15. Juni 2010 Lesezeit: ~8 Minuten

Im Gespräch mit Jan Scholz

Hallo liebe kwerfeldein.de Leser. In meinem letzten Artikel habe ich unter anderem darüber geschrieben über wie viele außergewöhnlich gute Fotografen man im Internet fast täglich „stolpert“. Meinen heutigen Gastbeitrag möchte ich dazu nutzen euch einen Fotografen vorzustellen, den ich selbst sehr bewundere: Jan Scholz / Micmojo (Portfolio · Twitter · Facebook).

Gute Portfolios finden wir heute schon fast wie Sand am Meer. Dennoch schaffen es Jans Arbeiten im Gedächtnis zu bleiben und zu bewegen. Seine Arbeiten wirken sehr reduziert, ruhig und dennoch unglaublich intim und ausdrucksstark. In Zeiten der digitalen Fotografie, der extensiven Nachbearbeitung und Verfremdung erscheint Jans Bildsprache dezent, puristisch und erfrischend authentisch. Grund genug also Jans Ansichten und Arbeitsweise etwas genauer zu beleuchten.

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Hallo Jan. Schön, dass du dich zu diesem Interview bereit erklärt hast. Bevor wir mit dem eigentlichen Interview anfangen: Könntest du dich bitte kurz vorstellen? Wer bist du? Was machst du und wie bist du zur Fotografie gekommen?

Hallo, ich bin Jan und komme ursprünglich aus Hamburg, wohne aber inzwischen in Brüssel und arbeite hier für eine Europäische Organisation. Ich habe vorher 4 Jahre in Maastricht gewohnt. Dort habe ich mir erstmalig eine Digitale SLR zugelegt, da sie zu diesem Zeitpunkt einigermassen erschwinglich wurden. Maastricht bietet eine Menge zu fotografieren und so habe ich angefangen Brücken, Häuser usw. zu fotografieren. Ich habe mich damals auch bei Foto-Communities angemeldet und meine Bilder dort hochgeladen. Nachdem ich mir viele Bilder angesehen habe, habe ich schnell gemerkt, dass ich bei Portraits viel eher hängen bleibe. Da ich jedoch grad nach Maastricht gezogen war, kannte ich keinen Menschen, den man mal fotografieren konnte. So dauerte es noch ein bisschen bis ich tatsächlich mit Portraits anfing.


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Deine Bildsprache wirkt sehr zurückgenommen, aber trotzdem sehr ausdrucksstark. Wie genau schaffst du derart intime Momente zwischen deinen Modellen und der Kamera? Wie verhältst du dich während eines Shoots?

Ich habe anfangs sehr viel auf Licht geachtet, mir Modezeitschriften gekauft und versucht rauszufinden, wie die das mit dem Licht machen und dann selber probiert. Das klappte auch relativ gut. Model und Komposition haben weit weniger eine Rolle gespielt. Das änderte sich dann mit der Zeit.

Inzwischen ist mir der Ausdruck des Models am Allerwichtigsten. Man kann die beste Komposition und das ausgefeilteste Lichttechnik haben, wenn das Model verkrampft aussieht, geht die Wirkung des Bildes absolut verloren. So habe ich mich dann sehr auf das Model konzentriert. Wie man einen guten, bzw. interessanten Ausdruck vom Model bekommt, weiß ich auch nicht so genau. Ich gebe mir Mühe, dass das ganze Shooting absolut stressfrei abläuft.

Selbst wenn irgendwas schief geht, merkt das Model nichts davon. Aus einer entspannten Situation entstehen dann auch oft entkrampfte, schöne Ausdrücke. Aber das muss nicht klappen – hängt auch davon ab, wie viel Sympathie man für das Model empfindet und andersherum. Dann passt einfach die Atmosphäre.

Ob ich viel dirigiere hängt immer von der Situation ab. Ich schaue unheimlich viel – oft schon während die Visagistin das Model „bearbeitet“. Man kann da meist schon „Schokoladenseiten“ entdecken und gute Winkel. Das geht beim Fotografieren weiter. Oft hat eine kleine Perspektivänderung schon einen grossen Effekt. Ich gebe meist ein kurzes Konzept vor und erkläre, was ich mir vorstelle. Einige Modelle setzen das sofort um und man muss nur noch kleine Anweisungen geben – bei anderen dirigiert man ein wenig mehr.

Allerdings nicht zu sehr im Detail: mich interessiert die Ausrichtung des kleinen Fingers und der Fußspitzen relativ wenig. Die Anweisungen sind sehr dezent: Je natürlicher das Model in eine Pose kommt, desto authentischer wirkt es.

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Im Bereich Mode wird ja viel mit künstlichem Licht gearbeitet. Wenn ich das richtig sehe arbeitest du selbst aber vorwiegend mit natürlichem Licht. Auf was achtest du da in diesem Kontext? Könntest du Einsteigern vielleicht ein paar Tipps geben?

Eine Regel habe ich da nicht. Ich schaue wie das Licht aufs Model fällt – und gebe dann kleine Anweisungen bis das Licht gefällt. Wofür man ein Gefühl entwickeln muss, ist den Kontrast des Lichtes richtig einzuschätzen – also das richtige Verhältnis zwischen hellen und dunklen Partien. Die Kamera sieht den meist anders als unser Auge. Aber als Grundregel kann ich nur empfehlen, hinzugucken – auch ohne Kamera. Dann sieht man schon, ob das Licht interessant ist oder nicht.

Du hast vorhin erwähnt, dass du mit Visagisten arbeitest. Wer ist sonst noch an deinen Projekten beteiligt?

Ich arbeite derzeit relativ wenig mit Visagistin: Je natürlicher, desto besser. Aber für manche Sachen ist eine gute Visagistin Gold wert; das kommt immer auf das Konzept an. Ansonsten arbeite ich alleine. Je weniger Leute dabei sind, desto eher entwickelt sich eine entspannte Atmosphäre.

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Du fotografierst hauptsächlich analog. Wie viele Bilder schiesst du an einem durchschnittlichen Shoot?

Das ist unterschiedlich. Heute habe ich zum Beispiel 3 x 36er Kleinbild und 5mal 8×10 Grossbild Fotos aufgenommen… Wenn ich zum Beispiel ausschließlich Grossbild fotografiere, habe ich nach einem langen Shoot vielleicht 30-35 Fotos aufgenommen. War vor einigen Wochen für ein Wochenende in Paris und habe mit zwei fantastischen Modellen geshootet – da habe ich meinen Vorrat komplett aufgebraucht und kam mit bestimmt 500 Bildern nach Hause. Sofern es sich um schwarz-weiß Bilder handelt, entwickle ich die dann auch selbst; Farbfotos schicke ich ins Labor.


Wenn du bei einem langen Shoot „nur“ 30-35 Fotos schiesst, nimmst du dir offensichtlich sehr viel Zeit für das einzelne Bild. Wie reagieren deine Modelle darauf, dass über eine längere Distanz kein Foto gemacht wird; gerade im Hinblick darauf, dass bei heutigen Shoots ja gerne mal mehr als 1.000 Bilder geschossen werden.

Ich stehe ja nicht stumm da, starre das Model an und warte 20 Minuten auf den „richtigen“ Moment bis ich ein Foto mache. Man feilt an der Pose, dem Lichtwinkel, der Komposition – gibt kleine Anweisungen hier und da und wenn es passt, macht man ein Foto. Bislang hat sich noch kein Model beschwert – ich bekomme für diese „langsame“ Art des Fotografierens fast durchweg positives Feedback.

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Wie stehst du zum Thema Bildbearbeitung und Retusche?

Im Prinzip habe ich absolut kein Problem mit Retusche – wenn sie gut gemacht ist. Wenn einem Model allerdings das letzte an Persönlichkeit aus dem Gesicht radiert wurde, geht es mir zu weit. Ich selber habe keine grosse Geduld mit Photoshop und sitze selten länger als 10 Minuten an einem Bild – die meiste Zeit geht drauf, um Fussel vom Negativ wegzustempeln.

Einer der Gründe, warum ich hauptsächlich analog fotografiere: die Bilder kommen so aus der Kamera, wie sie mir gefallen und ich muss nicht lange mit Photoshop rumhantieren.

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Was würdest du Einsteigern raten, die sich für deine Art der Fotografie interessieren?

Schwer zu sagen: ich glaube man muss die Art von Fotos machen, die einem selbst was bedeuten. Begeisterung für das Fotografieren ist immer noch die beste Vorraussetzung. Technische Expertise finde ich nicht ganz so wichtig. Ich habe inzwischen zu viele Foto-Experten gesehen, die alles bis ins kleinste Wissen und stets die neueste Ausrüstung haben – und damit dann unglaublich langweilige Fotos produzieren. Im Gegensatz dazu gibt es viele Beispiele von unbedarften Teenagern, die sich Papas Urlaubsknipse schnappen und mit ein bisschen Fantasie wunderbare Fotos machen.

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Wie sieht deine Zukunftsplanung im Bezug auf die Fotografie aus?

Ich habe da keine feste Planung. Derzeit fotografiere ich eher aus dem Bauch heraus – ohne festen Plan. Ich spiele mit dem Gedanken, vielleicht mal etwas Konzeptionelles zu probieren. Ich habe einen Job, der mir sehr viel Spass macht. Die Freiheit, Fotografieren zu können, was wann und wie ich will, ist mir sehr wichtig – als Amateur hat man diese Freiheit absolut. Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, es beruflich zu probieren und vielleicht mache ich es auch irgendwann – wer weiss.

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