07. Januar 2011 Lesezeit: ~7 Minuten

“Eine TLR.” – “SLR heißt das!”

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich in diesem Frühjahr wie so oft durch Graz und speziell den Grazer Stadtpark zog um Fotos zu machen. Am späteren Nachmittag setzte ich mich ins Parkhouse auf einen Kaffee – und bevor ich eigentlich dazu kam mich zu entspannen fragte mich ein fotografie-begeisteter Gast, was ich denn da in meiner Fototasche habe. (Anscheinend erkannte er das eindeutig als Fototasche, denn außen hing ein Stativ dran).

Ich gab ihm einen Überblick über die Ausrüstung, die ich an dem Tag mithatte und sagte irgendwann zwischendrin …und noch eine alte TLR von Rollei. Er sagte gleich darauf Nein, SLR heißt das im Englischen. Ich lächelte und sagte, dass er da falsch läge – er sah mich nur verdutzt an. Nach einer Erklärung um die Unterschiede zwischen SLR und TLR redeten wir noch kurz und danach dankte er mir.

Warum ich das erzähle? Nun, ganz einfach: TLRs werden nicht mehr produziert. Seit einer halben Ewigkeit eigentlich schon nicht mehr. Hin und wieder findet man sie in den Gebrauchtecken von Fotoläden, und selbst da kann man nicht sicher sein, ob sie noch funktionieren. Was ist also eine TLR?

TLR

Eine TLR ist eine zweiäugige Spielreflexkamera, TLR ist ein Akronym für den Begriff “Twin Lens Reflex”. Sie unterscheidet sich von einer SLR, dass sie zwei Linsen hat. Die obere Linse wird für die Fokussierung benutzt, die untere Linse für die Aufnahme. Damit ist die Funktionsweise
und der Aufbau einer TLR grundsätzlich, aber nicht vollständig beschrieben.

Eine TLR benutzt man, indem man von oben auf eine Mattscheibe schaut. Das Bild, das man auf dieser Mattscheibe sieht, wird durch die Suchlinse erzeugt, die normalerweise etwas lichtstärker ist als die Aufnahmelinse. Das Bild selbst ist zwar nicht auf den Kopf gestellt, dafür aber seitenverkehrt, was mir insbesondere in den Anfangszeiten bei der Fokussierung etwas Hirnschmalz kostete.

TLR

Bei älteren TLR-Modellen sind die Fresnel-Linsen der Mattscheiben nicht sehr hochwertig und die Suchlinsen bieten auch nur eine gutes Bild in der Bildmitte, dazu kommen noch Altersspuren, denn viele TLRs, die man heutzutage in Online-Auktiosnhäusern kaufen kann haben 50 und mehr Jahre auf dem Buckel. Insbesonders nächtliche Fototouren werden da zu einer Herausforderung.

Unter der Suchlinse sitzt die Aufnahmelinse. Grundsätzlich findet man nur 75 oder 80mm Brennweiten – rechnet man den Cropfaktor von Kleinbild auf 6x6cm Mittelformat um, erkennt man: das ist die Standard-Brennweite. In späteren Jahren findet man dann auch TLRs mit 50mm oder 135mm Linsen.

Es gibt eine Ausnahme für die Festbrennweiten-Regel: die Mamiya C Serie, die auch auswechselbare Linsen bietet. Zoomlinsen wurden aufgrund des technischen Aufwandes nie in TLRs verbaut. Die Linsensysteme von TLRs waren zumeist leichte 3- oder 4-Linser, die bekanntesten der verbauten Linsen waren wohl Triotar und Tessar/Xenar. Der Vorteil lag hier bei dem Umstand, dass 3- oder 4-Linsen-Systeme zu Zeiten, als es noch keine Multicoated-Nanoveredelung gab, weniger Reflexion und Linsenfehler boten als Viel-Linser wie Planar, Xenotar, Sonnar oder wie sie alle hießen.

In TLRs findet man nur Zentralverschlüsse. Dies ist darauf zurückzuführen dass man keine Wechselobjektive hat. Vorteile, die ein Zentralverschluss im Gegensatz zu einem Schlitzverschluss mit sich bringt sind beispielsweise der Umstand, dass alle Zeiten Blitzsynchron sind, es eine gleichmäßigere Ausleuchtung gibt und der Verschluss weniger ruckelt und wackelt (was mit dem nicht vorhandenem klappenden Spiegel bei der TLR dazu führt, dass man Fotos mit längeren Belichtungszeiten noch scharf und verwackelungsfrei aufnehmen kann).

Als Nachteil des Zentralverschluss sollte hier angeführt werden, dass sie nicht “schnell” sind, minimale Belichtungszeiten liegen hier bei 1/500 Sekunde, bei älteren Modellen nur bei 1/250 Sekunde.

TLR

TLRs wurden nicht für Kleinbild-Filme produziert; fast alle benutzen 120er Rollfilm als fotographisches Medium. Ein paar Ausführungen (“Baby-Rollei”) benutzen 127er Rollfilm, der heute nur noch efke in Kroatien produziert und vertrieben wird (127er Rollfilm hat das Aufnahmeformat 4x4cm). Es gibt aber auch Adapter für den Filmtransport um Kleinbildfilme in Mittelformat-TLRs einzulegen, was aber technisch einen ziemlichen Kompromiss darstellt – immerhin sind die Linsen auf das Auflagemaß für 120er Rollfilme berechnet.

Was zeichnet nun eine TLR aus? Wie ist es mit so einer Kamera zu fotographieren?

Nun: grundsätzlich anders. Ich kann jetzt einmal von meinem Standpunkt mit einer Rolleicord III aus dem Jahre 1951 oder 1952 erzählen. Ein 120er Rollfilm kostet je nach Marke und Typ zwischen 5 und 10 Euro, dazu kommen 5 Euro Entwicklungskosten. Der Film bietet 12 Aufnahmen im 6×6-Format. Das zeigt einem, dass Mittelformat vielleicht nicht der richtige Weg ist einfach viele Fotos zu machen.

Meine alte Rolleicord besitzt einen mechanischen Hebel zu Blendensteuerung, einen mechanischen Hebel zu Steuerung der Belichtungszeit, einen Hebel zum Auslösen, einen Knauf für den Filmtransport und einen Knauf für die Fokussierung. Das war es an Bedienelementen. Die Kamera bietet keine Belichtungssteuerung und schon gar keinen Autofokus. Anfangs klang das ein wenig schwierig.

Wenn man aber seine dSLR als Belichtungsmesser missbraucht, sich die Zeiten notiert und mit den Negativen vergleicht, wenn man versucht anhand der Sunny16-Regel sich ein bisschen was beizubringen, dann wird man ziemlich bald merken, dass man durchaus mit dem Auge eine recht zuverlässige Belichtungmessung durchführen kann.

Aber zurück zur Aufnahme: Wer einmal durch eine Mattscheibe einer Mittelformat-Kamera geschaut hat, dem wird ein 100%-Prismensucher einer digitalen SLR mit Vollformat mickrig vorkommen. Und genau das ist hier auch der Fall. Die große, helle Mattscheibe erlaubt eine wunderbare Einschätzung des Fokuspunktes und der Motivgestaltung, viel genauer als man es jedem Prisma schaffen könnte.

TLR

Hier ist aber das für mich wichtigste Manko einer TLR anzuführen: Die Mattscheibe zeigt nicht das exakte Bild, denn da man durch zwei verschiedene Linse aufnimmt bzw. fokussiert, darf man die Parallaxenverschiebung, wie man sie von Sucherkameras kennt nicht vergessen. Hat man nun ein Motiv gefunden und darauf fokussiert fängt man an mit den zwei Hebeln alle möglichen Kombinationen an Blende und Belichtungszeit einzustellen die man für richtig erachtet.

Irgendwann entschließt man sich für eine Kombination und fängt wieder von vorne an, nachdem man nämlich so lange überlegt hat, dass sich die Lichtverhältnisse geändert haben. Das stellt für mich auch den Reiz dar, mir der Kamera zu fotographieren: Man lässt sich Zeit. Man überlegt. Man wiegt Tiefenschärfe gegen Belichtungszeit ab. Man ist voll in dem Element des Überlegens, des Abwiegens und des Einschätzens. Ich selbst vergesse viel um mich runderherum, wenn ich mit einer Mittelformat-Kamera auf Fototour bin.

TLR

TLRs werden heutzutage kaum noch produziert, Francke und Heidecke ist die einzige Firma die mir auf die Schnelle einfällt. Die Produktionstechniken für klappende Spiegelmechaniken und Schlitzverschlüsse haben sich in den letzten 50 Jahren so verbilligt, dass Mittelformat SLRs günstiger wurden – und damit dem Markt der TLRs den Niedergang einläuteten.

Trotzdem bleiben sie historisch gesehen eine wichtige Kameraart. Und wenn schon James Bond in “Liebesgrüße aus Moskau” eine TLR benutzt hat, kann das ja kein billiges Spielzeug gewesen sein – oder?

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