25. Januar 2011 Lesezeit: ~9 Minuten

Mittelformat für Alle (Teil 1/3)!

Ich bin mir sicher, schon manch einer der diese Zeilen liest (und von Fotografie begeistert ist) hat schon mal davon geträumt mit einer fetten 50 MegaPixel-Mittelformat-Schleuder von Hasselblad oder Phase One los zu ziehen. So ging es mir jedenfalls ab und an. Auflösung und Detailzeichnung ohne Ende, pure Qualität, edle Gläser mit genialer Abbildungsleistung… da verblasst der Schein der eigenen 5D oder was es im einzelnen sein mag. Nur die € 25’000 für Kamera und (ein) Glas, ganz zu schweigen vom neuen Rechner und Speicher den man für die Datenverarbeitung braucht, lassen einen schnell selbst erblassen.

ABER: Die Fotografen, die heute mit solchen Boliden arbeiten können (weil sie die Aufträge dazu haben), haben vor noch gar nicht langer Zeit mit Kameras gearbeitet, die schon dort den qualitativen Standard setzten. Die Rede ist natürlich von analogen Mittelformat-Kameras. Uns digitale Kinder schreckt der Begriff erst mal etwas ab. Nicht, weil wir mit unseren Digi-Knipsen zu blöd dafür wären, aber man hat unweigerlich das Gefühl, dass das den Dunkelkammer-Profis vorbehalten ist.

Ich hatte jedenfalls ziemlich Respekt vor der Bedienung und konnte mir nicht recht vorstellen, wie ich damit gescheite Bilder machen soll. Im folgenden will ich Euch zeigen, dass das alles nicht so schwierig ist, lange nicht so teuer wie man denkt, riesig Spass machen kann und man am Ende sogar Lightroom mit 50MP-Bildern quälen kann.

Kamerasysteme
In den 70ern und 80ern bis in die späten 90er wurden von verschiedenen Herstellern qualitativ extrem hochwertige Kameras entwickelt, in deren Konstruktion über viele Jahrzehnte entwickeltes Wissen einfloss. Hasselblad kennen die meisten. Daneben gab es aber noch Mamiya, Pentax, Rollei, Contax und viele andere, die wunderbare Kameras gebaut haben.

Die wichtigste Unterscheidung, die man zunächst machen muss ist das Belichtungsformat. In aller Regel schlucken alle MF-Kameras den 120er Rollfilm. Das ist einfach nur ein langer Streifen Negativ auf den unterschiedlich viele Bilder passen – je nachdem, welches Format die Kamera darauf belichtet. Im Wesentlichen gibt es die Formate 645, 6×6 und 6×7. Diese Zahlen stehen schlicht für die Grösse des belichteten Negativs nach einer Aufnahme.

645 bedeutet, dass 4.5cm auf 6cm belichtet werden. 6×6 entsprechend quadratische 6cm auf 6cm – von der Grösse schon etwas mehr. 6×7 mit seinen 6cm auf 7cm ist somit das grösste, was man im Mittelformat haben kann – da passen dann auch nur noch 10 Bilder auf eine Rolle 120er Film (man stelle sich dabei vor, dass eine Kleinbild-Vollformatkamera wie die Canon 5D einen Sensor mit gerademal 3.6cm auf 2.4 cm hat).

Viele Modelle tragen diese Zahlenwerte bereits in der Modellbezeichnung, z.b. die Mamiya 645AF oder RZ67. Das 645er Format gibt es in vielen Varianten, ich finde die wesentlich grösseren Formate 6×6 oder 6×7 jedoch einiges interessanter: Wenn schon denn schon!

Formatvergleich: 6×7 MF zu 35mm Kleinbild

Dazu gibt es jeweils ein Standardobjektiv, welches um die 80mm bis 110mm Brennweite hat und auf den grösseren Formaten wie ein 35mm bis 50mm Objektiv auf heutigen DSLRs abbildet. Neben der Optik braucht man noch mindestens 1 Filmmagazin, da bei vielen MF-Kameras der Film nicht direkt ins Gehäuse eingelegt wird.

Kamerakauf
Einige dieser Kameras werden zwar durchaus noch neu gefertigt, uns interessiert hier aber der Gebrauchtmarkt. Und da gibt es viele Optionen. Vorweg sei aber gesagt, dass die Modelle von Hasselblad auch hier das Preisfeld anführen – unberechtigterweise wie ich meine. Man zahlt auch hier den Namen und somit findet man nur ganz selten ein Modell der 500er Serie unter €1500.- (das sind die die alle kennen und wollen – siehe Bild).

Als ich mir überlegte, das alles mal zu probieren, war mir das viel zu viel Geld. Ich bin damals an der Mamiya RZ67 hängen geblieben. Gefunden habe ich meine bei Adorama.com, einem Fotogeschäft in New York. Auf deren Website gibt es einen riesigen Gebrauchtmarkt, mit spezieller Mittelformat-Sektion. Alle Angebote haben eine Qualitätseinstufung, die guten Aufschluss über den Zustand gibt.

Meine RZ67 kostete mit 110mm Objektiv und einem Filmmagazin $480.- (beim aktuellen Dollar-Kurs wirklich nicht das grosse Geld). Ich hab dann nochmals $60.- für die Lieferung mit UPS draufgezahlt und das Ding war 4 Tage später bei mir. Für dieses Geld bekommt man natürlich keine absolut makellose Kamera. Bei meiner sind paar Kratzer am Gehäuse und die Mattscheibe im (riesigen) Sucher hat am äussersten Rand nen kleinen Sprung. Mechanisch und optisch gibt es aber nichts zu beklagen.

Mamiya RZ67 Pro

Man findet aber auch auf eBay (zumindest wenn man sich nicht auf Deutsche Verkäufer beschränkt) eine recht grosse Auswahl. Über eBay habe ich mir auch etwas später noch ein weiteres Objektiv gekauft. Ein 50mm (also schon ein Weitwinkel auf MF) für schlappe €250.- und in bester Qualität.

Etwas später hatte ich auf der Schweizer eBay-Kopie ricardo.ch Glück und fand eine Hasselblad 500c/m für rund €600,- und musste zuschlagen. Auch an der hab ich Freude, aber der niedrige Preis hatte seine Folgen: Das Magazin sowie der Bajonettanschluss sind nicht ganz lichtdicht. Das Magazin lässt sich mit etwas Gaffer Tape an der Stelle gut abkleben und am Bajonett wird’s nur bei sehr starkem Seitenlicht kritisch.

Ich hab sie trotzdem immer wieder dabei, aber die Mamiya RZ67 liefert die besseren Bilder ganz abgesehen von den Macken der Hassi. Es muss also nicht unbedingt teuer sein und es muss wirklich auch keine Hasselblad sein! Die Defekte, die meine Hassi hat, bergen aber durchaus auch ihre Reize wie bei dieser Aufnahme:

Defekt? Zufall? Magie? Wer weiss das schon…

Wer sich interessiert, sollte mal bei Adorama.com unter Used Equipment / Medium Format rumschnüffeln, sehen was es so gibt, je nach dem mal ein Modell bei Wikipedia nachschlagen und dann bei eBay schauen was man davon findet. Ich persönlich kann Adorama aber auch zum Kaufen empfehlen(Geht allerdings nur mit Kreditkarte).

Das reizvolle am Mittelformat

Bevor ich demnächst in Teil 2 darüber berichte, wie man mit der analogen Mittelformat-Kamera auch ohne grosses Vorwissen umgeht, möchte ich Euch noch einige Gedanken (und Bilder) über den Reiz des Mittelformats mitgeben. Während diese Kameras technisch sehr gut sind (und mechanisch vielleicht sogar besser als heutige), so ist der Film auf den man belichtet etwas „lebendiges“, das am Resultat mitwirkt.

Und da wir beim Mittelformat richtig viel von diesem lebendigen Material belichten, scheint mir dessen Einfluss auch entsprechend grösser zu sein (Achtung, jetzt wird’s esoterisch :-) – Nein im Ernst, Licht wird einfach anders eingefangen, das grosse Format erlaubt sensationell knappe Tiefenschärfe, die riesige Auflösung erfasst unzählige Details – wenngleich nie die Art von digitaler Schärfe erreicht wird die wir heute kennen. Aber wer das erste mal seinen 50MP-Scan auf ein A3 oder grösser druckt, fragt sich unweigerlich was man eigentlich noch mehr will?

Neben den technischen Dingen hat sich für mich dadurch eine neue Motivwelt aufgetan. In meiner sonstigen fotografischen Arbeit inszeniere und kontrolliere ich. Das Modell, das Set, das Licht, die Verarbeitung der Bilddaten. Mit dem analogen Mittelformat werden plötzlich alltägliche Dinge interessant – so wie sie sind.

Wie das Licht auf einem Bach spielt und vorallem was der Film davon einfängt, kann einen in seinen Bann ziehen. Ich für meinen Teil habe so die andere Seite der Fotografie entdeckt – fernab von grossen Gesten. Entschleunigt, überlegt, spielerisch und ein Stück weit dem Medium einen Teil der Kontrolle überlassend.

Aber auch im Studio hat das Mittelformat seinen Reiz. Jede gängige Blitzanlage kann per x-sync Anschluss mit dem Verschluss der Kamera synchronisiert werden (die Fashion Fotografen für die Vogue der 80er haben schliesslich auch schon Blitze benutzt). Quasi als Betthüpferl findet Ihr im folgenden zwei Bilder in Originalgrösse, unbearbeitet von einem meiner letzten Studioprojekte. Einmal von der Canon 5D und einmal ein 3200dpi Scan des 6×7 Negativs aus der Mamiya RZ67:

Bin gespannt wie ihr die Unterschiede bewertet…

In Teil 2 gehe ich auf die Wahl des Films, Belichtung und sonstige Besonderheiten ein, damit Ihr einen unbeschwerten Einstig in die Mittelformat-Fotografie findet. Wäre ja witzig, wenn bis dann der eine oder andere eine MF-Kamera von seinem Grossvater auf dem Speicher entdeckt oder eine im Netz erstanden hat ;)

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