01. Juni 2011 Lesezeit: ~7 Minuten

Fotografie ist Leben.

Fotografie ist Leben. Momente, die unwiederbringlich der Vergangenheit angehören, finden auf diese Weise immer wieder einen Weg ins Hier und Jetzt. Was sind Fotos mehr als Erinnerungen? Sie sind gleichermaßen ein Schimmer auf was das Leben noch bereithält. Kostbare Momente, Wünsche und Fantasien, aber auch Schmerz, Leid und Verlust.

Die Fotografie interessiert mich nur am Rande, das eigentlich Spannende und Interessante ist das Leben selbst. An der Fotografie kam ich einfach nicht vorbei, bietet eben diese doch die wundervolle Möglichkeit, Augenblicke zu verewigen und mitunter erst Monate, ja sogar Jahre später zu begreifen. Fotografie ist für mich ein Stück Lebensqualität, die ich nicht mehr missen möchte.

Sie ist, um ehrlich zu sein, meine eigene Form der Selbsttherapie, die sich insbesondere in meinen Selbstportraits widerspiegelt. Bevor ich das erste Selbstportrait vor nunmehr über fünf Jahren aufnahm, hatte ich kein besonderes Interesse an Selbstportraits, ich hielt sie gar für überflüssig.

Das hat sich mit der ersten Serie drastisch und nachhaltig geändert. Der Name eben dieser Selbstportraits ergab sich so gut wie von selbst, denn was alle diese Bilder miteinander verbindet ist, dass es sich um Langzeitbelichtungen von mindestens 15 Sekunden handelt.

Die short films haben seither an Wichtigkeit gewonnen und es ist nicht bloß daher gesagt, es ist eine Form Therapie für mich und hat mir in vielen Lagen geholfen. Am besten funktionieren sie, wenn ich mich nahezu gar nicht darauf vorbereite. Zu viel Plan zerstört die Atmosphäre und raubt den Bildern die Authentizität, ganz abgesehen davon, wenn ich mir selbst mit Storyboard und ähnlichem daherkomme, ist jeder therapeutische Nutzen komplett hinüber.

Nachdem ich also zwei Versuche mit Storyboard und vorbereiteten Lichtinstallationen praktisch “in die Tonne gekloppt habe”, kam ich wieder zurück zum mehr oder weniger spontanen Shooting meiner Selbst, denn in meinen Selbstportrait-Reihen finden sich in jedem Fall Sitzgelegenheiten. Üblicherweise drei an der Zahl, die für mich schlicht Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bedeuten. Manchmal ist es lediglich ein einziger Sessel, der dann entsprechend der Gegenwart zuzuordnen ist. Im Allgemeinen jedoch, wie bereits erwähnt, drei.

Im Rahmen dieses Artikels gebe ich diesen Zusammenhang zum ersten Mal offen Preis. Gut möglich, dass eben diese Information den Bildern mehr Inhalt gibt oder wenigstens deren Interpretation in ein neues Licht stellt. Vielleicht ist auf diese Weise offensichtlicher, warum ich diese Strecken als therapeutische Experimente verstehe und es ist so verständlicher, dass ich manchmal im Nachhinein, beim Sichten der Bilder, verstehe, was mir im Leben gerade widerfährt. Seither nutze ich das von Zeit zu Zeit, um zu sehen “wo ich gerade stehe”. Manchmal ist fotografieren besser als reden.

Alles begann, wie vermutlich für viele Fotografen, mit Makros von Blüten und anderen, sich nicht bewegenden Dingen. Gefolgt von Tieren, die sich zwar bewegen, aber nicht wirklich widersprechen können. Sofern man sich nicht auf eine Augenhöhe mit ihnen begibt. Ein Raubtier mag nicht im gewöhnlichen Sinn widersprechen, vermag aber doch seinen Unwillen auf andere, ganz unangenehme Weise zum Ausdruck zu bringen.

An einem Wintertag 2005 fand ich direkt vor meiner Haustür in Weimar eine kleine überfrorene Pfütze. Nachdem ich eben jene Pfütze auf Film gebannt einige Tage später per Scanner auf meinen Computer beförderte, wollte es der Zufall, dass ich sie aus Versehen 180° gedreht bearbeitete und drucken ließ. Ich wunderte mich ein wenig über die verwirrende Perspektive, es sollte jedoch noch einige Jahre dauern, bis ich darin den Beginn meiner vielleicht wichtigsten Serie erkannte. Folgerichtig ergab sich der Name der Serie von selbst: 180°

Diese Serie hält mich bis heute in ihrem Bann. Verkehrte Welt, auf den Kopf gestellt. Mystisch manchmal, ganz real in anderen Motiven, jedoch immer mit einem Fragezeichen das zurückbleibt, je länger man sich in die Bilder vertieft. Ein ganz anderer Blick auf die ganz profane Welt. Regen mochte ich immer schon gern, seit diese Serie ihren Anfang fand, liebe ich den Regen geradezu. Und wo immer ich gerade bin, wenn der Regen kommt, findet man mich meist draußen, nicht selten auf Knien, um die spiegelnden Zauberwerke auf Film zu bannen.

Die meisten Motive stammen inzwischen aus Berlin, meiner Wahlheimat und im Laufe der Jahre hat sich mein Blick auf spiegelndes Wasser differenziert. Nach wie vor fokussiere ich Pfützen, aber auch Brunnen, Flüsse und Bäche und ganz besonders mag ich es, wenn die Fläche einer Straße insgesamt zu einer riesigen Spiegelung wird.

Und dann sind da die Portraits. Derzeit das einzige Feld in der Fotografie, das ich für Aufträge nutze und so wie es eine Entscheidung zur Entschleunigung war und ist, auf analoge Fotografie, also auf Film zu setzen, so handhabe ich das ebenso mit der Art und Weise zu portraitieren.

Das bedeutet: Erstmal besuche ich die Menschen, die mich für ein Portrait beauftragt haben, ohne Kamera. Warum? Die meisten Menschen sind kamerascheu, außerdem, und das mag daran noch wichtiger sein, will ich wissen, wer das ist, den ich da fotografiere.

Ich bin also immer versucht, wen immer ich portraitiere, einen ganzen Tag lang zu begleiten. Am besten auch herauszufinden, ob es einen Ruhepunkt im Tagesablauf gibt, vielleicht einen speziellen, lieb gewonnenen Platz zum Entspannen oder ähnliches. Daraufhin folgen zwei Besuche mit Kamera, in denen ich meist einige Momente einfangen kann, die ein Portrait zu einem Portrait machen, die den jeweiligen Menschen tatsächlich in seinem Umfeld und seiner Persönlichkeit widerspiegeln.

Aus dieser klassischen Portraitfotografie und der Freude am Beobachten, hat sich mit der Zeit eine Liebe zur Dokumentation entwickelt, die ich in den letzten Jahren stärker verfolge. Meiner Ansicht nach ist das der schönste und abwechslungsreichste Teil der Arbeit als Fotograf. Auf gewisse Weise ist es, als ob man einen neuen Beruf lernt.

Wie zum Beispiel im Moment: Ich begleite einen Krankenpfleger, der seine Klienten zu Hause versorgt. Dabei begreife ich mehr und mehr die Problematik des Älterwerdens der Gesellschaft und die Schwierigkeiten, die das mit sich bringt. Ich bin erschrocken über den Grad der Einsamkeit bei alten und/oder kranken Menschen und fühle mich gleichzeitig machtlos dem gegenüber.

Es ist erstaunlich, welche Maßregeln im Bereich der Pflege angesetzt werden. Denn wie immer und überall geht es natürlich ums Geld und so bleibt einem keine Wahl, als mit dem System etwas zu tricksen, damit man noch ein paar Minuten mehr Zeit zur Pflege oder auch einfach nur zur Unterhaltung aufbringen kann.

In jedem Fall hat mich auch dieses Thema voll ergriffen und wird mich sehr sicher noch einige Jahre fotografisch beschäftigen, weil ich glaube, dass die meisten Menschen, genau wie ich selbst auch, keinen Schimmer davon haben, was es bedeutet, allein ohne Familie alt zu werden. Ein Thema, das uns alle interessieren sollte.

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