schnell „abgeschossen“.

– Straßenfotografie bedeutet, dass man viel draussen ist und dabei in der Regel auch einige Kilometer zurücklegt. Viel wichtiger als die bestmögliche Kamera ist deshalb vor allem gutes Schuhwerk.

– Eine sehr gute Zusammenfassung von Street Photography Tips findet sich auf dem 2POINT8 Blog, einfach mal reinschauen.

Vielen Dank, Guido!

Ähnliche Artikel