08. März 2011 Lesezeit: ~7 Minuten

Das Besondere im Gewohnten erkennen

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute doch so nahe liegt? Wer tolle Landschaftsfotos machen will, muss nicht um die halbe Welt reisen. Auch vor der eigenen Haustür warten beeindruckende Motive – wenn man genau genug hinschaut und etwas Geduld mitbringt.

Das Besondere im Gewohnten erkennen

Als ich vor einigen Jahren in die (Hobby-)Landschaftsfotografie einstieg, war ich felsenfest davon überzeugt, dass man wirklich gute Landschaftsfotos nur in den eindrucksvollen Canyon-Landschaften der USA, der bizarren Vulkanwelt Islands oder der exotischen Vielfalt Neuseelands machen kann.

Ins Grübeln kam ich erst, als meine ausländischen Flickr-Freunde aus Australien zum Fotografieren nicht ins benachbarte Neuseeland flogen, sondern lieber nach Schottland. Oder sich amerikanische Bekannte nicht für den Grand Canyon, sondern die „amazing Alps“ begeisterten. Und selbst der Schwarzwald ist bei vielen Ausländern ein beliebtes Reiseziel…

Es ist nämlich das Fremde, das uns reizt und Fotografieren so viel spannender macht. Da ich erst seit knapp sechs Jahren in Freiburg wohne, waren für mich der Schwarzwald und Kaiserstuhl auch gewissermaßen fremd, daher gab und gibt es hier für mich jede Menge Neues zu entdecken. So fiel es mir natürlich deutlich leichter, das Bemerkenswerte der südbadischen Landschaften zu entdecken.

Wenn ich meine Fotos Einheimischen zeige, höre ich oft Sätze wie „Ich wusste gar nicht, dass man hier so schöne Fotos machen kann.“ Seitdem ist für mich klar: Gute Landschaftsfotos hängen nur sekundär von der Landschaft selbst ab. Was ihren Reiz ausmacht, ist den speziellen Charakter einer Landschaft darzustellen, nicht alltägliche Momente einzufangen und Emotionen zu vermitteln. Und das kann man überall tun – sogar nur ein paar Kilometer von der eigenen Haustür entfernt.

Das Besondere im Gewohnten erkennen

Dass Deutschland für Landschaftsfotografen viel zu bieten hat, steht außer Frage: Von der Küstenlandschaft der Nord- und Ostsee, den zahlreichen Mittelgebirgen und Waldgebieten, den großen Fluss- und Seenlandschaften bis hin zu den majestätischen Alpen. Es gibt es kaum ein Land in Europa, das landschaftlich so abwechslungsreich ist.

Aber es reicht natürlich nicht aus, einfach die Kamera zu einem x-beliebigen Zeitpunkt hinzuhalten, um das Besondere dieser Landschaften einzufangen. Nach meiner Erfahrung muss man eine Landschaft erst nach und nach kennenlernen, ganz in sie eintauchen und sich überlegen, wie sie zu bestimmten Zeitpunkten aussehen könnte, um dann im richtigen Moment den Auslöser drücken zu können.

Natürlich kann man jetzt einwerfen: „Er hat gut reden. Er hat ja auch den Schwarzwald vor der Haustür.“ – zugegeben, die richtige Location spielt natürlich auch eine Rolle. Wer im Ruhrgebiet wohnt, wird als Landschaftsfotograf mehr Probleme haben. Aber selbst hier lassen sich in Parkanlagen, der urbanen Landschaft oder den benachbarten Naturschutzgebieten tolle Motive finden. Leider verlernt man im stressigen Alltag aber sehr schnell, diese Motive überhaupt noch zu erkennen.

Wer hat sich nicht schon einmal darüber gewundert, dass plötzlich die Bäume keine Blätter mehr hatten, ohne dass man den Herbst wahrgenommen hätte? Ich denke, dass man erst durch das bewusste Innehalten und die gezielte Suche nach den speziellen Momenten wieder dafür sensibilisiert wird – und es umso mehr zu schätzen lernt. Wie das funktionieren kann, möchte ich an drei Beispielen aus meiner südbadischen Wahlheimat demonstrieren.

Felder in Teningen

Beginnen möchte ich mit einer wirklich „gewöhnlichen“ Location: einer Reihe Felder in Teningen, nur wenige hundert Meter von meiner Haustür entfernt, an der ich oft mit dem Auto vorbeifahre. Dabei fiel mir ein Baum ins Auge, der einsam inmitten der Felder steht (linkes Foto). Als sich ein Gewitter ankündigte, bin ich deshalb kurzerhand dorthin gefahren und hatte Glück: Der Wind strich durch die Felder und am Himmel stauten sich die Wolkenfronten auf. Um die Einsamkeit des Baumes inmitten der Naturgewalten zu unterstreichen, habe ich ihn in die Bildmitte gesetzt und mit meinem Ultraweitwinkel-Objektiv fotografiert (rechtes Foto). So wurde durch das Abpassen des richtigen Moments aus der eigentlich alltäglichen Szenerie etwas Außergewöhnliches.

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Schwarzwald-Hochstraße

Die Schwarzwald-Hochstraße ist die „Panoramastraße“ des Schwarzwalds. Die Aussicht, die sich hier vor einem über den Gipfeln des Schwarzwaldes bzw. der Rheinebene auftut, sucht ihresgleichen. Versucht man, sie an einem normalen, sonnigen Tag zu fotografieren, wirkt sie allerdings nicht sonderlich spektakulär.

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Ganz anders sieht es dagegen aus, wenn mehrere reizvolle Momente zusammenkommen: der Sonnenuntergang mit dem richtigen, die Landschaft modellierenden Seitenlicht, die erste Herbstfärbung der Bäume und ein wenig Dunst, der alles mystischer erscheinen lässt. Bis ich dieses Foto im Kasten hatte, bin ich ein halbes Dutzend Mal dort oben gewesen, dann hat aber endlich (fast) alles gestimmt.

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Schelinger Höhe / Badberg im Kaiserstuhl

Das Naturschutzgebiet rund um den Badberg im Kaiserstuhl gehört mit seinen wunderschönen Formen, der abwechlungsreichen Flora und der grandiosen Aussicht (einen Eindruck davon vermittelt auch das erste Foto dieses Beitrags) zu meinen absoluten Lieblingslandschaften. Und das Beste daran: Die Landschaft ist gerade einmal 15 Autominuten von meiner Haustür entfernt. Trotzdem gelangen mir anfangs keine guten Bilder davon.

An dieser Baumgruppe bin ich bestimmt die ersten zehn Mal achtlos vorbeigelaufen. Sie sieht im Frühling/Sommer zugegebenermaßen auch eher unauffällig aus (linkes Foto). Als ich sie dagegen das erste Mal im Winter sah, war ich begeistert: Die Bäume wirkten, als ob sie sich zusammengepfercht hätten, um gemeinsam der Kälte zu trotzen (rechtes Foto). Doch auch diesem Foto fehlt noch etwas – ein interessanter Himmel.

Das Besondere im Gewohnten erkennen Das Besondere im Gewohnten erkennen

Aus diesem Grund habe ich gewartet, bis sich ein Tag mit leicht bewölktem Himmel ankündigte und bin dann kurz vor Sonnenuntergang ein weiteres Mal hingefahren. Ich war selbst überrascht davon, wie bizarr diese Gruppe mit dem letzten Licht der bereits untergegangenen Sonne wirkte. Auch hier haben sich also eine gewisse Hartnäckigkeit durch wiederholte Besuche und der dadurch erreichten „Verbundenheit“ mit der Landschaft ausgezahlt.

Das Besondere im Gewohnten erkennen

Diese drei Locations sollen exemplarisch verdeutlichen, wie viel (fotografisches) Potential es allein vor meiner Haustür in Südbaden gibt – wenn man nur hartnäckig genug danach sucht und sich auch von anfänglichen Enttäuschungen nicht abschrecken lässt. Als Zugereister habe ich wie eingangs erwähnt natürlich einen gewissen Vorteil, weil mir das Spannende leichter ins Auge sticht.

Aber ich bin mir sicher, dass man die eigene Wahrnehmung dafür trainieren kann und es in anderen Gegenden Deutschlands ähnliche Möglichkeiten gibt. Im Gegensatz zum zweiwöchigen USA-Urlaub hat man in der eigenen Heimat zudem alle Zeit der Welt, um die schönste Motive zu finden und abzulichten. Und wer danach sucht, wird sie auch finden – es ist nur eine Frage der Zeit.

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