10. Juni 2011 Lesezeit: ~4 Minuten

Skulpturen eines Augenblicks

Wenn Tropfen nach unten fallen, dann entstehen in Bruchteilen von Sekunden unglaubliche Formen: Skulpturen eines Augenblicks.

Wasser begeistert mich in der Landschaftsfotografie seit ich fotografiere. Tropfen waren und sind für mich ein besonders lohnendes Motiv, ob im Regen, am Gletschereis oder auf den Pflanzen. Immer in Bewegung, immer anders. Aber im Freien blieb bei stets mir das Gefühl, dass das nicht alles sein kann, da noch etwas verborgen bleibt. Vor Jahren habe ich meine Tropfenfotografie ins Studio verlegt und, so erst die ungeahnten Möglichkeiten entdeckt.

Ohne störenden Wind, mit selbst gesetztem Licht und Tropfen in variabler Zahl macht das Fotografieren erst richtig Spaß. Die Grundlage ist reine Physik. Da fällt ein Wassertropfen aus vielleicht 50 Zentimeter Höhe in ein Gefäß mit Wasser.

Er schlägt auf, dringt ein, wird als Säule wieder hochgeschleudert und dann vom zweiten oder dritten Tropfen getroffen, die dadurch wild auseinanderspritzen, und am Ende wieder im Wasser versinken. Dabei entstehen in Sekundenbruchteilen die unglaublichsten Skulpturen. Diese spiegeln sich zudem auf der Wasseroberfläche.

Das klingt ziemlich nüchtern. Aber die Tropfenskulpturen sind ohne technische Hilfsmittel für das menschliche Auge unsichtbar und genauso schwer auch zu fotografieren.

Ich kam also nicht umhin, mich neben der Physik von Flüssigkeiten auch völlig neu mit den bekannten technischen Fragen zu beschäftigen wie Schärfentiefe, Lichtsetzung und Farblehre sowie dem neuen Feld der Tropfensteuerung.

Denn die ersten Versuche mit einer Pipette über der Waschschüssel und der Kamera im Dauerfeuer waren mehr als ernüchternd –ließen aber erahnen, was ich auf den Chip bannen könnte, wenn ich mich anstrenge. Das motivierte.

Nur mit einem enormen technischen Aufwand in Form von mikroprozessorgesteuerten Magnetventilen, Blitzauslösung und Kamerasteuerung habe ich nun die Grundlage geschaffen, um mich ganz auf Flüssigkeiten, Formen, Farben und das Licht zu konzentrieren – und dort so richtig kreativ zu sein.

Die Tropfenfotografie bleibt aber unberechenbar. Die Flüssigkeiten verhalten sich unterschiedlich, die Temperatur spielt eine große Rolle und das Licht ist sehr wandelbar. Der Variationen sind keine Grenzen gesetzt.

War es zuerst nur Wasser, das später eingefärbt wurde, habe ich inzwischen auch mit Milch in unterschiedlichen Verdünnungen, Öl, Farben und mehr herumexperimentiert. Alles ist möglich und immer gibt es neue Formen.

Jedes Fotoshooting bleibt aber eine Überraschung, von vielen Aufnahmen ist oft nur eine gelungen. Aber gerade das macht für mich den Reiz aus. Denn die Tropfenfotografie ist für mich nichts anderes als die Chance, in einen Bereich der Natur zu blicken, der uns sonst verborgen bleibt – mit allen Unwägbarkeiten dabei.

Es ist für mich künstlerische Physik – und die Gesetze der Physik sind unerbittlich, aber erzeugen bei mir auch eine gewisse Ehrfurcht. Es ist trotz aller Technik unmöglich, ein Tropfenfoto ganz genauso zweimal zu machen. Aber gerade das entschädigt mich für manche Nacht „am Tropf“.

Ich finde nicht nur die Tropfenskulpturen unheimlich reizvoll in ihrer Farbe und ihrer Form, sie strahlen für mich auch eine unglaubliche Ruhe aus. Und immer wieder bin ich begeistert von der Vielfalt und Schönheit der Natur.

Jedes Fotoshooting versetzt mich erneut ins Staunen. Deshalb mag ich die schlichte Form einer einfachen Milchkugel über blauem Wasser oder einer blauen Zackenkrone auf Spiegelglas genauso gern, wie den zweifarbigen Pilz auf rotem Grund oder andere extrem „stürmische“ Zusammenstöße.

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