kwerfeldein
09. Juli 2011 Lesezeit: ~4 Minuten

Dramatik vs. Alltag

Sind wir in manchen Bereichen der Fotografie auf dem Holzweg? Wohin bewegt sich der allgemeine Trend der Fotografierenden – und: kann es sein, dass wir eine Neubesinnung brauchen?

Das – und viele weitere Fragen möchte ich in den kommendenen Leseminuten erörten. Seit ein paar Wochen schwirren mir tausende kleine Partikel durch den Kopf, die zusammenhängend – schwebend – fließend – klirrend aufeinanderprallen und mich dazu gebracht haben, diesen Artikel zu schreiben.

Diese Fragen schließen mich mit ein. Mein Tun, mein „fotografisches Denken“, meine Arbeit als Hochzeitsfotograf und als jemand, der jeden Tag auf der Straße den Auslöser betätigt. Mit der DSLR, dem iPhone oder irgeneiner Analogen, die ich mir auf dem Flomarkt ergattert habe. Das Medium ist zweitrangig, die Fragen nicht.

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Kommen wir zum Punkt: Wenn ich mir so das Treiben auf diversen Foto-Communities (uns mit eingeschlossen) ansehe, Foren durchstöbere und tagtäglich in Kontakt mit jungen und älteren Fotografen bin, fällt mir eine Sache unweigerlich auf.

Ich sehe eine Sehnsucht, krassere Fotos zu machen. Dramatischere, heftigere, derbere, dynamischere, auffälligere, buntere, unübersehbare Fotos. Noch mehr HDR, noch mehr Blitzeinsatz, noch mehr Sonnenuntergangsrot, noch mehr Kitsch, noch pornöser, noch mehr Kontrast, noch mehr Verträumtes, noch ältere Farben, noch mehr von einer selbstgebastelten, scheinbar „perfekten“ Version dieser Welt.

Es scheint mir so, als ob uns die Masse an Fotos im Netz so überreizt und zugemüllt hat, dass wir – wenn wir unsere Fotos ansehen, sie als mikrig bewerten und glauben, diese müssten doch in dem Berg Fotos irgendwie herausstechen. Und dann tun wir manchmal eins: Wir starten den Versuch, um jeden Preis aufzufallen.

Also klatschen wir tausende Ebenen auf unsere Fotos, blitzen wie die Verrückten noch mehr auf die ohnehin schon zugeschminkten Modelle oder nehmen unseren Landschaftsfotos mit einer 10-fach-Belichtung und daraus geschustertem HDR das letzte Restchen Seele, das vielleicht mal darin war. Sättigung bis zum Anschlag. Wenn Farbe, dann muss es knallen!

Wir reißen unsere Blenden bis zum Unendlichen auf und drücken den Fotos noch einen Filter auf und ziehen die Kontraste soweit an, bis vom eigentlichen Foto nichts mehr übrig. Farbe? Langweilig. Ihr seht, ich hinterfrage hier auch meine Arbeit.

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Klar. Das Thema ist komplexer, als ich es hier so gebündelt und vereinfacht darstelle. Und trotzdem mache ich mir ein wenig – „Sorgen“ ist übertrieben – Gedanken, wohin das alles führt.

Ist die Fotografie in ihrer Sehnsucht nach Kunst vielleicht in der „Künstlichkeit“ verfangen? Haben wir uns evtl. in eine Traumwelt geflüchtet, in der alles Alltägliche, Triviale, Normale furzlangweilig wirkt und uns zum Gähnen bringt?

Warum sind Aufnahmen des ganz normalen Alltages so selten geworden? Warum sind die Fotos auf Explore und „Popular“ von 500px als auch Deviantart alle so aufgeputscht, zu Ende gephotoshoppt und warum ist da teilweise kein einziges Foto mehr, an dem nur die Gradation justiert wurde, nageschärft und gut ist?

Ist die Kamera nur noch der Zwischenhändler zwischen Realtiät und einer Traumwelt, die so nur in unseren Bildern existiert und uns beim Betrachten des Normalen wieder zurückwirft und enttäuscht?

Oder warum dokumentieren wir nicht mehr einfach nur, um uns in 30 Jahren darüber zu freuen, „wie das damals so war“? Wie wir ausgesehen haben? Uns angezogen? Wo bleiben die Fotos, die einfach nur Fotos sind. Aufnahmen vom Urlaub, von der Familienfeier, vom Frühstück am Morgen?

Denn das ist ja öde! Gähnial.

Nochmal: Wo bleiben die Fotos von Dingen, an denen wir uns, wenn wir mal alt sind, freuen werden und drauf (Verzeihung) scheißen werden, ob da jetzt ein Pickel war oder nicht?

Wo sind diese Fotos, wenn wir zum Fotografieren nur noch ins Studio rennen und bis auf den kleinsten Millimeter unser Modell anweisen? Wenn wir nur noch zu Sonnenaufgang und Sonnenuntergang Landschaftsaufnahmen machen und die Buntheit in Lightroom verstärken, verstärken, verstärken?

Ich habe auf diese Fragen keine Antworten. Und ich verlange von Euch nicht, dass Ihr sie mir gebt. Doch dieser Gigantismus geht mir auf die Nerven. Wenn ich hier jemandem auf die Füße getreten bin: Gut so. Denn wir kommen nur weiter, wenn wir uns hinterfragen. ;-)

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