12. Juli 2011 Lesezeit: ~8 Minuten

Wurzeln und Wege

Für das gemeinnützige Projekt ROOTS & ROUTES programmiere ich nicht nur, sondern dokumentiere die Workshops auch fotografisch, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Von der Jagd nach ausdrucksstarken Bildern in kurzer Zeit und technischen Grenzen möchte ich Euch hier erzählen.

ROOTS & ROUTES ist ein internationales Netzwerk, das seit sechs Jahren in inzwischen dreizehn europäischen Ländern kreative Jugendliche und junge Erwachsene fördert. Dies geschieht in Form von Workshops: Vom Wochenende für junge Interessierte im lokalen Jugendclub bis zur mehrwöchigen Intensiv-Erarbeitung einer multimedialen Show für eine Festivalbühne durch erfahrene Künstler ist alles dabei.

Im Mittelpunkt stehen nicht nur die kreativen Energien, die die Teilnehmer einbringen und aus den Veranstaltungen mitnehmen, sondern auch ihre unterschiedlichen Wurzeln. Sie kommen nicht nur aus ganz verschiedenen Ländern zusammen; viele von ihnen haben auch ihre persönliche Migrationsgeschichte, die die gemeinsame Arbeit zu einer besonders multikulturellen Erfahrung macht.

Ein Ziel meiner fotografischen Arbeit ist es also, die bunten Einflüsse, die bei den Workshops an einem Ort zusammenkommen, auch abzubilden. Ob ich das mit Farben, Bewegungen im Bild, sichtbarer Kommunikation zwischen Menschen oder eingefangenen Gefühlen in den Blicken schaffe, muss ich immer wieder neu und zum Teil blitzschnell entscheiden.

Ende Mai war’s mal wieder soweit: In der Landesmusikakademie NRW im beschaulichen Heek hatte sich ROOTS & ROUTES mit 50 jungen Künstlern aus neun europäischen Ländern zur R&R Experience 2011 einquartiert. Im Vorfeld hatten die Teilnehmer in ihren Heimatländern jeweils schon Ideen für Songs, Tänze und Medieninstallationen zum Thema „Zeit“ erarbeitet, unter dem die Show Jam Karet – Life Times stehen sollte.

In knapp einer Woche war es nun ihre Aufgabe, aus diesen Ideen und dem vor Ort anwesenden künstlerischen Potential eine einstündige Bühnenshow zu erarbeiten, die verschiedene Facetten des Themas behandeln und einfach atemberaubend werden sollte. Soviel zum Ziel.

Vorher muss man sich aber erst einmal kennen lernen. Das passiert mit allseits bekannten Eisbrechern zum Einprägen der Namen oder kleinen Spielen, bei denen man der Gruppe etwas Persönliches von sich preisgibt. Hierbei sind alle hellwach und bewegen sich viel, sodass insbesondere Bilder möglich sind, die größere Gruppen mit lachenden Gesichtern und lustigen Bewegungen zeigen.

Ich finde es besonders beeindruckend, dass die mitgebrachte Kreativität schier explodiert, wenn man für einen kurzen Zeitraum viele junge Leute zusammensteckt. Die Ideen und künstlerischen Fähigkeiten der einzelnen Teilnehmer ergänzen sich immerwährend zu etwas Neuem. Konzepte entstehen, werden verworfen oder wieder neu aufgezäumt.

Es wäre spannend, diesen Prozess der Ideenentwicklung genau zu dokumentieren, aber in dieser Woche war meine Aufgabe nicht so allumfassend. Es sollten Bilder entstehen, die einzelne Einblicke in die Arbeit geben und die Talente in Aktion zeigen. Mit Hingabe, geistigem und körperlichem Einsatz, mit Konzentration und Spaß.

Also habe ich jeden Tag für ein paar Stunden die Gruppen besucht, die sich auf viele Räume für Ideenfindung und Proben verteilt hatten. Die meisten Tänzer und Musiker ließen sich durch mich nicht bei ihrer Arbeit stören. Wenn während einer Probe Details verändert oder die Reihenfolge der Einzelteile geändert wird, muss man mit seiner Aufmerksamkeit schon ganz dabei sein.

So konnte ich ungestört einige Zeit als Beobachter verweilen, verschiedene Perspektiven ausprobieren und versuchen, ein gutes Bild bei der nächsten Wiederholung zu erwischen. Hier ist fast alles Glückssache, da ich bis dahin weder die Eigenarten der Menschen, noch den Ablauf der Choreografien kannte. Ich habe also oft die Kamera bereit gehalten und versucht, die Möglichkeit eines interessanten Moments ein oder zwei Sekunden vorauszuahnen.

Eher schwer zu dokumentieren war die Arbeit der Medientalente. Die meiste Zeit bestand ihre natürliche Umgebung aus einem abgedunkelten Raum, in dem sie vor ihren Laptops saßen, um Video-, Foto- und Grafikschnipsel zu arrangieren. Ab und zu trauten sie sich auch raus, um Rohmaterial aufzuzeichnen.

Leider habe ich es diesmal versäumt, mir von ihnen bescheid geben zu lassen, wenn sie Material sammeln gingen. Daher habe ich davon keine Bilder, z.B. von der Akrobatin, die im Baum turnend gefilmt wird. Darüber habe ich mich ziemlich geärgert und mir vorgenommen, gerade das beim nächsten Mal besser zu organisieren.

Alle gemeinsam hatte ich dann wieder bei den großen Proben vor der Linse, bei denen alle Einzelteile zusammengeführt wurden. Dieser Punkt im Verlauf eines Workshops ist immer besonders spannend, weil die Übergänge noch nicht funktionieren, bei vielen Details Unsicherheit herrscht und untereinander Zeichen besprochen werden, die man sich einprägen muss.

In zwei weiteren Tagen voller Proben festigt sich dann doch eine Show, in der jeder weiß, wann was zu tun ist. Abschließend wurde auch im Theater Arkadaş in Köln geprobt, wo die Show im Rahmen des Kulturfestivals sommerblut aufgeführt wurde. So ein Ort bietet fotografisch interessantere schwarze Hintergründe, buntes Licht und Videos auf der Leinwand.

Dabei war mir schon vorher klar, dass ich insbesondere für Tanzaufnahmen mit einer Festbrennweite nicht so gut aufgestellt bin, weil es kaum möglich ist, schnell genug herumzulaufen und immer einen passenden Bildausschnitt zu wählen, während sich die Konstellationen auf der Bühne rasend schnell verändern. Mit dem Kit-Zoom-Objektiv der 400D war das früher ein Klacks.

Dazu kam, dass in den Innenräumen oft nur gedämpftes Licht herrschte. Mit dem guten Rauschverhalten der 5D Mark II und der Offenblende 1.4 meines 50mm-Objektives konnte ich das aber ausgleichen und noch dazu bei Beleichtungszeiten bleiben, die aus der Hand möglich sind. Nur der Auto-Fokus hatte manchmal Probleme in der Dunkelheit.

Ich habe auch durchgehend auf Blende 1.4 gesetzt, um das Schärfespiel zum Aufbau von Spannung zu benutzen. Dabei nehme ich zwar in Kauf, potentiell gute Bilder an eine Fehlfokussierung zu verlieren, im Nachhinein war ich aber überrascht vom geringen Ausschuss. Ist Bewegung und grellbuntes Bühnenlicht im Spiel, fällt eine leichte Unschärfe aber auch kaum auf.

Es gab nicht nur technische Herausforderungen: Schnell häuften sich Bilder von den immer gleichen Teilnehmern. Ich habe gelernt, dass ich zukünftig noch mehr darauf achten muss, nicht nur die Menschen zu fotografieren, die bei der Arbeit besonders leidenschaftlich aussehen oder insgesamt fotogen sind. Dokumentation heißt auch, im besten Fall alle einmal abzubilden.

Da ich neben der Fotodokumentation noch andere Aufgaben hatte, habe ich bei der Nachbearbeitung Zeit gespart, indem ich (entgegen meiner sonstigen Gewohnheit) ein Farb-Rezept auf alle Bilder angewandt habe: Ich habe den Kontrast erhöht, die Sättigung verringert und die Tiefen blau eingefärbt. Nur die Belichtung und Farbtemperatur habe ich bei jedem Bild entsprechend dem Licht korrigiert.

Das bereits erwähnte Festbrennweiten-Handicap konnte ich in der Nachbearbeitung auch ein wenig ausgleichen: Ich habe versucht, im Zweifelsfall meine Bildausschnitte nicht ganz so perfektionistisch durchzukomponieren – bei der Schnelligkeit der Künstler oft auch gar nicht möglich – sondern lieber etwas mehr Raum aufzunehmen.

Auch für mein eigenes leibliches Wohl war ein größerer Abstand zu herumwirbelnden Breakdancern eine gute Sache. Die großzügigen 21 Megapixel der 5D Mark II ließen mir dann genug Spielraum, um in der Nachbearbeitung bei Bedarf ordentlich was zuzuschneiden und kippende Linien auszugleichen.

Die Dokumentation des Auftritts selbst habe ich dann einem Teilnehmer mit Zoom-Objektiv überlassen, denn vor über einhundert zahlenden Zuschauern wollte ich nicht die Sicht auf die Bühne versperren. Außerdem hatte sich die Möglichkeit ergeben, bei der Videodokumentation der Show mitzuhelfen. Eine Videokamera ist mir zwar noch ganz schön fremd, aber neugierig war ich natürlich…

Jam Karet – Life Times entstand im Rahmen der Projekte ROOTS & ROUTES Festivals – mit Förderung des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) – und The ROOTS & ROUTES Experience 2011 – mit Förderung des EU-Programms JUGEND IN AKTION.

Noch mehr Fotos seht Ihr hier.

Wer jetzt neugierig ist, wie die fertige Show aussieht, kann hier den Anfang anschauen…

und sich danach gern auch alle anderen Teile ansehen.

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